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Meinungschef verlässt „New York Times“Rücktritt nach Gastkommentar

„NYT“-Meinungschef Bennet räumt seinen Posten nach einem Gastbeitrag. Darin forderte ein Republikaner Militäreinsätze bei Demos.

James Bennet: zurückgetretener leitender Meinungsredakteur der „New York Times“ Foto: Larry Neumeister/ap

Berlin taz | Am Wochenende endete, zumindest vorläufig, eine glänzende Journalistenkarriere. Nach Auseinandersetzungen über einen Gastbeitrag im Meinungssegment der New York Times musste der Abteilungsleiter seinen Posten räumen. James Bennet zeichnete neben dem zuständigen Redakteur Jim Dao für ein Stück des republikanischen Senators Tom Cotton verantwortlich, der unter der Überschrift „Send in the troops“ für den Einsatz des Militärs gegen die Proteste zu dem Tod George Floyds warb.

Neben Kritik von Leser*innen sah sich die Führungsspitze der Times mit für US-Medien ungewöhnlich öffentlichen Protesten der Journalist*innen aus dem eigenen Haus konfrontiert. So wurde Bennet vorgeworfen, mit der Veröffentlichung ganz unmittelbar Leben zu gefährden, nicht zuletzt die der Schwarzen Angestellten der Zeitung.

Bennet, der vor einem Intermezzo als Chefredakteur des Atlantic bereits von 1991 bis 2006 für die New York Times tätig war, übernahm 2016 die Leitung des Meinungsressorts, das strikt vom Newsroom getrennt arbeitet. Er galt als möglicher Nachfolger des 63-jährigen Chefredakteurs Dean Baquet. Seine Aufgabe, konservative Stimmen für Gastbeiträge zu gewinnen, machte ihn regelmäßig zum Mittelpunkt von Kontroversen.

So sorgte die Verpflichtung des neokonservativen Bret Stephens als Kolumnist für Kritik. Die Konflikte über die Meinungsseite der Times seit 2016 spiegeln dabei das grundsätzliche Problem der ausgewogenen Repräsentanz verschiedener Haltungen in gesellschaftlichen Debatten wieder, wenn sich der Streit weniger um die Bewertung von Fakten als um die Beschreibung der Realität selber dreht.

So ist der Hauptvorwurf gegen das „Send in the troops“ von Cotton die Verwendung falscher Behauptungen als Grundlage der Argumentation. Inzwischen findet sich auf der Webseite der Times eine ergänzende Anmerkung zu dem Text, dass der nicht den redaktionellen Standards der Zeitung entspreche und nicht hätte erscheinen dürfen.

Während Herausgeber A G. Sulzberger die redaktionelle Entscheidung des Meinungsteams zunächst verteidigte, drängte er schließlich auf eine personelle Umstrukturierung. In einer Botschaft an die Mitarbeiter*innen schrieb Sulzberger, dass Bennet und er übereingekommen seien, „dass es ein neues Team benötigt, um die Abteilung zu führen“. Jim Dao musste seinen Position als Meinungsredakteur ebenfalls aufgeben. Ihm wird eine neue Rolle im Newsroom zugewiesen. Vorläufig übernimmt Katie Kingsbury, bisher stellvertretende Chefin, die Leitung des Meinungsressorts.

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3 Kommentare

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  • Jacob Heilbrunn ist Chefredakteur des Debattenmagazins "The National Interest". Er ist Autor des Buches "They Knew They Were Right: The Rise of the Neocons".

    Interviewt im Tagesspiegel von Malte Lehming:

    "Hätten Sie den Beitrag in Ihrem Magazin veröffentlicht?



    Auf alle Fälle, ich hätte mich gefreut, ihn publizieren zu können. Eine Meinungsseite existiert durch Kontroversen. Wenn dort jeden Tag dasselbe Weltbild verbreitet wird, verliert sie ihre Existenzberechtigung. Der Liberalismus verpflichtet jeden von uns, sich liberal zu benehmen. Wir dürfen Meinungen nicht unterdrücken, sondern müssen sie drucken."

    "Wie erklären Sie sich den Aufstand innerhalb der 'New York Times' gegen die Veröffentlichung des Artikels?

    Wir erleben einen Krieg der Generationen. Die jüngeren Zeitungs-Kollegen haben andere Werte als die älteren. Objektivität und Pluralismus gelten nicht mehr als oberste Ziele. Nur was 'wahr' ist, soll verbreitet werden. Allerdings wollen die jüngeren Kollegen selbst bestimmen, was Wahrheit ist. Das hat gefährliche Züge.

    Ist das antiliberal?



    Es ist illiberal."

  • Zitat: „Bennet [...] übernahm 2016 die Leitung des Meinungsressorts, das strikt vom Newsroom getrennt arbeitet.“

    Hab ich das richtig verstanden? Die New York Times entwickelt Meinungen getrennt von selbst recherchierten Inhalten? Wieso das? Weil sie drauf hofft, dass sie so Lesende (und vor allem Zahlende) gewinnen kann, die sich trotz rechter Ansichten gern eher links fühlen möchten - oder doch wenigstens ein Trostpflaster geklebt haben wollen auf die Wunden, die sie sich holen, wenn sie erfahren wollen, was der links angehauchte Chef so alles weiß?

    Wenn dem so wäre, wundert mich dieser GAU gar nicht. Es hilft dann auch nicht, will mir scheinen, wenn die Zuständigen Köpfe rollen lassen. Jedes neue Team unter neuer Führung wird dann genau die gleichen Schwierigkeiten kriegen. Einfach deswegen, weil es nicht weiß, was es gerade tut.

    Aber vielleicht soll das ja so. Als ich in den frühen 1990ern zum Bundesbürger umerzogen werden sollte, hat man versucht mir beizubringen, dass die beste aller Werbungen die ist, die konfliktbelastet daher kommt. Aufmerksamkeit sei schließlich ein Wert an sich. Und je strittiger ein Medium sei, um so mehr Leute würden es erwerben wollen. Schon um mitreden zu können über den (Vermeintlichen oder realen) Skandal. Geld sei eben doch das aller wichtigste, hieß es damals, und eine schlechte Publicity sei allemal besser als gar keine.

    Womöglich hat sich dieses uralte Erfolgsrezept ja festgesetzt in irgendwelchen sturen Köpfen. Und wenn es neuerdings die eignen Leute Leben und Gesundheit kosten kann, live „News“ zu generieren, weil in den USA derzeit ein so in der Ideologie nicht vorgesehener Präsident regiert, dann ist das vielleicht so nach Ansicht der die New York Times grad Lenkenden. „Wir müssen schließlich alle Opfer bringen in schwierigen Zeiten wie diesen“, hör ich sie sagen in meinem schmerzenden Hinterkopf. „Wenn auch nicht alle gleich schmerzhafte.“

  • Der Artikel / Kommentar von Tom Cotton wurde ausdrücklich in der Meinungsseite der NYT veröffentlicht, vielleicht hätte man sofort den Vermerk darauf ,das dies nicht die Redaktionsmeinung ist, mit veröffentlichen sollen. Von der Sache her fand ich eigentlich immer diese Zeitung als mehr links tendierend , aber gerade in dieser Spalte, der Meinungsseite , sollte eine andere Meinungsdarstellung erlaubt sein. Die Überschrift allerdings, die hätten Bennet und Dao nicht so stehen lassen dürfen.