Medienanstaltsleiter über Hate Speech: „Das Problem ist nicht unlösbar“

Tobias Schmid will mit einer neuen Initiative nicht nur erreichen, dass Hasskommentare gelöscht werden. Eine juristische Ahndung soll folgen.

eine Frau fotografiert vor einer Wand mit Mauersteinen mit Beschriftung

Kampagne gegen Hate Speech in Berlin, 2017 Foto: dpa

taz: Herr Schmid, Sie haben 2017 die Initiative „Verfolgen statt nur Löschen – Rechtsdurchsetzung im Internet“ gestartet. Was soll sich jetzt verbessern? Das kürzlich verabschiedete NetzDG, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, der Bundesregierung ist ja schon umstritten. Kritiker meinen, dass es eher die Zensur fördere.

Tobias Schmid: Das NetzDG greift zu kurz, weil es hier vornehmlich ums Löschen geht. Wir müssen die Taten aber verfolgen, damit die Täter verstehen, warum gelöscht wird. Das ist auch für den edukativen und generalpräventiven Effekt sehr wichtig. Deswegen legen wir den Schwerpunkt auf die rechtliche Verfolgung. Jeder muss für seine Aussagen geradestehen. Ein großer Unterschied zum NetzDG besteht auch darin, dass dort die Unternehmen selbst tätig werden müssen. Ich bin nicht sicher, ob Unternehmen über die Grenzen der Meinungsfreiheit entscheiden sollten. So besteht die Gefahr, dass sie Inhalte vorschnell löschen, um kein Bußgeld zu riskieren.

Wird das denn bei Ihnen anders sein?

Es ist schon ein Unterschied, ob sich ein Staatsanwalt oder die Medienaufsicht oder aber ein Unternehmensmitarbeiter in einem Löschzentrum mit der Angelegenheit befasst.

Können Sie und die Staatsanwaltschaft das bei der zu erwartenden Vielzahl der Fälle überhaupt leisten?

Der Förster ist dazu da, dass der Wilderer glaubt, er könnte erwischt werden, auch wenn der Förster nicht alle Wilderer erwischen kann. Hassredner sollen wissen, dass Aussagen im Netz gegen unser Recht verstoßen und geahndet werden können.

ist Direktor der Landesanstalt für Medien NRW. Vorher machte der Jurist Lobbyarbeit für RTL.

Was machen Sie bei Rechtsverstößen aus dem Ausland?

Theoretisch ist das einfach, innerhalb der EU gilt europäisches Recht, und bei Verstößen aus dem Nicht-EU-Ausland gilt die deutsche Rechtsordnung. Das praktische Problem liegt eher in der Durchsetzung dieses Rechts. Das gemeinsam mit unseren europäischen Schwesterbehörden zu verbessern, ist eine unserer Hauptaufgaben.

Angesichts der globalisierten Medienwelt stellt sich die Frage, wie sinnvoll regional aufgestellte Medienregulierung überhaupt sein kann.

Auch wenn Autos weltweit verkauft werden, wird der Hersteller im jeweiligen Verkaufsland belangt werden, wenn er sich beispielsweise nicht an die dortigen Abgasnormen hält. Das kann man übertragen. Nationales Recht wird auch auf Inhalte aus dem Ausland angewandt. Wenn etwas weltweit verfügbar ist, heißt das ja nicht, dass wir nationales Recht außer Kraft setzen. Und dass die Medienregulierung regional aufgestellt ist, wie viele andere Institutionen, ist eine Folge des föderalen Systems in Deutschland.

Eine andere Baustelle bei Ihnen sind die Angebote von Influencern im Internet. Während die klassischen Sender in Bezug auf Werbeverstöße sowie Schleichwerbung streng kontrolliert werden, scheint es im Netz Wildwuchs zu geben. Die Industrie bezahlt Blogger oder Videokünstler, die dann in sozialen Netzwerken wie YouTube, Facebook, Twitter oder Instagram versteckte Produkt- oder Markenempfehlungen unterbringen …

Ja, das ist ein zentrales Pro­blem. Aber es ist nicht unlösbar. Wir machen zunehmend klar, dass die Rechtsordnung in allen Medien gilt. Praktisch adres­sieren wir die Verursacher – also die Influencer selbst. Wir fordern sie zunächst freundlich dazu auf, die Verstöße gegen die Werbekennzeichnung abzustellen, was in der Regel auch passiert. 2017 haben wir 170 einzelne Angebote analysiert und uns in 127 Fällen, bei denen eine Werbekennzeichnung der Angebote fehlte oder unzureichend war, an die verantwortlichen Influencer gewandt.

Mittlerweile sind in 99 Fällen die Missstände beseitigt, bei den restlichen geht es darum, zu klären, ob überhaupt ein Werbeverstoß vorliegt. Wir merken übrigens, dass die Influencer selbst ein zunehmendes Interesse an einem regelkonformen Verhalten im Netz haben. Sollte dieses Vorgehen in Einzelfällen nicht ausreichen, sind wir aber auch immer bereit, Recht ganz klassisch durchzusetzen – also mit Sanktionen.

Dennoch, angesichts eines nicht mehr übersehbaren digitalen Universums erscheinen Ihre Regulierungsmethoden als unzureichend …

In der analogen Welt hatten wir den Anspruch, jeden Rechtsverstoß zu finden und zu ahnden. Das ist in einer digitalen Welt nicht mehr realistisch. Aber ich bin sicher, dass es bereits einen deutlichen Effekt hat, wenn jeder damit rechnen muss, dass er bei Verstößen auch zur Rechenschaft gezogen wird.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.