Merkel und die „Flüchtlingskrise“: Christian Lindner macht den Gauland
„Welt“-Korrespondent Robin Alexander stellt in Berlin sein Buch „Die Getriebenen“ vor. Merkels Grenzöffnung, so die These, war Planlosigkeit.
Die Präsentation eines politischen Sachbuchs kennt mindestens zwei Akteure. Zum einen den Autor, zum anderen die Person, die das Buch der Öffentlichkeit vorstellt. Im Fall von Robin Alexanders Buch „Die Getriebenen“ über Angela Merkels Flüchtlingspolitik war dies der FDP-Vorsitzende Christian Lindner. Man darf sagen: Lindner, der seit dem Rauswurf seiner Partei aus dem Bundestag 2013 um Aufmerksamkeit ringt, hat seine Chance genutzt.
Im Widerspruch zum Asylrecht als Individualrecht habe Deutschland es „mit einem Massenzustrom“ zu tun, lautete einer seiner Sätze bei der Buchvorstellung; er verspüre Sehnsucht nach der „kühlen Geschlossenheit“ einer Schmidt/Genscher-Koalition „wie beim RAF-Terror“, ein anderer. Und: Die Fluchtbewegung sei der „Kampf derjenigen, die die Physis haben, sich über die Grenze durchzuschlagen“. Alexander Gauland hätte es nicht schöner sagen können.
Das Buch, dessen Cover drei abgekämpfte Politikgrößen – Merkel, Seehofer und Gabriel – zieren, erzählt minutiös die sechs Monate nach dem 4. September 2015. Wohin es inhaltlich geht, mögen Kapitelüberschriften umreißen wie „Deutscher Rausch“, „Die Unterwerfung“ und „Der Deal“. Merkels Entscheidung zur Grenzöffnung, das legt das Buch nahe, war keine der Mitmenschlichkeit oder gar der Verantwortung, vielmehr eine der Planlosigkeit und Führungsschwäche.
Als Beweis ebendieser Schwäche führt der Autor unter anderem den 13. September 2015 an. An diesem Tag habe die Bundesregierung die Grenzen wieder schließen wollen. Man ließ die Polizei aber abziehen, um hässliche Bilder zu vermeiden. Erstleser Lindner spricht von „Mutlosigkeit statt Alternativlosigkeit“.
Buch statt Untersuchungsausschuss?
Das Buch trifft offenbar einen Nerv. „Die Getriebenen“ rangiere bereits in den Top 20. Es ersetze, so Lindner, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Mit dem Unterschied, dass der Bericht auch noch gut geschrieben sei.
In der Tat, Robin Alexander ist ein versierter und wortmächtiger Kanzleramtskorrepondent der Welt. Er kennt wichtige Leute im politischen Betrieb, seine Recherchen sind professionell durchgeführt und dargelegt. An diesem Montagvormittag in Berlin sagt er, er habe zeigen wollen, dass die Kanzlerin weder Heilige noch Hassfigur sei, sondern politischen Zwängen ausgesetzt gewesen sei. Zur Flüchtlingsfrage brauche dieses Land den Diskurs.
Alexander mag sein Buch als Beitrag dazu verstehen. Der frühere FDP-Bundestagsabgeordnete Christian Lindner hat sein Urteil gefällt. „Dieser Regierungsstil ist nicht alternativlos“, schiebt er rasch nach. Mal schauen, ob es seiner FDP nützt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Aufregung um Star des FC Liverpool
Ene, mene, Ökumene