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Menschenwürde im ZentrumWie Grüne lernen, den Verfassungsschutz zu lieben

Rot-Grün will in Niedersachsen das Verfassungsschutzgesetz novellieren. Dabei soll auch die AfD von der Kontrolle des Dienstes ausgeschlossen werden.

Will den sogenannten Verfassungsschutz weiter mitkontrollieren: Klaus Wichmann von der AfD Foto: Ella Wenzel/dpa

Hannover taz | Ausgerechnet Vosgerau. In Niedersachsen gibt es eine Anhörung zur Reform des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes und die AfD-Fraktion lässt es sich nicht nehmen, ihren Lieblingsjuristen einzuladen. Eben Ulrich Vosgerau, der zwar formal immer noch CDU-Mitglied ist, sich aber schon lange gern bei der AfD tummelt. Auch bei dem berüchtigten Treffen in Potsdam, nach dem er gegen Nebensätze in der Correctiv-Recherche klagte, in denen er sich nicht korrekt wiedergegeben sah.

Vosgerau sitzt am Freitag also in Hannover vor dem Ausschuss, wie so häufig demonstrativ gut gelaunt, und fordert die Abschaffung des Verfassungsschutzes. „Schon bemerkenswert, wie die Kritik hier die Seiten gewechselt hat“, bemerkt der grüne Landtagsabgeordnete Michael Lühmann spitz. Vor nicht allzu langer Zeit war die Kritik am Verfassungsschutz ein Klassiker unter Linken.

Jetzt wiederholt Vosgerau genüsslich die Kritik, unter umgekehrten Vorzeichen: Der Landesverfassungsschutz sei eine intransparente, weisungsgebundene Behörde, die einzig und allein dazu diene, den politischen Gegner zu bekämpfen. Er verweist sogar auf Autoren „aus dem linken Lager“ wie Ronen Steinke von der Süddeutschen Zeitung und Mecklenburg-Vorpommerns früheren Finanzminister Mathias Brodkorb (SPD), die dazu „sehr kluge Dinge aufgeschrieben haben“.

Und die Grünen? Finden sich plötzlich in der Lage, eine Institution verteidigen zu müssen, die sie früher immer kritisiert haben.

Länder wollen Gesetze harmonisieren

Das Schrauben an den jeweiligen Landesgesetzen für den Verfassungsschutz findet gerade in fast allen Bundesländern statt. Verschiedene Urteile des Bundesverfassungsgerichtes haben Anpassungen notwendig gemacht, nicht zuletzt das Grundsatzurteil aus dem Jahr 2022, in dem das bayerische Verfassungsschutzgesetz in Teilen für verfassungswidrig erklärt wurde.

Außerdem haben die Innenminister eine Harmonisierung der Landesgesetze verabredet – und man muss auf verschiedene neue Herausforderungen reagieren, die durch die alte Gesetzgebung noch nicht erfasst sind. Das betrifft zum Beispiel die rapide Online-Radikalisierung von Einzeltätern oder den Einsatz neuer technischer Mittel wie Drohnen.

Die Grünen wollen die Definition der FDGO auf die drei Kernbereiche Menschenwürde, Demokratieprinzip und Rechtsstaatlichkeit engführen

Um die Details wird in Niedersachsen noch gerungen, für die Grünen geht es aber auch um etwas sehr Grundsätzliches. Sie wünschen sich eine Reform der Definition der freiheitlich demokratischen Grundordnung (FDGO) im Landesgesetz. Denn auch hier hat sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ein Wandel vollzogen: Vor allem mit dem zweiten NPD-Urteil aus dem Jahr 2017 hat das Gericht den umstrittenen FDGO-Begriff auf drei Kernbereiche festgelegt: Menschenwürde, Demokratieprinzip und Rechtsstaatlichkeit. Das interpretieren die meisten Juristen als Verengung, manche kritisieren allerdings auch, dass der Begriff der Menschenwürde ziemlich unbestimmt sei.

Eine Rolle spielt das, weil damit die Schutzgüter und damit letztlich die Aufgaben des Verfassungsschutzes definiert werden. Wenn es um die Frage geht, wer oder was verfassungsfeindlich ist, muss man sich schließlich erst einmal darauf einigen, welche Verfassungsgrundsätze geschützt werden sollen und wo die legitime Kritik am politischen System aufhört.

In den frühen Parteiverboten aus den 1950er-Jahren spielte beispielsweise die Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem eine wesentliche Rolle – wie auch bei der Frage, ob Teile der Klimaschutzbewegung unter Beobachtung gehören und als linksextremistisch zu definieren sind.

Bei der AfD-Beobachtung und -einstufung fokussierte sich der Bundesverfassungsschutz genauso wie einige Landesverfassungsschutzbehörden dagegen eher auf die Angriffe auf die Menschenwürde, die von der Partei ausgehen. In der Verächtlichmachung ganzer Bevölkerungsgruppen und der Einteilung in Bürger erster und zweiter Klasse sieht man einen Angriff auf die Verfassung.

Darüber, ob es notwendig ist, dass Niedersachsen diese FDGO-Definition im Landesgesetz vornimmt, gehen die Meinungen allerdings auseinander. Einige der angehörten Juristen vertreten die Auffassung, dass hier letztlich das Bundesrecht ausschlaggebend ist, eine eigene Definition also überflüssig. Die Grünen argumentieren, dass sich so aber durchaus die Schwerpunktsetzung und der Ressourceneinsatz steuern lassen.

Die AfD soll nicht mehr mitkontrollieren

Parallel zu dieser Debatte wird in Niedersachsen aber noch eine ganz andere geführt: Nämlich die darum, wer den Verfassungsschutz eigentlich kontrollieren soll. Anders als im Bund und in anderen Bundesländern hat Niedersachsen bisher kein eigenes parlamentarisches Kontrollgremium, sondern den – meist vertraulich tagenden – „Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes“ des Landtags, in dem alle Fraktionen entsprechend ihrer Stärke vertreten sind. Auch die AfD, die damit an der Kontrolle des Verfassungsschutzes mitwirkt, der sie wiederum unter Beobachtung hat.

Das wollen die regierungstragenden Fraktionen SPD und Grünen im Einvernehmen mit der CDU nun rasch ändern. Künftig soll das Parlament dann über eine unter der Parlamentsmehrheit im Vorfeld abgestimmte Namensliste abstimmen.

Kritiker sehen darin eine Aushebelung von Minderheitenrechten, eine „Lex AfD“, die aber genauso gut die Linke oder andere Fraktionen treffen könnte, wenn sich die Zusammensetzung des Parlaments ändert. Der bisherige AfD-Vertreter Klaus Wichmann äußerte sich empört. Er sitze schon seit acht Jahren in dem Gremium und nie habe es Grund zur Beanstandung gegeben, sagte er verschiedenen Medien. Überhaupt hätte der Verfassungsschutz nie wirklich wichtige Informationen mitgeteilt.

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1 Kommentar

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  • Die Kriterien müssen unabhängig von der politischen Richtung definiert sein. Ob sie die Welt, die Natur, die Kultur, das Volk, die Demokratie, Deutschland, die Würde oder die Arbeiterklasse retten wollen, es lassen sich immer gute Gründe finden, die dafür oder dagegen sprechen.



    Direkte Gefahr droht dagegen, wenn jemand die demokratischen Spielregeln ändern will. Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Geschäftsordnung, Wahlrecht ändern, noch dazu mit einfacher Mehrheit, um anderen Parteien die Arbeit zu erschweren.