Memoiren von Britney Spears: Die Frechheit, weiterzuleben
Die Memoiren der US-Sängerin Britney Spears erscheinen demnächst. Vom Versuch einer Frau, endlich frei zu sein.
Olympia Bukkakis, die weiseste aller Berliner Dragqueens, eröffnete diesen Sommer eine Show mit einem Andenken an die da gerade verstorbene Sinéad O’Connor. Britney Spears nahm in der Rede dann einen prominenten Platz ein, denn unsere Kultur sei davon besessen, Frauen fallen zu sehen. Doch dass sie wieder aufstehen, das gehört nicht ins Programm. Unsere Romane, Filme und Gossipmagazine sind voll von zerstörter Unschuld, von strahlenden Sternchen, die zusammenbrechen und tragisch mit einer Überdosis verglühen. Das Bild der toten Frau ist zentraler Antriebspunkt unserer Kultur, auf Gemälden ebenso zu finden wie als Handlungsauslöser in Krimis.
Doch Britney Spears weigert sich beharrlich, diesem narrativen Bogen zu gehorchen. Und nun erzählt sie sogar ihre eigene Geschichte: Am Dienstag veröffentlichte das amerikanische Boulevardblatt People Magazine Exzperte von Spears’ Autobiografie „The Woman in me“, die Ende Oktober erscheinen soll. Darin berichtet sie (oder ihre Ghostwriter) unter anderem davon, dass sie eine Abtreibung habe vornehmen lassen, während sie 1998 bis 2002 in einer Beziehung mit dem Sänger Justin Timberlake war.
„Es war eine Überraschung“, schreibt die heute 41-Jährige über die Schwangerschaft, „aber für mich war es keine Tragödie. Ich liebte Justin. Ich hatte immer erwartet, dass wir eine Familie gründen.“ Aber Timberlake habe sie zu einer Abtreibung gedrängt: „Justin war definitiv nicht glücklich über die Schwangerschaft. Er sagte, wir seien nicht bereit für ein Baby in unserem Leben.“ Später hatte Spears zwei Söhne aus einer anderen Beziehung.
Verschiedene Medien haben Timberlake um ein Statement gebeten, doch noch schweigt er sich aus. Sowohl er als auch Spears sind Produkte der amerikanischen Kulturindustrie. Schon als kleine Kinder traten sie im Fernsehen auf, beim Disney Club. Dass die Heranzucht von Menschen zu Entertainmentmaschinen eine gewisse Grausamkeit darstellt, wurde spätestens dann offenbar, als Spears in den 2000ern einen spektakulären Zusammenbruch erlitt.
Vormundschaft als Gefängnis
Danach wurde ihr die Mündigkeit abgesprochen und ihre Eltern übernahmen 13 Jahre lang die Kontrolle über jeden Aspekt ihres Lebens. Erst im November 2021 wurde die Vormundschaft aufgehoben, nachdem Spears jahrelang gerichtlich dagegen gekämpft hatte. Fans hatten sie mit einer Kampagne unterstützt: #FreeBritney. Aufmerksamkeit erregte vor allem die Offenlegung, dass Spears verboten wurde, ihre Spirale zu entfernen, obwohl sie weitere Kinder wollte. Sie sollte nicht schwanger werden, damit sie weiterhin als Sängerin und Tänzerin auf die Bühne geschickt werden konnte.
In den Ausschnitten aus Spears’ Memoiren finden sich auch Stellen, die zeigen, wie sehr die Vormundschaft einem Gefängnis glich. „Mein ganzes Leben haben Menschen mich von oben nach unten angekuckt und mir gesagt, was sie von meinem Körper halten.“ Der öffentliche Zusammenbruch sei ein Versuch gewesen, daraus auszubrechen. Aber in der Vormundschaft sollte es keine solchen Ausbrüche geben: „Ich musste meine Haare wachsen lassen und zurück in Form kommen. Ich musste früh ins Bett und alle Medikamente nehmen, die sie mit befohlen haben zu nehmen“, schreibt Spears.
Einer von Spears’ größten Hits heißt „Work Bitch“ (Arbeite, Schlampe) von 2013, der Zeit, in der sie unter Vormundschaft stand. Der Text lautet:
You want a Lamborghini?
Sip martinis?
You wanna live fancy?
Live in a big mansion?
Party in France?
You better work, bitch.
Damals gab es viel Feuilletongeraschel über den neoliberalen Geist, den diese Zeilen atmen. Doch in Wahrheit ist die Tragödie dieses Liedes viel banaler und grausamer: Das sind genau die Sätze, die Spears’ Eltern, die ihr Leben kontrollierten und ihr Geld verwalteten, ihr gesagt haben dürften: „Now get to work, bitch! (ah-ah)“ Es ist darum endlich an der Zeit, dass Spears ihre eigene Geschichte erzählen und sich so etwas aus den Zuschreibungen befreien kann, in denen wir alle sie gefangen halten.
Sie lebt einfach weiter
Was an Britney Spears so verstört und fasziniert, ist, dass sie weiterlebt. Nachdem sie sich symbolisch die Weiblichkeit genommen hat, indem sie sich die langen blonden Haare abrasierte, nachdem sie vor den gierigen Kameraaugen der Papparazzi einen Nervenzusammenbruch hatte, lebt sie nun einfach weiter. Sie wird langsam älter und ein bisschen faltiger, sie stellt alberne Videos von sich auf Social Media, sie verliebt sich und trennt sich wieder, wie das Menschen eben so tun.
Das alles ist so nicht vorgesehen. Wir wollen nicht, dass eine Celebrity so banal mit ihrem Leben zu kämpfen hat, sich wieder aufrappelt und dann irgendwie weiter durchs Leben torkelt wie wir alle. Sterne müssen verglühen, denken wir. Aber Britney Spears ist kein Stern, sie ist ein Mensch. Und wie alle Menschen hat sie es verdient, weiterzutorkeln und vielleicht irgendwann ein bisschen glücklich zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier