Mega-Projekte in der Türkei: Tödliche Gefahr für das Marmarameer
Allen Bedenken zum Trotz ist Staatschef Erdoğan entschlossen, einen 45 Kilometer langen Kanal bauen zu lassen. Noch hapert es an der Finanzierung.
Die Rede ist von einem 45 Kilometer langen Kanal. Dieser soll durch die westlichen Vororte Istanbuls bis zum Schwarzen Meer führen, um künftig neben dem Bosporus eine zweite Schiffsverbindung zwischen den Schwarzmeer-Anrainerstaaten und den östlich daran anschließenden zentralasiatischen Staaten und dem Marmarameer mit der Durchfahrt zur Ägäis und damit zum Mittelmeer herzustellen. Der Kanal soll eine ähnliche globale Bedeutung wie der Suezkanal bekommen und der Türkei zukünftig jährlich Milliarden Dollar einbringen.
Doch anders als bei früheren Projekten glaubt dieses Mal nur noch ein harter Kern fanatischster Erdoğan-Anhänger an diese Vision ihres Führers. Denn die Einwände gegen den Kanal sind vielfältig und Erdoğan und seine Minister konnten sie nicht entkräften.
Der wohl wichtigste ist die damit verbundene Bedrohung des Marmarameeres. Das Marmarameer wird über den Bosporus mit Wasser aus dem Schwarzen Meer und über die Dardanellen mit Wasser aus der Ägäis gespeist. Das Wasser aus dem Schwarzen Meer ist sauerstoffarm und schmutzig, vor allem seit die Donau wie eine Kanalisation den Dreck halb Europas ins Schwarze Meer spült.
Deutliches Alamsignal
Nur über die Dardanellen gelangt sauberes sauerstoffreiches Wasser ins Schwarze Meer, doch das ist schon jetzt zu wenig. Der Algenschleim, der in diesem Sommer fast das gesamte Marmarameer kontaminiert hat, ist ein deutliches Alarmsignal. Sollte durch den neuen Kanal zusätzliches schmutziges Wasser ins Marmarameer gelangen, würde das den ökologischen Tod bedeuten, darin sind sich alle Meeresbiologen einig.
„Das Marmarameer würde zum toten Gewässer. Selbst wenn man den Kanal wieder schließen würde, wäre dieser Prozess nahezu irreversibel. Es würde 20.000 Jahre dauern, bis sich das Marmarameer wieder erholt“, so einer der renommiertesten Meeresbiologen der Türkei, Cemal Saydan, gegenüber der taz. Es ist deshalb kein Wunder, dass die Mehrheit der Istanbuler gegen den Kanal ist. Denn er bedroht auch die Trinkwasserversorgung der Stadt, weil er durch einige bedeutende Trinkwasserreservoirs führen und die Stadt von weiter westlich gelegenen Talsperren abschneiden würde.
Istanbuls Oberbürgermeister Ekrem İmamoğlu hat sich schon vor Jahren an die Spitze der Protestbewegung gestellt, doch die Stadt hat keine rechtliche Handhabe, gegen den Kanalbau vorzugehen. „Ihr könnt schreien, wie ihr wollt“, sagte Erdoğan bei seiner Beton-Marsch-Show am Samstag an die Istanbuler gewandt, „wir werden den Kanal bauen.“ Die Kanalgegner hoffen vor allem darauf, dass Erdoğan die Milliarden Dollar für den Bau (Schätzungen pendeln zwischen 8 und 20 Milliarden) nicht zusammenbekommt.
Tatsächlich ging es bei der Inszenierung am Samstag noch nicht um den Kanal selbst, sondern um den Beginn des Baus einer der sechs Brücken, die den Kanal einmal überspannen sollen. Für das Großprojekt fehlt noch die Finanzierung. Die oppositionelle CHP behauptet, rund 400 Finanzinstitute weltweit hätten es abgelehnt, für den Kanal Kredite zu geben.
In türkischen Medien wird spekuliert, Katar und China könnten Geld zur Verfügung stellen und China auch Teile des Kanalbaus im Rahmen seiner „Neue Seidenstraße“-Projekte übernehmen. Bekannt ist lediglich, dass die Herrscherfamilie Katars, Scheich Hamad bin Chalifa al Thani und seine Mutter, große Länderreihen entlang des künftigen Kanals gekauft haben, weil dort neue Stadtteile Istanbuls entstehen sollen. Viele Kritiker vermuten bereits, dass es bei dem Kanal insgesamt mehr um Immobilienspekulationen als um ein maritimes Projekt geht.
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