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Menschenliebe darf nicht bestraft werden

■ Norbert Römisch gab bosnischen Flüchtlingen eine Garantieerklärung. Als er deren Unterhalt nicht mehr tragen konnte, verklagte ihn das Sozialamt. Das Gericht urteilte mild

Köln (taz) – Norbert Römisch hatte einfach nur helfen wollen – wie mit ihm rund 250 Menschen alleine im Rheinland. Sie alle unterschrieben Garantieerklärungen für bosnische Bürgerkriegsflüchtlinge, um ihnen in die Flucht vor dem Krieg und eine Einreise in die Bundesrepublik zu ermöglichen.

Und dafür sollte Römisch nun bestraft werden? Kann es rechtens sein, dass die Stadt Meckenheim ihn zur Kasse bittet, nur weil er Menschen in Not beigesprungen ist? Mit über 22.000 Mark? Für den 63-Jährigen unfassbar. Anfang dieser Woche verhandelte das Kölner Verwaltungsgericht über die Klage des gläubigen Christen gegen die 26.000 Einwohner zählende Gemeinde im nordrhein-westfälischen Rhein-Sieg-Kreis.

Angefangen hatte alles im Dezember 1992. Eine Rede des CDU-Bundestagsabgeordneten Stefan Schwarz über den Bürgerkrieg in Bosnien habe ihn aufgerüttelt, sagte Römisch vor Gericht. Fünfzehnmal reiste der Physiker seit 1993 nach Bosnien und Kroatien, betreute dort Kriegswaisen, physisch und psychisch kranke Kinder. Und er nahm bosnische Flüchtlinge bei sich in Meckenheim auf.

Ein Beschluss der Innenministerkonferenz vom 22. Mai 1992 verlangte eine Garantieerklärung von Menschen, die Bosnienflüchtlinge bei sich aufnehmen wollten. Eine unwiderrufliche Garantieerklärung. Römisch gab nicht nur eine, sondern gleich zwei ab. So verpflichtete er sich „unwiderruflich, die Kosten für den Lebensunterhalt des vorgenannten Aufenthalt begehrenden Ausländers während seines voraussichtlichen Aufenthalts im Bundesgebiet zu tragen.“ Die erste 1993, die zweite 1997.

Doch beide Male widerrief er sie nach ein paar Monaten. Denn Römisch hatte sich verkalkuliert. 1993 musste er feststellen, „dass die kompletten Lebenshaltungskosten einer vierköpfigen Familie meine Einkünfte bei weitem übersteigen und ich auf längere Sicht selbst zu einem Sozialfall werden könnte“. Als er 1997 einer bosnischen Mutter ermöglichen wollte, ihre Tochter zurück nach Bosnien zu holen, ging seine Rechnung ebenfalls nicht auf. Der Heilungsprozess der Tochter, als Kontingentflüchtling eingereist und hier mehrfach an den Augen operiert, verzögerte sich. Aus drei wurden sechs Monate Deutschland. Wie schon im ersten Fall musste das Sozialamt der Stadt Meckenheim einspringen und gewährte der Bosnierin Sozialhilfe. Und forderte das Geld anschließend von Römisch zurück. Dieser legte Widerspruch ein. Unbegründet, nach Ansicht der Stadt. „Wir haben bei dieser Entscheidung keinen Ermessensspielraum“, erklärte der Erste Beigeordnete Meckenheims, Stefan Hange, die unnachgiebige Haltung der Gemeinde. „Der Mann hat drei Bundesverdienstkreuze verdient“, so Sozialamtsleiter Dieter Schardt. Aber Gesetz bleibe eben Gesetz.

Bereits vor einem Jahr hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in einem ähnlichen Fall entschieden. Eine in München lebende Bosnierin mit geringem Einkommen hatte ihrem Bruder und dessen vierköpfiger Familie mit einer Garantieerklärung die Einreise ermöglicht, ohne deren Lebensunterhalt tatsächlich tragen zu können. Die der Familie ihres Bruders daraufhin gewährte Sozialhilfe in Höhe von 26.636 Mark wollte sich die Stadt anschließend von der Frau zurückholen. Vor dem BVerwG erzielte die Bosnierin einen Teilerfolg. Zwar bestehe eine grundsätzliche Erstattungspflicht. Die politische Entscheidung, Bosnienflüchtlingen die Einreise nur bei Vorliegen eine Verpflichtungserklärung zu erstatten, verstoße weder gegen rechtsstaatliche Grundsätze noch gegen die guten Sitten, urteilte das Gericht. Aber die Behörden müssten Ermessenserwägungen anstellen, ob sie ihren Erstattungsanspruch wirklich geltend machen wollten. Indem die zuständigen Behörden Flüchtlingen die Einreise gestatteten, obwohl die finanziellen Lasten, die sich daraus ergeben konnten, nicht vorher abschätzbar gewesen seien, hätten sie eine Mitverantwortung für das Risiko übernommen.

In der Verhandlung gegen Römisch empfahl das Verwaltungsgericht der Stadt Meckenheim, sich mit Römisch gütlich zu verständigen. Nach zehnminütiger Beratungspause gaben die Meckenheimer klein bei. „Nach reiflicher Überlegung“, so Stadt-Prozessvertreter Hange, habe man sich entschieden, die Zahlungsbescheide gegen Römisch aufzuheben. Dessen Anwaltskosten wolle man aber nicht tragen. Die Stadt habe doch „relativ Recht“, die Garantieerklärungen seien schließlich tatsächlich unwiderruflich gewesen. Pascal Beucker

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