Meinungsunfreiheit in Serbien: „Kriminelle, Trottel, Arschlöcher“
Der Autor Marko Vidojković musste nach Morddrohungen aus Belgrad ins Ausland fliehen. Er sieht das Land auf dem Weg in eine totalitäre Gesellschaft.
taz: Herr Vidojković, Sie sind einer der bekanntesten Kolumnisten und ein mit zig Preisen ausgezeichneter Autor Serbiens. Vor einem Jahr mussten Sie aus Belgrad fliehen, warum?
geboren 1975 in Belgrad, Kolumnist, Podcaster und Autor von 10 Romanen, hat als Redakteur u. a. beim Playboy gearbeitet und war Punk-Sänger.
Marko Vidojković: Die serbische Regierung besteht aus Amateuren, Kriminellen, Trotteln und Arschlöchern, die komplett unfähig sind, ihren Job zu machen. Sie alle wissen das. Wir alle wissen das. Wer diese Wahrheit aber ausspricht, den machen sie fertig.
Wie geht fertigmachen auf Serbisch?
In den letzten zehn Jahren fuhr die Regierung gemeinsam mit den von ihnen kontrollierten Medien in Fernsehen, Zeitungen und Social Media Kampagnen gegen mich und baute mich zum Landesfeind auf. Es begann damit, dass Veranstalter eingeschüchtert und daran gehindert wurden, Buchvorstellungen mit mir zu organisieren. Dann wurde ich aus allen staatlich kontrollierten Medien verbannt. Und dann kamen die Morddrohungen.
Ernst zu nehmende?
Nun, wir wissen alle, dass das serbische Regime mit dem organisierten Verbrechen eng verbunden ist. Man kann also nie wissen. Als der Journalist, mit dem ich meinen wöchentlichen satirischen Podcast „Dobar, loš, zao“ („Gut, schlecht, böse“) mache, vor fünf Jahren die erste Morddrohung erhielt, war das eine neue Qualität. An Schmier-, Hass und Drohkampagnen waren wir längst gewohnt, gegen mich laufen dutzende Slapp-Klagen, also Einschüchterungsklagen seitens der höchsten Repräsentanten des Landes: von Premier Aleksandar Vučić über den Chef des Geheimdienstes, vom Minister für Polizei und Militär bis zum Bürgermeister von Belgrad. Inzwischen aber habe ich eben auch Hunderte Todesdrohungen, die reichen von Zunge rausschneiden, Hände abhacken bis erschießen.
Sie sind mittlerweile mehrfach innerhalb Europas umgezogen und leben an einem unbekannten Ort.
Der Pen International hat 2023 meinen Fall untersucht und kam zu dem Ergebnis, dass ich und meine Ehefrau auf verschiedenen Ebenen in einer lebensbedrohlichen Lage sind. Insbesondere wegen der aufgeheizten öffentlichen Stimmung: Wäre mir etwas passiert, hätte das in Serbien nicht für einen Skandal gesorgt. Ich wäre ein erwartbares Opfer gewesen.
Warum hat das Regime ausgerechnet Sie ausgesucht?
Ich bin zwar nicht ganz unbekannt, aber auch bei Weitem nicht so einflussreich, dass ich eine Bedrohung für das Regime wäre. Sie statuieren an mir nur ein Exempel: Er macht sich über uns lustig, also werden wir sein Leben zerstören. Damit die anderen sehen, wo es hinführt, wenn man die Regierung kritisiert.
Ihr Humor ist das Problem?
Auch. In Autokratien werden alle bestraft, die die Autorität angreifen. Aber meine Rolle als öffentliche Person ist es nun mal, alles und jeden zu kritisieren, der es verdient hat. Egal, wie gefährlich es ist. Jetzt stellte sich aber heraus, dass es doch ziemlich gefährlich ist.
Sie machen aber trotzdem weiter.
Ja. Vor zwei Wochen war ich mal wieder auf dem Titel des größten Boulevardblatts informer und wurde als „menschlicher Abfall“ und „Landesverräter“ bezeichnet. In meiner Kolumne hatte ich über die kroatischen und albanischen Fußballfans geschrieben, die bei der EM im Hamburger Volksparkstadion „Tötet alle Serben“ gebrüllt hatten. Ich fand das zwar auch schwer verstörend, gleichzeitig plädierte ich aber auch für Nachsicht. Man stelle sich vor, die Botschaften aus Belgrad während der letzten 35 Jahre wären in Richtung der Nachbarstaaten friedlich und freundlich gewesen und nicht ewig hasserfüllt. Würden die Kroaten und Albaner dann immer noch dazu aufrufen, alle Serben zu töten, wäre die Sache klar. So aber hat auch Serbien eine Verantwortung für das Benehmen der Nachbarn. Das gefiel der serbischen Regierung natürlich nicht.
Ihr Fall ist nicht unbekannt, dennoch bleibt ein großer Aufschrei seitens der EU aus. Empfinden Sie das relative Schweigen des Westens zur politischen Entwicklung Serbiens als Hohn?
Serbien ist nicht die Türkei, wo Zehntausende im Knast sitzen. Bei uns reicht es, 50 oder 100 Kritiker mundtot zu machen, um das ganze Land zum Schweigen zu bringen. Außerdem ist Serbien voll mit russischem, chinesischem und europäischem Kapital. Wen interessiert da irgendein serbischer Marko?
Aus strategischen Gründen?
Obwohl alle wissen, dass Serbien eine putingleiche Autokratie geworden ist und sich auf dem Weg in eine totalitäre Gesellschaft befindet, macht der Westen immer noch große Augen, wenn er hört, was hier wirklich los ist. Aber so wie damals unter dem Kriegsverbrecher Slobodan Milošević glaubt der Westen auch heute, dass Serbien für die Stabilität der Region wichtig ist. Dabei geht von ihm die größte Instabilität aus.
Sie können aber ja immerhin doch noch publizieren?
Nicht in den von regimetreuen Kriminellen kontrollierten staatlichen Medien, die 95 Prozent ausmachen. Der Rest, zwei TV-Sender, zwei Zeitungen und eine Wochenzeitung gehören United Media, einem Luxemburger Unternehmen, zu dem auch die Zeitung Danas gehört, in der meine tägliche Kolumne publiziert wird. Die Zeitung lässt mir alle Freiheiten, aber trotzdem stehe ich unter Autozensur. Die Zeitung hat berechtigte Angst, dass meine Aussagen aus dem Kontext gerissen werden und gegen das gesamte Unternehmen und meine Kollegen gewendet werden, was in der Tat auch passiert.
Gibt es eine Chance, dass ein neues Otpor entsteht, die Bewegung, die am Sturz von Slobodan Milošević beteiligt war?
Nein. Im Gegenteil. Die Mehrheit in Serbien ist schwer religiös, schwer konservativ bis rechtsextrem, voller Hass gegen Kroaten, Albaner, Bosniaken und die EU. Wer das nicht ist, verlässt das Land. Es gibt auch unter den Jugendlichen keine kritische Masse mehr.
Sie gehörten in den 1990ern zu den Jugendlichen, die gegen Milošević protestierten.
Ja, wobei auch wir erst, als der Krieg 1995 beendet war, langsam verstanden, dass wir von Lügnern und Dieben betrogen wurden, und auf die Straße gingen. Serbiens größtes Problem heute ist immer noch, dass niemand die Verantwortung für die Verbrechen in den 1990er Jahren übernimmt. Eher stirbt der letzte Serbe auf diesem Planeten, bevor sich einer von ihnen öffentlich entschuldigt.
Was würde ein EU-Beitritt ändern?
Demokratie, Menschenrechte, eine funktionierende Ökonomie und eine wirklich zivile Gesellschaft zurückzubringen. Das ginge nur mit riesigen finanziellen Hilfen, die den Chinesen und Russen das Wasser abgraben. Ansonsten ist Serbien unreparierbar zerstört.
Aber auch innerhalb der EU bewegt sich die Gesellschaft zurzeit nach rechts.
Ich halte mich für einen vernünftigen, realistischen, nicht idealistischen Typen. Aus dieser Haltung heraus sage ich: Die EU ist die bestmögliche Idee von Gesellschaft, die wir haben, und um die müssen wir kämpfen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles