Mehringplatz und „Pfad der Visionäre“: Andere Probleme als schicke Platten
In einem der ärmsten Kieze Berlins wird der Abschluss jahrelanger Bauarbeiten gefeiert. Den Leuten hier nütze das wenig, sagen die Menschen vor Ort.
Der Pfad der Visionäre ist ein Kunstprojekt am Anfang der Friedrichstraße, beginnend nur einige Meter hinter dem Ausgang des U-Bahnhofs Hallesches Tor. Auf 27 etwa einen Quadratmeter großen Steinplatten sind 27 Zitate von bekannten Persönlichkeiten aller EU-Mitgliedstaaten verfasst. Sie sollen „tägliche Erinnerung an Werte, Kulturen und Freiheiten, die wir leben“ sein, sagt Bonger Voges vom Kunstwelt e. V., der maßgeblich an der Planung und Umsetzung beteiligt war. „Europa“, so wirkt es, soll nicht nur hier auf Stelzen bei der Eröffnungszeremonie voranschreiten. „Europäische Werte“ sollen offenbar auch Haltungs- und Handlungsleitend für die Menschen hier sein – laut Voges für „Identifikation“ sorgen.
Die Ideen dazu sind nicht neu und die Platten auch schon in der dritten Auflage. Sie wurden in den vergangenen Jahren aus unterschiedlichen Gründen mehrfach umgestaltet und waren so fester Bestandteil der mehr als zehnjährigen Dauerbaustelle am Mehringplatz. Auch der U-Bahnhof Hallesches Tor wurde in diesem Zuge saniert. Am Tag der Feier sind die Arbeiten nun weitestgehend abgeschlossen. Nur das Gras rings um die Friedenssäule, inmitten des Mehringplatzes, muss noch anwachsen.
Wie schnell das Gras auch über die für Anwohner*innen besonders leidvolle Baustellenzeit wächst, bleibt abzuwarten. Besonders ungewiss und auch streitbar ist jedoch, ob die umfangreichen baulichen Umgestaltungen tatsächlich den Menschen nützen, die hier leben.
Kinderarmut und Sanierungsstau im Sozialen
Der Mehringplatz und die südliche Friedrichstadt zählen zu den ärmsten Kiezen Berlins. Kinderarmut ist besonders verbreitet, genau wie beengte Wohnverhältnisse und Sanierungsstau in den angrenzenden Schulen und sozialen Einrichtungen. Dass ein Appell an „europäische Werte“ diese Probleme lösen kann, ist schwer vorstellbar – besonders in einem Viertel, in dem viele Menschen aus aller Welt zusammenkommen und besonders auch vor dem Hintergrund, dass der Großteil der Zitate auf den Steintafeln von alten, weißen Männern stammt.
Alexandra Fara, lebt seit 22 Jahren am mehringplatz
Hanin Abdallah, eine Sozialarbeiterin, die schon lange im Kiez aktiv ist, gibt einem kleinen Mädchen mit dunklen Haaren und fröhlichem Lächeln ein High Five. Sie scheint gut mit den hier lebenden Menschen verbunden zu sein, sieht allerdings „ganz andere Probleme als schicke Steinplatten für viel Geld“ und sagt: „Ich verstehe nicht, für wen das ist. Auf jeden Fall nicht für die Menschen, die hier leben.“ Es fehle aus ihrer Sicht besonders an „Mitteln für Kinder und Jugendliche und Angebote für Mütter“. Die Gelder, die in die Baustelle geflossen sind, hätten viel mehr dafür genutzt werden sollen, so Abdallah.
Die Kreuzberger Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann (Grüne) betonte dagegen noch beim Pressegespräch zu den Feierlichkeiten: „Hier im Kiez wird viel für die Menschen gemacht“ und verwies auf die zahlreichen Aktivitäten des Quartiersmanagement. Und auch der neu gestaltete Platz ist aus ihrer Sicht für die Menschen hier: „Das Rondell soll innen grün werden. Der Fokus liegt auf Aufenthaltsqualität für die Nachbar*innen“, so Herrmann.
Gentrifizierung à la Champs-Élysées?
Einen anderen Fokus sieht Kristijana Peneva, ehemaliges Mitglied des Quartiersmanagements Mehringplatz, heute neben Voges wichtiger Teil des Kunstwelt e. V. und ebenfalls im Pressegespräch mit der Bezirksbürgermeisterin dabei. Aus ihrer Sicht ist das Gebiet das „Entrée zu Friedrichstraße“, die sie als „Champs-Élysées Berlins“ bezeichnet. Zwar soll die neu geschaffene „Verweilatmosphäre den Bewohner*innen zugutekommen“, allerdings soll vor allem „der Brückenschlag gelingen, mittels Kultur Tourist*innen anzuziehen“.
Auf Rückfrage der taz, wie sichergestellt wird, dass sich die Lebenskosten nicht so entwickeln wie an den echten Champs-Élysées in Paris, antwortet die Bezirksbürgermeisterin: „Die meisten Häuser hier sind landeseigene Immobilien, so wird niemand verdrängt. Die Mieten sind gedeckelt und gesichert.“
Für Alexandra Fara, die bereits seit 22 Jahren im inneren Rondell wohnt, geht das nicht weit genug. Wie Sozialarbeiterin Abdallah findet sie, dass es „mehr Geld für die Kinder“ braucht. Sie fühlt sich vom Quartiersmanagement nicht mitgenommen: „Wenig wird mit den Anwohner*innen abgesprochen. Früher gab es am Platz zumindest ein paar Spielgeräte und einen Sandkasten. Das gibt es jetzt alles nicht mehr und gefragt wurden wir nicht.“
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