Merkels Abschiedsbesuch in Polen: Noch viel auf der Agenda
Bei ihrem Treffen mit Premier Mateusz Morawiecki spricht die Kanzlerin strittige Themen an. Weiterhin im Fokus bleibt die Pipeline Nord Stream 2.
Vor der Kulisse des Badeschlösschens im Königlichen Lazienki-Park bestätigte Merkel, dass es in den vergangenen 16 Jahren ihrer Kanzlerschaft „viele schwierige Fragen“ zwischen Polen und Deutschland gegeben habe und einige davon auch weiterhin auf der Agenda bleiben würden – wie beispielsweise die umstrittene Gas-Pipeline Nord Stream 2 durch die Ostsee. Es gehe nun darum, den Status von Polen und der Ukraine als Gas-Transit-Länder neben Nord Stream 2 aufrechtzuerhalten.
Für Polen sei die Sicherheitsfrage von zentraler Bedeutung, so Morawiecki. Angesichts der internationalen Verschiebungen im Machtgefüge der Welt müsse die EU nicht nur zu einem mächtigen globalen Player aufsteigen, sondern auch eventuelle Angreifer wirkungsvoll abschrecken können. Dazu seien höhere Verteidigungsausgaben unumgänglich.
„Deutschland ist vor kurzem Opfer eines schweren Cyberangriffs geworden“, sagte Morawiecki. In der „Flüchtlingsfrage“ habe man sich „annähern können“, sagte der studierte Historiker, der es als Direktor einer spanischen Bank in Polen zum Multimillionär gebracht hat, sich nun aber für die „Polonisierung strategischer Wirtschaftszweige“ einsetzt.
Polen und Europäische Kommission streiten weiter
„Man muss den Flüchtlingen humanitär helfen“, kritisierte Merkel das von polnischen Medien berichtete Zurücktreiben von Flüchtlingen nach Belarus, ohne ihnen die Möglichkeit zu geben, einen Asylantrag in Polen zu stellen, Andererseits müsste aber auch die „EU- und Nato-Außengrenze gesichert“ werden, so die Bundeskanzlerin. Sie verdamme die Politik des Lukaschenko-Regimes, das seit einigen Wochen gezielt Flüchtlinge an die grüne Grenze zu Litauen und Polen bringe. „Ich halte das für vollkommen inakzeptabel, auf dem Rücken von Einzelnen mit ihrem Schicksal solche hybriden Attacken auszuführen“, sagte Merkel.
Den verhärteten Justizstreit zwischen Polen und der Europäischen Kommission sollten beide Seiten durch einen intensivierten politischen Dialog lösen. Politik vermöge mehr als dies ein Schlagabtausch über die Gerichte könne.
Vor dem Treffen mit Morawiecki hatte die Kanzlerin noch einen Kranz am Grab des Unbekannten Soldaten niedergelegt. Hier – auf dem zentralen Marschall-Pilsudski-Platz – liegt ein 14-jähriger Junge begraben, der 1920 als Freiwilliger gegen die Ukrainer in den Krieg gezogen war. Die Kolonnade, unter der er liegt, war Teil des Sächsischen Palais, das die Nazis 1944 beinahe vollständig in die Luft gesprengt hatten. Ein Denkmal für alle Kriegsopfer in Polen, wie es jetzt in Berlin entstehen soll, gibt es in Warschau bislang nicht.
Eigentlich hatte sich Merkel auch mit Präsident Andrzej Duda treffen wollen. Doch Polens Staatsoberhaupt sagte kurzfristig ab. Offiziell hieß es, dass er am Samstag am Jahrestag der Gründung der Gewerkschaft Solidarność in Oberschlesien teilnehme. Inoffiziell, so brachten polnische Journalist:innen in Erfahrung, fühlte sich Duda durch die Reihenfolge der Abschiedsbesuche Merkels mit Moskau und Kiew vor Warschau beleidigt. Denn terminlich sei es kein Problem gewesen, morgens mit Merkel zu sprechen und nachmittags an den Solidarność-Feiern teilzunehmen.
Präsident setzt Tweet auf Englisch ab
Wenige Tage vor dem Besuch Merkels in Polen postete er auf Englisch einen Tweet, der in der nationalpopulistischen und rechten Szene Polens auf großen Zuspruch stieß, bei polnischen Zeithistorikern aber kritische Nachfragen auslöste.
„Im August 1944 ermordeten die Deutschen acht Ordensschwestern, weil sie kranke Juden in einem Unterschlupf versteckt hatten. Die Nonnen wurden mit Benzin übergossen und bei lebendigem Leib verbrannt. Es gibt kein anderes Volk, das so sehr leiden musste für seine Hilfe Juden gegenüber. Wir verlangen nicht viel, nur die Wahrheit…“
Der seltsame Tweet des polnischen Präsidenten löste eine Flut nationalistischer Kommentare aus, doch eine Gruppe Historiker, die sich im Thema auskennen, wies nach, dass dieser Fall in den bekannten Forschungen zu polnischen Judenrettern nicht auftauche. Die Frage nach der historischen Quelle in diesen geschichtspolitischen Tweet Dudas beantwortete die Präsidialkanzlei bislang nicht, berichtet der Historiker Adam Leszczynski auf dem Portal für investigativen Journalismus Oko.press.
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