Meduza-Auswahl 2. bis 8. März: Der Krieg ist die neue Normalität
Achteinhalb Jahre Haft gegen Meinungsfreiheit, warum Putin Krieg will und der blockierte Latschin-Korridor. Texte des Exilmediums.
Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert ab 1. März unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz panter stiftung gefördert.
In der Woche vom 2. bis 8. März 2023 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:
Achteinhalb Jahre Haft wegen kremlkritischer Informationen
Der Nachrichtendienst Telegram ist einer der meistbenutzen Kommunikationskanäle von Protestierenden in Russland. Am Dienstag wurde Dmitri Iwanow, der Autor des Telegramkanals „Protest Moskauer Staatliche Universität“, zu achteinhalb Jahren Haft veurteilt. Am 28. April 2022 wurde er festgenommen und unmittelbar danach zu zehn Tagen Verwaltungsarrest für die Organisation einer Antikriegskundgebung verurteilt. Seit fast einem Jahr sitzt der 23-jährige Wissentschaftler bereits im Untersuchungshaft. Diese Woche hat das Moskauer Gericht entschieden, Iwanow wegen „Fälschungen“ über die russischen Streitkräfte ins Gefängnis zu stecken.
In seinen Posts sprach Iwanow von den Kriegsverbrechen im Frühjahr in Butscha und Irpin, Kyjiwer Vororte, und bezeichnete den russischen Angriffskrieg als „Krieg“ statt als eine „Sonderoperation“. Wegen seiner Verhaftung vor fast einem Jahr verpasste der russische Aktivist sein Staatsexamen und die Verteidigung seiner Dissertation. Als Folge wurde er im Juli 2022 von der Moskauer Staatsuniversität (MSU) verwiesen.
Krieg als Arbeitsplatz und sozialer Status
Der Journalist Maxim Trudoljubow, der die Kolumne „Ideen“ bei Meduza schreibt, analysiert im Essay „Der Krieg ist die neue Normalität“ die Gründe Wladimir Putins für den Angriffskrieg am 24. Februar 2022. Trudoljubow, der von 2003 bis 2015 die Meinungsredaktion der unabhängigen russischen Tageszeitung Vedomosti leitete, warnt vor Putins Unberechenbarkeit und weist darauf hin, nicht auf einen Friedensvorschlag aus Moskau zu warten.
Trudoljubow betont den unterschiedlichen Umgang der Gesellschaften in demokratischen und autoritären Regimen mit Regierenden, die Angriffskriege gestartet haben, und nimmt den US-Präsidenten George Bush senior als Beispiel. Er fügt ebenfalls hinzu, dass es Putin nach zwölf Monaten geschafft hat, den Ukrainekrieg im russischen Alltag zu normalisieren und ihn als einen dauerhaften guten „Job“ zu präsentieren.
Was wäre aus Russland ohne Josef Stalin geworden?
Am 5. März jährte sich der 70. Todestag des sowjetischen Diktators Josef Stalin. Gemeinsam mit dem Professor für Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität von Michigan (USA) Ronald Grigor Suny blickt Meduza auf die wichtigsten Ereignisse in der Biografie des sowjetischen Führers zurück. Im Interview stellt sich das Exilmedium ebenfalls die Frage, ob Russland ohne Stalin ein ganz anderes Land geworden wäre.
Putin regiert seit 2012 mit einem starken Narrativ der Glorifizierung des Zweiten Weltkriegs. Dieser Mythos des Großen Sieges bleibt in seiner heutigen Form untrennbar mit Stalin verbunden, deswegen wird heutzutage in Russland kaum über Stalins Großen Terror und den Holodomor berichtet oder an beide erinnert.
Latschin-Korridor: „Die Welt hat uns im Stich gelassen“
Im Stich gelassen fühlt sich die armenische Bevölkerung in Bergkarabach. Seit Dezember hat Aserbaidschan den Latschin-Korridor, die einzige Straße, die diese Enklave mit Armenien verbindet, blockiert, und die Lebensbedingungen ohne Versorgungsmöglichkeiten verschlechtern sich zunehmend. Eigentlich sollen 2.000 russische Soldaten als Friedenstruppe den Korridor offen halten.
In einer Reportage von Lilia Yapparova für Meduza wird die akute Lage im Latschin-Korridor mit mangelnden Medikamenten und Lebensmitteln beschrieben.
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