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Meduza-Auswahl 16. – 22. Januar 2025Abgeschoben ins Gefängnis

Ein junger oppositioneller Russe stellt einen Asylantrag in den USA. Er wird abgewiesen – und deportiert in ein Land, das ihn sofort wieder festnimmt.

Russlands Präsident Putin und Alexander Lukaschenko, Präsident von Belarus bei einem Treffen in Minsk am 6. Dezember Foto: Grigory Sysoyev/Sputnik/reuters

Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März 2023 unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.

In der Zeit vom 16. bis 22. Januar 2025 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:

Belarus bereitet sich auf die Wahl(manipulation) vor

Am 26. Januar findet in Belarus die Präsidentschaftswahl statt: Die erste seit August 2020, als das Land die größten Proteste gegen Diktator Alexander Lukaschenko – und das härteste Vorgehen gegen Oppositionelle – in der modernen Geschichte erlebte. In den vergangenen viereinhalb Jahren wurden Zehntausende von Be­la­rus:­in­nen verhaftet, verhört, geschlagen, mit Geldstrafen belegt und verurteilt, aus ihren Jobs gedrängt. Hunderttausende flohen außerdem aus dem Land. Lukaschenko ergreift alle möglichen Maßnahmen, um eine Wiederholung der Geschehnisse von 2020 zu verhindern. Meduza berichtet über die Lage in Belarus vor der Wahl (englischer Text).

BELPOL, eine Vereinigung ehemaliger belarussischer Sicherheitsbeamter, behauptet, dass fast alle – 97 Prozent – der Leiter der Wahlkommissionen zuvor in Wahlmanipulationen verwickelt waren. Zum ersten Mal, so BELPOL, werden die Wahlen ohne unabhängige Beobachter oder Kandidaten der demokratischen Opposition stattfinden. Außerdem wird es keine Wahllokale im Ausland geben; die im Ausland lebenden Be­la­rus:­in­nen wurden aufgefordert, zur Stimmabgabe ins Land zurückzukehren.

Das Fotografieren oder Filmen von Stimmzetteln wurde verboten – eine offensichtliche Reaktion auf die Wahlen von 2020, bei denen zahlreiche Fotos von Stimmzetteln als Beweis für weit verbreiteten Betrug dienten.

„In einer Gesellschaft, in der die Unterdrückung seit vier Jahren unvermindert anhält, ist jede Form von Protest – auch der friedliche – derzeit unmöglich. Aber die Belarussen haben das Bedürfnis, an diesem Tag irgendetwas zu unternehmen. Es ist klar, dass die Stimmen nicht ausgezählt werden und dass es keine ehrlichen Beobachter geben wird. Aber wir wissen auch, dass es in Belarus üblich ist, die Menschen zu den Wahllokalen zu treiben, um den Eindruck einer Massenbeteiligung zu erwecken. Deshalb fordern wir diejenigen, die gezwungen sind, an dieser Scheinwahl teilzunehmen, auf, gegen alle Kandidaten zu stimmen“, sagte die belarussische Oppositionsführerin im Exil, Swiatlana Tsichanouskaja.

Nawalny-Anwälte verurteilt

Am Freitag hat ein Gericht in der russischen Region Wladimir drei ehemalige Anwälte von Alexej Nawalny wegen Beteiligung an der „extremistischen Organisation“ des verstorbenen Oppositionsführers verurteilt. Vadim Kobzev wurde zu fünf Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt, Alexey Liptser zu fünf Jahren und Igor Sergunin zu drei Jahren und sechs Monaten. Im Frühjahr 2024 hatte Sergunin das ihm Vorgeworfene gestanden und begonnen, mit den Ermittlern zu kooperieren. Meduza fragte mehrere Anwälte, die Russland verlassen haben, was das Urteil vom Freitag für die Zukunft ihres Berufsstandes in der Heimat bedeutet (englischer Text).

So erzählt Olga Mikhailova, eine Juristin, die ihre Heimat bereits verlassen hatte: „Leben, Zukunft, Familien – alles ist zerstört.“ Und: „Die ganze Situation, in der wir uns befinden, ist völlig verrückt. Und trotz meiner langjährigen Tätigkeit als Juristin und meiner Lebenserfahrung hatte ich bis heute Morgen immer noch auf eine Art Wunder gehofft. Und wieder einmal ist es nicht geschehen“. Was mit Nawalnys Anwälten geschehen ist, macht auch den im Ausland lebenden Kollegen Evgeny Smirnov wütend: „Im heutigen Russland geht es bei Gerichtsverfahren eher um Zeremonien als um Rechtsstaatlichkeit, bei der Prozesse und Verfahren an erster Stelle stehen. Man braucht immer noch Anwälte – nicht um den Angeklagten zu verteidigen, sondern um eine formale Rolle vor Gericht zu spielen“.

Eine Milliarde Rubel für den Krieg

Ein russischer Mann hat eine Milliarde Rubel im Lotto gewonnen – und wurde sofort aufgefordert, das Geld für den Krieg zu spenden. Meduza erklärt, wie dieses systematische Geschäft funktioniert (russischer Text).

Am 1. Januar gab „Stoloto“, der Hauptverteiler der russischen Lotterien die Ergebnisse der Neujahrsziehung bekannt. Den Supergewinn machte ein Russe gewonnen, der ein Los online gekauft und eine in der Region Sachalin registrierte Telefonnummer angegeben hatte. Nach Steuern wird er 781 Millionen Rubel erhalten. Das entspricht 5.620 Durchschnittsgehältern in der Region.

Seit 2014 kann nur noch der Staat Veranstalter von Lotterien sein. Die Kette sieht so aus: Das Finanzministerium und das Sportministerium beschließen, eine Lotterie zu veranstalten. Sie schließen einen Vertrag mit dem Betreiber und genehmigen die Bedingungen der Lotterie. Die wichtigste Regel: Der Staat gewinnt immer. Laut Gesetz beträgt der maximale Gewinn für jede Ziehung 50 bis 70 Prozent des zuvor eingegangenen Geldes. „Stoloto“ sagt ganz offen: „Die Lotterie ist kein Geschäft, sondern eine Möglichkeit, die Ausgaben des Staates zu finanzieren“.

Dieses Geld kann nicht nach Belieben ausgegeben werden. Da die Lotterie ursprünglich zur Unterstützung einer bestimmten Sportart gedacht war, flossen die Gelder an den jeweiligen Verband oder werden für den Bau von Sportanlagen verwendet.

Die Einnahmen des Staates funktionieren so: Die Lotterie-Betreiber leiten immer einen Teil der Einnahmen direkt an die Behörden weiter. Bis 2025 waren das etwa 10 Prozent, die nach der Auszahlung der Gewinne übrig blieben. Im neuen Jahr hat sich das System geändert: Die Abzüge wurden erhöht und sollen schrittweise bis 2028 steigen. So erhalten die Behörden zum Beispiel im Jahr 2023 3,5 Milliarden Rubel, Ende 2025 sollen es bereits 3,8 Milliarden Rubel sein.

Wie die USA einen russischen Dissidenten zurück in Putins Fänge schickten

Im Mai 2023 traf der russische Aktivist Evgeny Mashinin in den USA ein. Dort wollte er Asyl beantragen, nachdem er in seiner Heimat mehrfach verhaftet worden war, weil er an pro-demokratischen und Anti-Kriegs-Kundgebungen teilgenommen hatte. Er schien einen soliden Fall zu haben: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte ihm sogar Tausende von Euro als Entschädigung für seine Inhaftierung zugesprochen. Der mit seinem Fall befasste US-Richter lehnte seinen Antrag jedoch ab – und ordnete seine Abschiebung zurück nach Russland an, wo er bald darauf erneut verhaftet wurde (englischer Text).

Mashinin sagt, dass er ins Visier der Behörden, weil er an Kundgebungen des verstorbenen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny, an Protesten gegen die Folter von Gefangenen und an Demonstrationen gegen den Krieg in der Ukraine teilgenommen hatte. Im Juni 2023 wies der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Russland an, Mashinin 5.000 Euro (5.175 US-Dollar) als Entschädigung für zwei seiner Festnahmen während Nawalnys Kundgebungen zu zahlen.

Aus öffentlich zugänglichen Quellen geht hervor: Zuvor hatte die US-Regierung keine politischen Aktivisten abgeschoben, die vor Verfolgung in Russland Asyl suchten. In den Jahren 2022 und 2023 gab es dann auf einmal solche Fälle von Abschiebungen. Sie betrafen etwa Personen, die sich weigerten, am Krieg gegen die Ukraine teilzunehmen – obwohl das Weiße Haus erklärt hatte, dass es Russen, die Asyl beantragen, um der Mobilisierung zu entgehen, unterstützen wolle.

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