Menschenrechte in Nicaragua: Ortega füllt die Kerker
Nicaraguas Regime hält hunderte politische Gefangene in Haft. Nun wurde auch der bekannte 76-jährige Soziologe Oscar René Vargas verschleppt.
So schildert die Dichterin Daisy Zamora, Ex-Ehefrau des Soziologen, den Tathergang. Einen Haftbefehl hätten die Bewaffneten nicht vorgewiesen. Vargas wurde an einen unbekannten Ort verschleppt. Die Polizei hat die Festnahme weder bestätigt noch Gründe dafür angegeben.
René Vargas Zamora, ein Sohn des Verschleppten, hat über die sozialen Medien Alarm geschlagen und auf den fragilen Gesundheitszustand seines Vaters hingewiesen: „Ich mache das Regime für sein Wohlergehen verantwortlich.“
Vargas war einer der bekanntesten Kritiker des Regimes, der noch in Nicaragua in Freiheit lebte. Nach dem Volksaufstand von 2018, der im Blut von über 300 unbewaffneten Demonstranten erstickt wurde, hatte er sich ins Exil geflüchtet, war aber dann wieder zurückgekehrt.
Vargas fordert öffentlich Sanktionen gegen das Regime
Schon während der rechten Somoza-Diktatur in den 1970er Jahren musste der Absolvent der Universitäten Lausanne, Genf und Mexiko mit Titeln in Soziologie, Geschichte und Wirtschaft außer Landes gehen. Während der Revolution (1979-1990) hatten die sandinistischen Comandantes noch gern auf die Expertise des brillanten Analytikers gehört.
Ortega wollte ihn nach seiner Rückkehr an die Macht sogar als Botschafter nach Frankreich schicken. Die Ernennung nahm er allerdings zurück, als Vargas die willkürliche Absetzung von drei Kabinettsmitgliedern kritisierte.
Vargas hatte die Ereignisse von 2018 in seinem Buch „Incubando la crisis de Abril“ (Wie die April-Krise ausgebrütet wurde) aufgearbeitet, das gratis heruntergeladen werden kann. Sein auf seiner Homepage veröffentlichter jüngster Text hat wahrscheinlich auch den Zorn von Machthaber Daniel Ortega erregt.
Vargas rät darin zu ökonomischen Sanktionen gegen das Regime durch die USA und die internationalen Finanzierungsinstitutionen sowie spontane Demonstrationen auf der Straße. Erst wenn Ortega das Festhalten der politischen Gefangenen das politische Überleben kosten könne, werde er sie freilassen, schreibt Vargas.
UN-Folterausschuss sagt Besuch ab
Der Text erfüllt nach gängiger Rechtsprechung die Tatbestände des Aufrufs zur Gewalt gegen das Regime und der „Schmälerung der nationalen Souveränität“, Grundlage zur Verurteilung der meisten der 219 politischen Gefangenen zu 9 bis 13 Jahren Haft. Die entsprechenden Gesetze wurden so formuliert, dass sie jede kritische Äußerung zur Straftat erklären.
Wie es den Regimekritikern in den Kerkern Ortegas geht, weiß man von den Berichten der Angehörigen, die viel seltener als vom Gesetz vorgeschrieben zu den Gefangenen gelassen werden. Vergangene Woche wurde ihnen nach 84 Tagen wieder ein kurzer Besuch gewährt – nach einer demütigenden Leibesvisitation zur Belustigung des Wachpersonals. In einem Kommuniqué schildern sie den physischen und psychischen Verfall der Häftlinge, die zum Teil in völliger Dunkelheit und Einzelhaft systematisch gequält werden. Sie fordern regelmäßige Besuche auch für Kinder und die Aufhebung des Lektüreverbots.
Am Mittwoch hat der UN-Folterausschuss seinen für kommendes Jahr geplanten Besuch in Nicaragua abgesagt, weil das Regime jede Kooperation verweigere. „Das ist das erste Mal, dass wir auf eine generelle Verweigerung der Zusammenarbeit stoßen“, erklärte Ausschussvorsitzende Suzanne Jabbour, die darauf hinwies, dass Nicaragua das Fakultativprotokoll der Antifolterkonvention ratifiziert hat, wo unter anderem geregelt ist, dass der Ausschuss die Gefängnisse besuchen darf.
Die Unterdrückung von allem, was nicht vom Regime kontrolliert oder gesteuert ist, hat sich vergangene Woche auch mit der Auflösung weiterer 100 NGOs fortgesetzt. Damit sind seit dem vergangenen Jahr bereits über 3.000 zivilgesellschaftliche Organisationen verboten worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen