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Mehr Anträge für WindräderWindkraft boomt in Baden-Württemberg – auf dem Papier

Die Rechtslage für Windräder in Baden-Württemberg hat sich geändert. Nun fluten Genehmigungsanträge für neue Windkraftanlagen das Ministerium.

Ein Risiko für Windkraft­projekte: fehlende Akzeptanz wie hier im Nordschwarzwald. Gegner protestieren gegen Abholzung Foto: Arnulf Hettrich/imago

Freiburg taz | Steht Baden-Württemberg vor einem Boom der Windkraft? Zwischen Ende Mai und Ende Juni haben Planer laut dem grün geführten Stuttgarter Umweltministerium Genehmigungsanträge für gut 1.100 neue Windkraftanlagen eingereicht. Gemessen an den 808 Anlagen, die aktuell im deutschen Südwesten in Betrieb sind – übrigens die geringste Zahl unter allen Flächenstaaten in Deutschland –, wäre das ein enormer Zuwachs. Die eingereichten Anträge kommen zusammen auf eine Nennleistung von 8.500 Megawatt, womit sich die im Ländle installierte Leistung mehr als verfünffachen würde.

Grund für den Antragsboom war die Rechtslage: Zum 30. Juni lief die EU-Notfallverordnung aus, die durch beschleunigte Genehmigungsverfahren bei der Windenergie die Auswirkungen der Energiekrise mildern sollte. Das Regelwerk reduzierte besonders beim Artenschutz die Anforderungen. Um sich das einfachere Verfahren zu sichern, reichten zahlreiche Investoren frühzeitig Anträge ein. Auch in anderen Bundesländern lagen die Antragszahlen zuletzt sehr hoch. Doch aufgrund des niedrigen Bestandes in Baden-Württemberg rücken die Zahlen aus dem Südwesten besonders in den Fokus.

Im Nachhinein betrachtet wäre die Eile gar nicht nötig gewesen: Nachdem der Deutsche Bundestag kurz vor der Sommerpause die EU-Richtlinie RED III (Renewable Energy Directive) in nationales Recht umgesetzt hat, wird es weiterhin Erleichterungen bei den Genehmigungen geben.

Während das Stuttgarter Umweltministerium die Zahlen sehr optimistisch präsentiert, bleibt abzuwarten, was wirklich daraus wird – denn natürlich sind Anträge noch keine Anlagen. Wie hoch die Umsetzungsquote tatsächlich sein wird, vermag in der Branche niemand zu prophezeien. Dazu müsse man den Status und die Qualität der Vorarbeiten an den einzelnen Standorten kennen, heißt es bei der Fachagentur Wind und Solar.

Projekten drohen diverse Risiken

Noch drohen den beantragten Projekten nämlich diverse Risiken – etwa durch fehlende Akzeptanz vor Ort. Wie politisch umstritten die Windkraft im Schwarzwald mancherorts ist, zeigte sich gerade in diesen Tagen: Am vergangenen Sonntag stoppten gleich in zwei Gemeinden Bürgerentscheide geplante Projekte. In Remchingen, zwischen Karlsruhe und Pforzheim gelegen, votierten 66 Prozent der Bürger gegen die Bereitstellung gemeindeeigener Flächen für ein Windprojekt. Ebenso lehnten in Oberkirch im Ortenaukreis 55 Prozent der Bürger die Verpachtung kommunaler Flächen zur Errichtung von Windkraftanlagen ab. Ein ähnliches Schicksal könnte auch manchen der zuletzt eingereichten Bauanträge drohen.

Eine weitere Hürde folgt nach erfolgreicher Genehmigung: Das Projekt muss in der Ausschreibung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz einen Zuschlag erhalten. Ohne die damit garantierte Vergütung investiert niemand in Windkraftanlagen an Land. Dank der aktuellen Gesetzeslage können sogar relativ windschwache Standorte bei den Ausschreibungen erfolgreich sein, weil sie bei der Vergütungshöhe mit einem Korrekturfaktor von bis zu 1,55 bedacht werden. So können Windkraftanlagen an schwachen Standorten derzeit auf Vergütungen von gut 11 Cent je Kilowattstunde kommen. Eine Änderung des Systems bei der nächsten Novellierung des EEG wäre ein weiteres Risiko für den Südwesten.

Zuschlag keine Formsache mehr

Lange Zeit war bei Ausschreibungen der Zuschlag für die Teilnehmer nur eine Formsache, weil alle eingereichten Projekte zum Zuge kamen. Die jüngsten vier Ausschreibungen jedoch waren jeweils überzeichnet. So bekamen bei der Runde im Mai nur 69 Prozent der Anlagen einen Zuschlag. Folglich dürften auch auf diesem Weg noch einige der zuletzt beantragten Projekte scheitern.

Selbst ein erfolgter Zuschlag bedeutet nicht unbedingt, dass die betreffende Anlage tatsächlich realisiert wird. Wie Zahlen der Fachagentur Wind und Solar zeigen, blieben 11 Prozent der Projekte auch nach erfolgreicher Teilnahme an der EEG-Ausschreibung auf der Strecke. Die Gründe dafür können vielfältig sein, zum Beispiel können gestiegene Anlagenpreise ein Projekt auf den letzten Metern noch stoppen.

Aber selbst wenn von den gut 1.100 zuletzt neu beantragten Anlagen Baden-Württembergs im Verfahren viele auf der Strecke bleiben sollten, könnte der Zubau im Vergleich zu den jüngsten Zahlen deutlich anziehen. Schließlich wurden im ersten Halbjahr im Ländle nur 13 neue Anlagen errichtet, während zugleich 5 alte Anlagen nach durchschnittlich 21 Betriebsjahren stillgelegt wurden. Allerdings stellt sich der Leistungszubau günstiger dar, als es die schlichte Anlagenzahl erscheinen lässt: Einem Rückbau von etwa 9 Megawatt stand immerhin ein Zubau von 53 Megawatt gegenüber.

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