Merkels Besuch in der Türkei: Planänderung für Erdogan
Aus einem Höflichkeitsbesuch wurden gut zwei Stunden. Am Ende drohte Erdogan nicht mehr, das Flüchtlingsabkommen aufzukündigen.
Stattdessen ging es inhaltlich zur Sache. Eigentlich sollten die wichtigsten politischen Fragen mit Ministerpräsident Binali Yildirim besprochen werden und bei Erdogan war lediglich ein Höflichkeitsbesuch geplant, doch es kam anders. Mehr als 2,5 Stunden dehnte sich das Treffen und am Ende gab es dann auch eine gemeinsame Pressekonferenz, was ebenfalls nicht vorgesehen war.
Sowohl Merkel wie auch Erdogan machten bei ihrem gemeinsamen Auftritt den Eindruck, als habe sich das Treffen für beide gelohnt. Beide konnten ihre jeweiligen Positionen loswerden und am Ende drohte Erdogan nicht mehr damit, das Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und der EU aufzukündigen, sondern sprach wie Merkel von einer engeren Kooperation.
Merkel verspricht Unterstützung im Kampf gegen die PKK
Dafür hatte Merkel zuvor eine engere Zusammenarbeit in der Terrorbekämpfung versprochen, nicht nur gegen den IS, sondern auch gegen die PKK. Was die von der Türkei geforderten Auslieferungen von PKK´lern, angeblich Gülen-Terroristen und der türkischen Soldaten, die in Deutschland Asyl beantragt hatten, anging, verwies Merkel wie erwartet auf die Gerichte. Die Türkei solle Material für ihre Anschuldigungen liefern, die Gerichte würde das dann unabhängig bewerten.
Erdogans Vorwürfe, die EU würde ihre Verpflichtungen im Rahmen des Flüchtlingsabkommens nicht einhalten, konterte sie mit Zahlen. Von den versprochenen 3 Milliarden Euro seien 750 Millionen geflossen, 2,2 Milliarden fest verplant und auch der Rest könne jederzeit kommen. Merkel sprach von einer ersten Tranche und deutete damit an, das auch eine Zweite möglich sei. Anschließend brachte aber auch Merkel ihre Kritikpunkte an den Mann.
Pressefreiheit, parlamentarische und außerparlamentarische Opposition seien unverzichtbare Elemente einer Demokratie und Erdogan solle aufpassen, bei der Aufarbeitung des Putsches die Mittel zu wahren. Für das angestrebte Präsidialsystem mahnte sie die Aufrechterhaltung der Gewaltenteilung an, was Erdogan gar nicht verstehen konnte, weil das doch klar gewährleistet sei. Ob Erdogan bei dem bevorstehenden Referendum Beobachter der OSZE akzeptieren wird, wie von Merkel angeregt, blieb offen.
Nach dem Treffen mit Erdogan besichtigte Merkel die Spuren des Putsches im Parlament und ging anschließend mit Ministerpräsident Yildirim zum Abendessen. Für den späteren Abend waren Treffen mit Oppositionspolitikern in der deutschen Botschaft geplant.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste