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Melancholischer HerbstAbbaden mit Gefühl

Abbaden macht sentimental. Es neigen sich die Tage draußen nun einmal mehr dem Ende zu. Der Sommer ist gegangen und hat wieder ein Jahr mitgenommen.

Die letzten Sonnenstrahlen am See Foto: Sabine Gudath/imago

U nd wieder ist ein Jahr vorüber. Im goldgrünen Licht des Frühherbstes stehe ich bis zu den Knien im eiskalten Wasser des Kleinen Schnuffinchensees bei Drivenow. Heute ist es wieder so weit: abbaden.

Im See tummeln sich vor allem Kinder und sehr alte Leute. Wer im Frühjahr oder Herbst ins kalte Wasser geht, ist entweder sehr alt oder sehr jung und offenbar schmerzfrei. Die einen haben noch den Krieg erlebt, die anderen wissen gar nicht, was Krieg ist. Beides scheint hier irgendwie von Vorteil. Ausgerechnet wir Kinder des Kalten Kriegs stehen zögernd am Rand herum.

Ich bin in einem schwierigen Alter. Zu Angst und Wut, Weinerlichkeit und Starrsinn kommt nun auch noch Temperaturempfindlichkeit hinzu. „Anstellerei“ hätte meine Mutter das genannt. Aber die ist ja auch ein Kriegskind. Apropos: Die Kinder hier sind bald so blau wie Schlümpfe. Manche müsste man mit einem Kran aus dem Wasser heben. Sie sind wie Wale: Freiwillig gehen die nicht an Land.

Das Abbaden macht mich immer sentimental. Damit neigen sich auch unsere Tage hier draußen einmal mehr dem Ende zu. Die Datschensaison ist vorbei und wir machen alles winterfest; schneiden Hecken, packen Klamotten ein, schrauben Boiler ab, geben Frostschutzmittel ins Klo und legen die Gartenpumpe still. Vor März kommen wir nicht wieder.

Ein schöner Winter

So ein Jahr ist wie ein Leben: Geburt, Wachstum, Blüte, Verfall, Tod. Von jedem dieser Leben habe ich – an dieser Stelle rate ich einfach – vielleicht achtzig, neunzig, hundert Stück, die aber Jahr für Jahr weniger und dem Feeling nach zugleich auch in sich kürzer werden. So ein Andropausenjahr saust schneller an einem vorbei als früher so manche Schulstunde.

Das lässt mich melancholisch werden. Der Sommer ist gegangen und hat wieder eines meiner kostbaren Jahre mitgerissen. Das ersetzt einem ja keiner. Was habe ich damit gemacht? ­Wieder nur Scheiße. Ich gehe nun bis zum Bauch hinein. Brrr.

Wie oft noch ab-, wie oft noch anbaden? In absehbarer Zeit werden die Finger beider Hände ausreichen, um die verbleibenden Male abzuzählen. Dann wird mich die Wehmut schon beim Anbaden packen, und ich werde bereits im Frühling neben den Tränen der Kälte auch solche des Abschiedsschmerzes in den Augen haben.

Mein Urologe Zbigniew sagt immer, „Nach dem Herbst kommt noch ein schöner Winter.“ Er hat gut reden, er kommt aus dem kalten Lublin. Aber eines Tages werde auch ich die Kälte nicht mehr spüren. Ich lasse mich lang ins Wasser fallen.

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Uli Hannemann
Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.
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1 Kommentar

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  • Ok Uli. Dann meld dich mal wieder - kerr! - 🤫 -