Meinungsfreiheit in China: Der Widersacher
Er galt als einer der schärfsten und letzten Regierungskritiker Chinas. Nun muss der Milliardär Ren Ziqiang für seine Kritik büßen.
Am Dienstag hat ein Pekinger Gericht den mächtigen Immobilien-Tycoon Ren Ziqiang mundtot gemacht: Ren wurde zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt, was für den 69-Jährigen einer lebenslänglichen Strafe gleichkommt. Wie so oft in China lässt sich der Fall in zwei Versionen erzählen: Offiziell handelt es sich um einen riesigen Korruptionsskandal. Ren, der dem Huayuan-Konzern vorstand, soll als Bauträger Millionen unterschlagen, Bestechungsgelder angenommen und öffentliche Gelder veruntreut haben.
Diese Version passt auch in die öffentlichkeitswirksamen Gelübde von Präsident Xi Jinping, unter den korrupten Eliten des Landes aufzuräumen. Doch viele Experten halten jene Straftatbestände nur für einen Vorwand. Denn Ren galt auch als einer der schärfsten – und letzten – Regierungskritiker, die öffentlich ihre Opposition gegen Chinas Partei- und Staatschef Xi zum Ausdruck brachten. Rens Blog bei Weibo hatte vor dessen Sperrung 2016 bis zu 30 Millionen Follower.
Rens Vergehen sind in den Augen der Kommunistischen Partei endlos: So mokierte er sich über die Forderung der Staatsführung, dass Chinas Medien ausschließlich den ideologischen Interessen der Partei folgen sollten. Sein Konter, dass Journalisten vor allem dem Volk verpflichtet seien, erhielt damals viel Zuspruch. Doch die rote Linie überschritt Ren endgültig im letzten März: Da prangerte er in einem Essay Präsident Xi höchstpersönlich für das Krisenmanagement zu Beginn der Coronapandemie an.
Ohne Xis Namen zu nennen, sprach er von einem „Clown“ ohne Kleider, der versuche, den „Kaiser zu spielen“. Xis Propagandarede von Ende Februar, in dem er sich als unermüdlicher Kämpfer gegen das Virus inszenierte, hielt Ren für eine einzige Lüge. Dass die Regierung keine Verantwortung für die Vertuschung der Corona-Katastrophe übernommen habe, sei symptomatisch für ein „krankes politisches System“.
Diplomaten der Einlass verweigert
Ren wurde darauf unverzüglich im Pekinger Haus seiner Schwester abgeführt und in Untersuchungshaft genommen. Das ungewöhnlich rasche Verfahren jetzt lässt sich als Schauprozess bezeichnen: Wie Hongkongs South China Morning Post berichtet, durfte der Beschuldigte seinen eigenen Anwalt erst am Prozesstag treffen. Das Gebäude war von Sicherheitskräften umzingelt, auch westlichen Diplomaten wurde der Einlass verweigert.
Das harte Urteil hat viele überrascht und dürfte eine Warnung an öffentliche Intellektuelle sein. Dabei traut sich unter Xis Herrschaft ohnehin kaum noch jemand, sich öffentlich zu sensiblen Themen zu äußern. Ren galt noch vor wenigen Jahren für den Sicherheitsapparat als unangreifbar: Zum einen ist sein Vater der stellvertretende Handelsminister, Familienmitglieder gehörten zur ersten Parteigarde um Mao Tsetung. Gleichzeitig unterhielt der einstige Immobilienentwickler viele Kontakte zu Unternehmern und mächtigen Beamten. Vom Gericht hieß es, Ren habe „freiwillig seine Verbrechen gestanden“ und werde keine Berufung einlegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Wirkung der Russlandsanktionen
Der Rubel rollt abwärts
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen
Rauchverbot in der Europäischen Union
Die EU qualmt weiter