Meduza-Auswahl 10. bis 16. August: Warnung an Exiljournalisten
Drei russische Journalistinnen wurden wohl im Ausland vergiftet. Meduza und The Insider recherchieren ihre Fälle. Texte aus dem Exilmedium.
Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.
In der Woche vom 10. bis 16. August 2023 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:
Giftanschläge auf russische Journalisten im Exil
Meduza veröffentlicht eine Recherche (englischer Text) des unabhängigen russischen Mediums The Insider über eine Reihe von Giftanschlägen auf russische Journalisten und Aktivisten, die in Europa im Exil leben. Die Opfer: Die Journalistin Jelena Kostjutschenko, die für die oppositionelle Nowaja Gaseta und Meduza schreibt, vergiftet im Oktober 2022 in München. Die Journalistin Irina Babloyan, die für den Radiosender Echo Moskwy arbeitete, vergiftet im vergangenen Herbst in Tbilissi, Georgien. Natalia Arno, Präsidentin der Free Russia Foundation, vergiftet im Mai dieses Jahres.
Ziel der Veröffentlichung von The Insider und Meduza ist nicht nur über die Fälle zu berichten – sondern auch russische Aktivist*innen im Ausland vor dieser möglichen Gefahr zu warnen.
Wie eng sind Georgien und Russland?
Die Regierungspartei in Georgien betrachtet den Krieg in der Ukraine als eine direkte Fortsetzung des Krieges zwischen Russland und Georgien im Jahr 2008. Als Wladimir Putin im Mai 2023 die Visumspflicht für georgische Bürger*innen aufhob und die Flugverbindungen zwischen den beiden Ländern wieder aufgenommen wurde, erklärte die georgische Oppositionspartei Vereinigte Nationale Bewegung, dass Georgien damit faktisch zu einer russischen Provinz werde.
Meduza analysiert in diesem Beitrag (russischer Text) die politische Lage in der ehemaligen sowjetischen Republik im Kaukasus. Aber auch der georgischen Bevölkerung fällt es laut Umfragen schwer, den Kurs der Regierungspartei Georgischer Traum einzuschätzen. Laut einer Befragung des US-amerikanischen International Republican Institute vom vergangenen März glauben etwa 38 Prozent der Georgier*innen, dass die aktuelle Außenpolitik pro-westlich ausgericht sei – und 45 Prozent halten sie für prorussisch.
Der Ukrainekrieg hat außerdem Auswirkungen auf Abchasien und Südossetien. Die beiden von Georgien abgespaltenen Regionen sind seit der Anerkennung der Unabhängigkeit durch Moskau stark von russischen Hilfen abhängig. Jetzt müssen die selbsternannten Republiken mehr auf ihre eigene Wirtschaft zählen.
Russlands Kulturszene steckt in der Krise
Das russische Theater befindet sich in einer tiefen Krise, zum großen Teil als Folge des Ukrainekrieges, der seit dem 24. Februar 2022 tobt. Schauspieler und Regisseure werden wegen ihrer Antikriegshaltung unter Druck gesetzt, viele verlassen das Land. Ihre Stücke verschwinden von den Spielplänen, Kultureinrichtungen wie das ikonische Gogol-Zentrum, das einmal führende Avantgarde-Theater Russlands, müssen schließen.
Einen Besuch des unabhängigen russischen Mediums Bumaga bei acht nichtstaatlichen Theatern in der russischen Metropole Sankt Petersburg fasst Meduza in diesem Bericht zusammen (russischer Text). Die Projekte dieser Theater können, trotz der schwierigen Bedingungen, bisher noch weitergeführt werden. Auch Alternativen formieren sich, etwa ein „Pop-up-Theater“. Und wenn in Sankt Petersburg die Zensur nicht mehr umgangen werden kann, sollen die Stücke eben im Ausland aufgeführt werden.
Nawalny: „Verkaufte, versoffene und vertane Chance“
Der Oppositionelle Alexei Nawalny wurde in der vergangenen Woche zu zu 19 Jahren Haft verurteilt. Nawalny wirft nun in einem Brief der liberalen Opposition und den unabhängigen russischen Medien vor, das Regime Putins seit den 1990er Jahren immer weiter zu legitimieren. Stattdessen hätten sie sich wehren müssen, schreibt er. Es ist der längste veröffentlichte Text des Oppositionspolitikers, seitdem der Prozess gegen ihn begann.
Der Brief erschien zuerst auf seiner Webseite unter dem Titel “My Fear and Loathing“. Meduza hat ihn nun in vollständiger Länge auf Englisch veröffentlicht. Nawalny schreibt: “Deshalb kann ich nicht anders und ich hasse diejenigen, die die historische Chance, die unser Land Anfang der 90er Jahre hatte, verkauft, versoffen und vertan haben.“ Er hasse Boris Jelzin, hasse „die Schwindler, die wir früher aus irgendeinem Grund Reformer nannten“. Heute sei klar, dass diese nichts anderes getan hätten, als sich um ihren eigenen Reichtum zu bemühen.
Berühmter Radiomoderator Leonid Wolodarski gestorben
Der Übersetzer und Radiomoderator Leonid Wolodarski – ein Mann, dessen Stimme in ganz Russland bekannt ist – ist im Alter von 73 Jahren nach langer Krankheit verstorben. Wolodarski vertonte in den 1980er und -90er Jahren ausländische Filme, die in der UdSSR und später in Russland veröffentlicht wurden. Diese Filme, die ihn berühmt gemacht hatten, bezeichnete er rückblickend als „95 Prozent Propaganda“.
In den vergangenen Jahren unterstützte er die Regierung Putins. Hört man sich Wolodarskis Äußerungen der letzten Jahre an, ist es schwer zu glauben, dass es sich um denselben Mann wie in den 80er und 90er Jahren handelt. Im Jahr 2014 sprach er von einer Bedrohung Russlands durch „eine Internationale der Hasser unseres Landes“. Er unterstützte repressive Gesetze und verachtete den Oppositionellen Nawalny – dessen Anhänger, so Wolodarski, nichts lesen und nichts wissen würden. Meduza veröffentlicht nun einen Nachruf (russischer Text).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“