: Mehr Humus, weniger Hass
Michael Succow hat die Untiefen des DDR-Systems sowie die Schwierigkeiten und Chancen der Wende erlebt. Je mehr sich die zerstörerische Agrarindustrie weltweit ausbreitet, desto stärker engagiert er sich
Von Edith Kresta (Text) und Peter van Heesen (Fotos)
Menschen wie Michael Succow, die nicht aufgeben, gegen die Zerstörung des Planeten zu kämpfen, sind wichtiger denn je. Bald erscheint eine politische Biografie über ihn.
Draußen: Am Ende der Straße gibt es keine Gartenzäune. Die Grundstücke sind zur Straße und zum Nachbarn offen. Statt Thuja-Hecken und kurz gemähtem Gras wachsen Äpfel, Quitten, Wildblumen, Kohl, Wein und hohe Sträucher. „Ich habe vor 25 Jahren, als wir hier einzogen, den Zaun abgerissen“, sagt Michael Succow. „Es haben alle Nachbarn nachgezogen, außer dem letzten Sterilo neben mir.“ In dessen Garten herrscht Zucht und Ordnung. Vor der Eingangstür von Michael Succows zweistöckigem Klinkerhaus stehen eimerweise rotbackige Äpfel und knallgelbe Quitten. „Da können Sie später mitnehmen, so viel Sie wollen.“ Die Äpfel kommen von der großen Streuobstwiese hinterm Haus, die sich – nur getrennt durch einen Wanderweg – bis zum angrenzenden Moor hinzieht. Das Haus liegt in Vorpommern am Rand der Gemeinde Wackerow, nicht weit von Greifswald.
Drinnen: Es ist wohlig warm im Haus. Am gemauerten Specksteinofen im Salon liegt es nicht, er ist nicht an. Dafür scheint die Sonne vom Garten durch die bodentiefen Fenster. Lammfelle liegen auf den dunklen Ledersesseln. Neben der Couchecke steht ein alter Sekretär. Bücher, Bilder, Mitbringsel und ein Fernseher füllen das Holzregal. Succow bietet trotz der angenehmen Wärme noch Felllatschen mit nach oben gebogener Spitze an. „Die Mongolen wollen den Boden nicht treten. Die Erde ist ihnen heilig“, sagt er. Der 84-jährige Succow lebte 25 Jahre mit seiner Frau Ulla hier. Die beiden Töchter sind längst fort, seine Frau starb vor vier Jahren nach einem Sturz.
Bauernhofkindheit: „Die beiden Dinge, die für mich wichtig sind, ist die Tierliebe und die Menschenliebe. Die einen lieben die Tiere abgöttisch und die anderen lieben die Menschen. Als Bauernhofkind gehörte bei mir immer beides zusammen.“ Er habe als Junge die Schafe des Hofs gehütet und gepflegt. Dass diese bei der Zwangskollektivierung zu DDR-Zeiten weggebracht wurden, tue ihm immer noch weh.
Das Credo: Zur Menschlichkeit gehöre Naturliebe und umgekehrt. Bei vielen Nationalparkprojekten wurden die Ethnien umgesiedelt, weil die Natur sich frei entwickeln sollte, Schimpansen und Elefanten ungestört sein sollten. „Ich bin viel in der Welt umher gekommen. Und da waren in Schutzgebieten immer die Völker raus. Ich will Landschaft erhalten mit den kleinen Völkern, mit den Ethnien“. Er hat Nationalparkprogramme in Georgien, Kirgistan, auf Kamtschatka sowie in der Mongolei begleitet. Seine Geschichte erzählt er auch in dem Dokumentarfilm: „Wie geht Natur?! Michael Succow – ein Leben für den Naturschutz“. Succows Credo: „Wald muss dicht und Laubwald sein. Acker muss Humus und Regenwürmer haben. Das Grundwasser muss klar und trinkbar sein. Und die Nahrung muss gesund sein. Gesunde Böden, gesunde Nahrung, trinkfähiges Grundwasser, gesunde Menschen. Die sind dann meist freundlich.“
Idole: Bei aller Tierliebe ist Succow kein Vegetarier. Obwohl eines seiner Idole Kurt Kretschmann – „der das Naturschutz-Symbol Eule erfunden hat“ – Vegetarier war. „Ein Pazifist, Antifaschist, Freidenker, Naturschützer, der trotz SED-Parteimitgliedschaft den Sozialismus kritisch sah. Aber Kurt und Erna Kretschmann wollten eine neue Gesellschaft.“ Ein anderer Hoffnungsträger ist für ihn der englische König Charles III. und sein Engagement für biologische Landwirtschaft.
Entwicklung: „Wir hatten einen Bauernhof, und Vater Wilhelm stammt aus der Uckermark. Das ist meine Heimat. Meine Mutter sprach fließend Englisch und Französisch. Sie hat als junge Frau Geflügelfarmen in Südafrika aufgebaut.“ Der Bauernhof, den sich seine Eltern gemeinsam erarbeiteten, wurde wie fast alle in der DDR zwangskollektiviert. Succow studierte Biologie, musste seine Unikarriere zunächst jedoch wegen offener Sympathie für den Prager Frühling aufgeben. Er wurde Kombinatsleiter und arbeitet weiter an seinem Schwerpunktthema Moor. 1970 promovierte er an der Universität Greifswald über die Talmoore. Zwischen 1974 und 1990 arbeitete er am Institut für Bodenkunde der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR, zuletzt als Professor.
Der Politiker: In der Übergangsregierung nach 1989 wurde Succow stellvertretender Minister für Natur-, Umweltschutz und Wasserwirtschaft der DDR. Klaus Töpfer, damals Umweltminister der BRD, förderte ihn, die DDR-Umweltbewegung brachte ihn in die Regierung. Durch einen kritischen Beitrag im DDR-Fernsehen war Succow bekannt geworden. „Umweltschutz, das war in der DDR bis dahin offiziell die Behauptung, der Trabant Zweitaktmotor sei das umweltfreundlichste Auto der Welt“, sagt Succow spöttisch. Für die Berufung stellte er eine Bedingung: „Naturschutz allein ist mir zu eng.“ Als Landwirtssohn habe er den Niedergang der Agrarkultur mit „dieser Gülle und der Überdüngung in der DDR“ gesehen, das Waldsterben mit Sorge betrachtet. Er habe dann vorgeschlagen, dass zum Naturschutz der Ressourcenschutz und die Landnutzung hinzukommt. „Dazu gehört der Wald, der Boden, das Wasser. Also übergreifend. Und das war möglich.“
Der Coup: Als stellvertretender Umweltminister in der vorletzten DDR-Regierung hat Succow mit Mitstreitern das sogenannte Nationalparkprogramm ausgearbeitet. Drei Wochen vor der Wiedervereinigung 1990 wurden knapp 12 Prozent – die militärisch genutzten Gebiete und die ehemaligen Jagdgebiete des DDR-Gebiets – als Großschutzgebiete ausgewiesen. Ein Coup. Der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer prägte für dieses Naturerbe den Begriff „Tafelsilber der Deutschen Einheit“. Unter anderem für diese Leistung wurde Succow 1997 der Alternative Nobelpreis verliehen. „Wir träumten damals von einer sozialökologischen Republik“, erzählt er.
Der Umweltschützer: Im Jahr 1992 kehrte Succow zurück an die Universität Greifswald. Dort führte er den Studiengang „Landschaftsökologie und Naturschutz“ ein. Ein Schwerpunktthema blieben für ihn die Moore. 1999 gründete er die Succow-Stiftung mit dem Geld, das ihm der Alternative Nobelpreis eingebracht hatte, und engagierte sich für Natur-, Moor- und Klimaschutz. Die Stiftung fördert bis heute Projekte zur Wiedervernässung von Mooren und zur nachhaltigen Nutzung von Ökosystemen, um die Klimakrise zu bekämpfen.
Die Gegenwart: „Die ganze Anfangseuphorie, dass man was geschafft hat, der Traum von der ökologischen Republik ist vorbei“, sagt Succow. „Alle großen Zivilisationen dieser Erde waren zu Ende, als ihr Humus zu Ende war, die Mayas, die Ägypter. Wir werden folgen, wenn wir diese dünne Schicht des Lebens nicht erhalten, nicht mehren.“ Die Humusschicht schwinde rasant durch die ausbeuterische kapitalistische, industrielle Produktion in der Landwirtschaft. Die dünne den Boden aus. Und das werde weltweit immer schlimmer. „Wir brauchen einen ökologischen Landbau“, fordert er. Auch die Trinkwasserversorgung aus den Flächen sei in Gefahr. Die Böden seien so verdichtet, dass der Niederschlag nicht mehr versickern könne. Kein Regenwurm, nirgends. „Die kleinen Fließe, aus denen ich als Kind noch getrunken habe. Das war ja alles Trinkwasser.“ Erster Grundsatz einer agrarischen Landnutzung müsse die Verbindung von Tier und Pflanze sein. Das erzeuge Humus.
Der Rechtsruck: „Dass wir hier diese starke AfD haben, ist auch ein Produkt der Übernahme der Agrarflächen durch Investoren. Vorbereiter dieser Entfremdung waren die Enteignungen in der DDR.“ Kein einziger der Bauernsöhne in seinem Heimatdorf sei noch als Bauern tätig. Die jungen Frauen seien gleich nach der Wende in den Westen gegangen und die jungen Männer steckten in Firmen, die riesige Flächen bewirtschaften. „Das alles hat dazu geführt, dass dieser ländliche Raum im Niedergang ist, seine Identität völlig verloren hat.“ Ein idealer Nährboden der AfD, im Wortsinne.
Die Zukunft: Wie es nicht weitergehen kann, das sieht er klar. „Gier nach Geld. Gier nach Macht. Gier nach Weib. Und dann der Hass auf alles andere, was nicht so ist. Das sind die Eigenschaften, die diese machtversessenen Machos in sich tragen. Und glauben Sie mir, ich habe viele kennengelernt.“ Sein Grundsatz: „Ohne ein Zusammenspiel mit der Natur sind wir zukunftslos.“ Aber er sehe auch sehr viele aufgeklärte, engagierte junge Leute. Die Bewegung Fridays for Future gäbe ihm Hoffnung. „Die Zukunft“, sagt er, „ist weiblich, oder es sieht schlecht für sie aus.“
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