piwik no script img

Merkel und das EU-GipfeltreffenMit Mogelpackungen zum Erfolg

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Ob Kampf gegen Klimawandel, Coronakrise oder Rechtsstaatsverfahren: Die Einigung auf dem Brüsseler Gipfel ist ein eher müder Kompromiss.

Am Ende ihrer EU-Ratspräsidentschaft: Angela Merkels Bilanz ist, vorsichtig formuliert, durchwachsen Foto: dpa

E s war eine lange Nacht in Brüssel. Bis zum Morgengrauen am Freitag haben die 27 Staats- und Regierungschef durchverhandelt. Nun steht die Einigung zu einem schärferen Klimaziel. Bis 2030 will die EU ihre Treibhausgase um mindestens 55 Prozent absenken. Ende gut, alles gut?

Ja, sagen Kanzlerin Angela Merkel und Ratspräsident Charles Michel. Sie führten die Regie beim letzten Spitzentreffen unter deutschem Vorsitz. Und sie sehen sich am Ziel. Europa bleibe Vorreiter beim Klimaschutz, so Michel. Zudem habe man das „historische“ Finanzpaket gerettet.

Nur zu gerne würde man Beifall klatschen. Beides war vor einem Jahr noch nicht absehbar. Damals plante die EU noch, ihren CO2-Ausstoß nur um 40 Prozent zu senken. Und es war undenkbar, dass die EU 750 Milliarden Euro Schulden aufnehmen würde, um ein Corona-Hilfsprogramm aufzulegen.

Doch bisher stehen diese wegweisenden Beschlüsse nur auf dem Papier. Merkel hat für die Weichenstellungen so viele faule Kompromisse gemacht, dass man versucht ist, an der Substanz ihrer Europapolitik zu zweifeln. Die Erfolge könnten sich nur allzu schnell als Scheinerfolge erweisen.

Besonders deutlich ist dies bei der Einigung zum EU-Budget und zum Corona-Hilfspaket. Merkel hat den Deal mit einer Mogelpackung beim sogenannten Rechtsstaatsmechanismus erkauft. Ungarn und Polen können nun weiter den Rechtsstaat abbauen und die Demokratie aushöhlen, ohne Kürzungen bei den EU-Hilfen fürchten zu müssen.

Der neue Mechanismus wird erst 2022 wirksam und dann wohl auch nur Korruption bestrafen können. Von dem großen Versprechen zu Beginn des deutschen EU-Präsidentschaft, die Rechtsstaatsverächter beim Portemonnaie zu packen und die Subventionen zu kürzen, ist nichts übrig.

Auch das „historische“ Finanzpaket ist bei näherer Betrachtung nicht so doll. Das EU-Budget für 2021–2027 ist geschrumpft, der Corona-Hilfsfonds wird frühestens im Sommer 2021 wirksam. Gegen die Folgen der aktuellen „zweiten Welle“ hilft es nicht – weshalb sich die Europäsche Zentralbank am Donnerstag genötigt sah, ein neues Notprogramm zur Stützung der Wirtschaft aufzulegen.

Und was ist mit dem Klima? Schreitet die EU da nicht mutig voran? Nein, sagen Greta Thunberg und die Fridays-for-Future-Bewegung. Sie schreien „Verrat“, weil die Europäer zwar ständig neue Ziele ankündigen, aber keine Maßnahmen beschließen, um sie auch zu erreichen.

Auch das Europaparlament ist enttäuscht. Die nun beschlossene Senkung des CO2-Ausstoßes um 55 netto Prozent reiche nicht aus, um die Pariser Klimaziele zu erreichen, kritisieren die Abgeordneten. Auch sie wittern eine Mogelpackung, weil die EU ihr neues Ziel nur mit diversen Rechentricks und teuren Zugeständnissen an die Kohle- und Atomenergieländer erreichen dürfte.

Doch immerhin: Die 27 haben sich auf ein neues Ziel geeinigt – und das neue EU-Budget dürfte dazu beitragen, sich diesem Ziel auch zu nähern. Merkel ist es gelungen, den Laden zusammenzuhalten, was angesichts der vielen Egoisten gewiss nicht einfach war. Das ist ein Erfolg. Schade nur, dass er mit viel Mogelei erkauft wurde.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Ich sage nur „Klimakanzlerin“. Man wird der Frau Merkel inzwischen doch beim besten Willen keine problemlösungsorientierte Politik mehr unterstellen können. „Mogelpackungen“ trifft die Sache schon recht zutreffend. Von ihren NachfolgerInnen ist da leider auch nichts anderes zu erwarten. Man wurstelt sich so durch, in der Hoffnung, dass es keiner merkt.

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - merkt an -

    “ "...ein eher müder Kompromiss". taz.de/Merkel-und-...ltreffen/!5737568/



    Und mit einer kurzen Überschrift gelingt es, 15 Jahre Merkelregentschaft zu charakterisieren. "Mit Mogelpackungen zum Erfolg" “

    kurz - Na dann - 😱 -

  • 9G
    91491 (Profil gelöscht)

    Warum denn aus der EU austreten, wenn man/frau mit der Weto-Reglung die ganze EU erpressen kann.Ungarn und Polen können nun weiter den Rechtsstaat abbauen und die Demokratie aushöhlen, ohne Kürzungen bei den EU-Hilfen fürchten zu müssen.



    Das würde ich einen faulen Kompromiss nennen und die Folgen für die Zukunft, unabsehbar.