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Meine Familie, die Freakshow

■ Die wunderbare Welt des John Waters – Das Fama zeigt Höhepunkte des White Trash

Eine ganz normale Familie: Vati betreibt das örtliche Porno-Kino, die Tochter läßt sich vom Punk der Stadt schwängern, Sohnemann ist Fußfetischist, und Mutti säuft. Aber am Ende wird alles gut: Vati wird bestraft, die Tochter findet ihr Glück in der Heimarbeit, Sohnemann kommt als Bildhauer aus der psychiatrischen Behandlung und Mutti erhält Trost bei den Anonymen Alkoholikern. Denn in Amerika gibt es für alles eine Lösung, und Baltimore, wo dieses Familiendrama spielt, ist die amerikanischste aller Städte. Und John Waters, der es 1981 unter dem Titel Polyester gedreht hat, ist der amerikanischste aller Regisseure.

Familie geht ihm über alles. Seine Filme sind so hübsch und anheimelnd wie die Mittelstandskomödien eines Vincente Minnelli – sie riechen nur ein bißchen streng. Manchmal ganz wörtlich, bei den Vorführungen von Polyester wurden einst Riechkarten verteilt. Aber auch ohne diese Hilfe wird ein unangenehmes Odeur freigesetzt. In Pink Flamingos etwa trumpfte der Regisseur 1972 mit einem singenden Arschloch auf. Bei dem Helden des White Trash ist nie ganz klar, wo der Familienfilm aufhört und wo die Freakshow beginnt. Aber bei einschlägigen Seifenopern weiß man das ja auch nie.

Eine Familie ist immer eine kleine Freakshow, und für John Waters bilden die Freaks seiner Show die Familie. Die Stars seiner Werke variieren minimal. Immer wieder tauchen auf: der Gnom Edith Massey, das Pferdegesicht Mink Stole und natürlich der Transvestit Divine – 200 Kilo gelebte Eleganz. Beim Casting macht es sich der Meister nicht einfach, seine Auswahlkriterien sind hart. Obwohl: „Faule Zähne oder schwere Akne sind immer ein Plus.“

Bekanntlich nimmt es John Waters als Kompliment, wenn seine Zuschauer kotzen müssen. Aber ihm ist auch klar, daß die Provokation ein schwieriges Geschäft ist. Pink Flamingos, für 12 000 Dollar runtergedreht, hatte nach einigen Jahren das Tausendfache der Kosten eingespielt. Auf einmal wurde Waters von jenen beklatscht, die ihn vorher angeschissen hatten. „Die Rebellion wird langweilig, wenn die, die du angegriffen hast, applaudieren oder dich sogar imitieren“, so der Autorenfilmer.

John Waters zog Konsequenzen. Indem er sich bewußt im Entertainmentbetrieb etablierte, also üppige Etats in aufwendige Kulissen steckte, verfeinerte er seine Schock-Ästhetik. Die Komödien, die er zuletzt mit der Hilfe großer Studios gedreht hat, sind auf ihre Art schockierend wie eh und je. Immerhin spielte zuletzt Kathleen Turner, bis dahin eine Heilige Hollywoods, in Serial Mom eine neurotische Mittelstandsziege. John Waters hat sich arrangiert, das ist hilfreich für seine Mission. Auch wenn Sie es nicht glauben: Geschmacklosigkeit kann eine verdammt teure Angelegenheit sein.

Christian Buß

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