Mehr Diplomatie in der Ukraine-Krise: Alle reden auf Hochtouren
Gegen den Willen Moskaus diskutiert der UN-Sicherheitsrat über die Ukraine-Krise. Boris Johnson besucht Kiew, Viktor Orban besucht Moskau.
US-Botschafterin Linda Thompson-Greenfield konterte: „Stellen Sie sich vor, wie unangenehm es Ihnen wäre, 100.000 Soldaten an Ihrer Grenze zu haben.“ Die russische Mobilisierung entlang der ukrainischen Grenze sei die größte in Europa seit Jahrzehnten, sagte Thompson-Greenfield und verwies außerdem auf einen Anstieg von Cyberangriffen und russischen Desinformationen.
Es war die erste öffentliche Sitzung des UN-Sicherheitsrats, in der alle Protagonisten der Ukraine-Krise das Wort ergriffen. Russland war zuvor mit dem Versuch gescheitert, zu verhindern, dass die Sitzung öffentlich abgehalten wird. Der Geschäftsordnungsantrag wurde mit zehn gegen zwei Stimmen – mit Russland stimmte nur China dafür – abgelehnt. Der Sicherheitsrat hat 15 Mitglieder.
Der russische UN-Botschafter Nebensja verließ demonstrativ den Saal, als der ukrainische Botschafter Sergej Kyslyzja das Wort ergriff. Zuvor hatte er gesagt, in Kiew seien 2014 „Nationalisten, Radikale, Russlandhasser und reine Nazis“ an die Macht gekommen. So sei die Feindschaft zwischen der Ukraine und Russland erst entstanden.
Von Seiten der Ukraine hieß es, man könne den russischen Versicherungen nicht glauben, bis die Truppen wieder zurückverlegt worden seien. Sein Land werde keine Offensive gegen die Separatistengebiete im Osten der Ukraine, die von Russland annektierte Krim oder woanders starten.
London – Kiew, Budapest – Moskau
Unterdessen verschärfen beide Seiten ihre Suche nach Verbündeten. Der britische Premierminister Boris Johnson reist heute (Dienstag) in die Ukraine und wird in Kiew den ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenski treffen. Außenministerin Liz Truss fliegt nicht wie geplant mit – sie wurde am Montagabend positiv auf Covid getestet. Sie kündigte aber neue Gesetze an, mit denen gezielt Sanktionen gegen russische Verantwortliche für eine Aggression gegenüber der Ukraine verhängt werden könnten. Dabei könnten auch Vermögenswerte in Großbritannien eingefroren werden. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan will am Donnerstag nach Kiew reisen.
Russlands Präsident Putin empfängt derweil in Moskau den ungarischen Regierungschef Viktor Orban – das erste persönliche Treffen des russischen Staatsoberhaupts mit dem Regierungschef eines Nato-Mitgliedstaats seit der Eskalation zwischen Russland und dem Westen im Ukraine-Konflikt.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow und sein US-Kollege Antony Blinken wollen außerdem an diesem Dienstag telefonieren, nachdem Russland auf die schriftliche Antwort Washingtons auf Russlands Forderungskatalog nach „Sicherheitsgarantien“ wiederum schriftlich geantwortet hat.“ Wir können bestätigen, dass wir ein entsprechendes Schreiben von Russland erhalten haben. Es wäre nicht zielführend, dies in der Öffentlichkeit zu diskutieren, also überlassen wir es Russland, ob es seine Antwort kommentieren möchte“, sagte ein Sprecher des US-Außenministeriums.
US-Regierung rät zur Ausreise aus Belarus
Russland setzt zugleich seine Vorbereitungen für ein Manöver in Belarus fort, wie das Verteidigungsministerium in Moskau mitteilte. Dazu wurde auf einem Truppenübungsplatz in Brest an der Grenze zu Polen ein Feldlager errichtet. Russland und Belarus hatten erklärt, die Standardübung vom 10. bis 20. Februar sei für niemanden eine Bedrohung.
Die USA hingegen sehen die Gefahr eines Angriffs auch von dort auf die Ukraine und forderten die Familienangehörigen von US-Regierungsmitarbeitern in Belarus zum Verlassen des Landes auf. Das US-Außenministerium riet seinen Staatsbürgern zudem angesichts „des Risikos von Inhaftierungen und der ungewöhnlichen und beunruhigenden russischen Militärpräsenz entlang der Grenze von Belarus zur Ukraine“ von Reisen in das Land ab. Die Situation sei „unvorhersehbar“, die Spannungen in der Region „erhöht“.
Washington hatte erst kürzlich die Familienangehörigen der US-Diplomaten in der ukrainischen Hauptstadt Kiew aufgefordert, das Land zu verlassen, was die Regierung der Ukraine irritiert hatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja