Mensch gegen Maschine: Google Computer führt 2:0
In der südkoreanischen Hauptstadt tritt der Go-Meister gegen einen Google-Computer an. Doch auch im zweiten Match besiegt die Maschine den Menschen.
Doch es kommt noch schlimmer: Denn auch das zweite Match wird der 33-Jährige nicht gewinnen. In Situationen wie diesen, behaupten Kenner des Sports, sei das Go-Wunderkind, das bereits mit zwölf Jahren seine Profikarriere begann, am stärksten. Lee Sedol sagt: „Ich habe das Spiel genossen.“
Dennoch ist am Mittwoch genau jener „historische Augenblick für die Menschheit“ eingetreten, wie ihn Google-Gründer Eric Schmidt bereits am Vortag unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen hervorgesagt hat: Eine Computer-Software hat den wohl besten Go-Spieler der Welt besiegt. Selbst kühne Optimisten hätten diesen Meilenstein in der künstlichen Intelligenz frühestens in fünf bis zehn Jahren für möglich gehalten.
Der mit einer Million US-Dollar dotierte Wettkampf ist in seiner Symbolik wohl nur mit jenem historischen Spiel vor 20 Jahren vergleichbar, als der IBM-Computer Deep Blue den Schachweltmeister Garry Kasparow in die Knie gezwungen hat. Dabei lag damals die Intelligenz der Software ausschließlich in den Köpfen seiner Programmierer. Deep Blue folgte blind seinen auferlegten Regeln, lernen konnte die Software nicht. An einem professionellen Go-Spieler wäre sie haushoch gescheitert.
Das jahrtausendealte Brettspiel aus China ist um ein Vielfaches komplexer als Schach: Auf dem Raster aus 19 mal 19 Feldern sind mehr Spielkonstellationen möglich, als es Atome im Universum gibt. Reines Durchprobieren aller Varianten stößt bei Go daher an seine Grenzen, zumal ein gesetzter Stein oftmals erst nach Dutzenden weiteren Spielzügen seine Wirkung entfaltet. Selbst die versiertesten Spieler müssen sich letzten Endes auf ihre Intuition verlassen.
Dass ein Computer solch menschliche Fähigkeiten meisten würde, klang jahrzehntelang nach ferner Zukunftsmusik – bis die Entwickler des Londoner Start-ups DeepMind antraten, eine der letzten Bastionen der menschlichen Überlegenheit zu erklimmen. Vor weniger als zwei Jahren begannen sie mit ihrer Arbeit an AlphaGo, einem Computer, der lernt. Eigenständig lernt.
AlphaGo wird gefüttert
„Die meisten Leute im Bereich künstliche Intelligenz waren damals nicht sonderlich an Neurowissenschaft interessiert. Wir von DeepMind stimmen jedoch alle überein, dass das menschliche Gehirn ein Beleg dafür ist, dass man Intelligenz nachbilden kann“, sagt Forscher Thore Graepel. Als ersten Schritt fütterten die Entwickler AlphaGo mit den Datensätzen von tausenden Go-Spielen.
Anschließend spielte die Software mehr als 30 Millionen Matches gegen sich selbst. So hat das System auf Grundlage der Datenmenge Gewinnstrategien erlernt, Wahrscheinlichkeitsverteilungen für die erfolgversprechendsten Spielzüge errechnet. Je mehr Zeit AlphaGo hat, desto besser wird es. Die Software funktioniert wie das neuronale Netzwerk eines menschlichen Gehirns.
Der Mastermind hinter DeepMind ist Demis Hassabis, Sohn eines zyprischen Einwanderers. Mit fünf Jahren trat der Brite bereits bei nationalen Schachwettbewerben an, mit 16 entwickelte er während seines „Sabbaticals“ das Computerspiel „Theme Park“, welches sich millionenfach verkaufte, und das Informatikstudium in Cambridge schloss der heute 38-Jährige mit Auszeichnung ab.
Hassabis ist der festen Überzeugung, dass sich die großen Fragen der Menschheit nur mit Hilfe künstlicher Intelligenz lösen lassen werden. Klimaprobleme, Börsenentwicklungen, Krankheitsforschung: alles Bereiche, in denen die Menge an verfügbaren Daten und deren Zusammenhänge die Kapazitäten des menschlichen Gehirns überfordern.
Google steigt ein
Sein 2010 gegründetes Startup DeepMind verkauft er vier Jahre später an Google, es ist die bis dato größte Investition des Internetriesen in Europa. Die Kalkulation dahinter: Die finanziellen Ressourcen der Amerikaner würden Hassabis den nötigen Freiraum bieten, um sich ganz auf seine Forschung zu konzentrieren. Das Ziel von DeepMind lautet: „solve intelligence“ – Intelligenz zu lösen. Wenn man dem Briten zuhört, scheint es nur mehr eine Frage der Zeit, bis Maschinen auch ein menschliches Bewusstsein entwickeln.
Darüber wird jedoch noch heftig gestritten: Erst vor drei Tagen meinte Fei-Fei Li, Professorin für Computerwissenschaft an der Stanford University, heutige Maschinen seien derzeit „näher an einer Waschmaschine denn an einem Terminator“. Stephen Hawking warnte hingegen in einem offenen Brief vom Januar 2015: „Es ist denkbar, dass solche Technologien unsere Finanzmärkte austricksen, menschliche Forschung abhängen, Führungsspitzen manipulieren und Waffen entwickeln, die wir nicht einmal begreifen werden.“
Um menschliche Intelligenz zu definieren, ziehen die wenigsten KI-Wissenschaftler philosophische Kategorien heran. Am konsensfähigsten hat sich der bereits 1950 entwickelte Test des britischen Computerwissenschaftlers Alan Turing herausgestellt: Dafür muss man sich zwei Gesprächspartner vorstellen, die – getrennt durch eine Wand – über eine Tastatur kommunizieren. Auf der einen Seite ein Mensch, auf der anderen Seite ein Computer. Sollte es nun eine Software schaffen, ein willkürliches Gespräch – etwa über Politik oder das Wetter – aufrechtzuerhalten, ohne als künstliches System aufzufallen, dann hat sie ein „menschliches Bewusstsein“ erlangt.
„Technologie ist nie neutral“
„Das halte ich für ausgeschlossen – zumindest in unserem Jahrhundert“, sagt Raul Rojas, der an der FU Berlin Künstliche Intelligenz lehrt und derzeit eine Gastprofessur an der Universität Nevada innehält. Gleichzeitig begrüßt Rojas staatliche Regulierungen: „Technologie ist nie neutral. Künstliche Intelligenz bietet einen riesigen Anwendungsbereich – für das Gute und das Böse.“
Als das zweite Spiel zwischen Lee Sedol und AlphaGo am Donnerstag beginnt, sprechen die Kommentatoren schon bei der Eröffnung mehrmals von „bizarren“, „überraschenden“ und „kreativen“ Spielzügen, die nicht von einem Menschen stammen könnten. Ob es sich dabei um Fehler oder Geniestreiche handelt, vermögen sie nicht zu sagen. Nach der Hälfte des Spiel deutet sich bereits an: Lee Sedol wird auch diesmal verlieren.
Er hält zwar dagegen, es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen bis zur Nachspielzeit. Doch später sagt der Südkoreaner: „Gestern war ich überrascht, aber heute bin ich einfach nur sprachlos. Ich hatte zu keiner Sekunde das Gefühl, zu führen.“
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