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Medienanstaltschef über Hass im Internet„Hier findet Entgrenzung statt“

Tobias Schmid, Chef der Landesmedienanstalt NRW, über Beleidigung und Desinformation im Internet – und wie man sich als Gesellschaft dagegen wappnet.

Alltäglich und beliebig: Hass­botschaften auf Social Media Foto: Thomas Trutschel/imago
Wilfried Urbe
Interview von Wilfried Urbe

taz: Herr Schmid, vor rund fünf Jahren haben Sie gemeinsam mit anderen die Initiative „Verfolgen statt nur Löschen“ gestartet. Was hat sich in dieser Zeit getan?

Tobias Schmid: Wir müssen wohl wahrnehmen, dass Netz und Hass kaum trennbar miteinander verbunden sind. Das kennzeichnet die Kommunikation im Internet. Aber wir sehen, dass die Gesellschaft die Verantwortung dafür immer mehr wahrnimmt. Die Anzahl derer, die solche Vergehen anzeigen oder bei den Plattformen melden, steigt kontinuierlich. 2019 war das etwa ein Viertel der Bevölkerung, jetzt ist es ein Drittel. Das zeigt, dass die Gesellschaft lernt, dass eine offene, freie Kommunikation Grenzen hat und sie dabei mitwirken möchte, diese Grenzen zu schützen.

Bild: Annette Etges
Im Interview: Tobias Schmid

Direktor der Landesmedienanstalt NRW und Europabeauftragter der Direktorenkonferenz der Medienanstalten. Davor war er bei der Mediengruppe RTL.

Welche Resultate haben Sie mit Ihrer Initiative erreicht?

Nachdem wir 2018 starteten, haben wir inzwischen 1.500 Anzeigen an das LKA NRW beziehungsweise das BKA weitergeleitet. Daraus sind 900 Ermittlungsverfahren entstanden und 400 Beschuldigte identifiziert worden. Aktuell laufen 52 Anklagen, bisher kam es zu 38 Verurteilungen. Bei den Anzeigen handelt es sich um Täterinnen und Täter, die meistens für mehrere Fälle verantwortlich sind.

Mit welchen Fällen sind Sie hauptsächlich konfrontiert?

Es geht häufig um Themen wie Corona, Flüchtlinge oder Sexualität. Erschütternd sind die Alltäglichkeit und Beliebigkeit, mit der Hass benutzt wird. Hier findet eine Entgrenzung statt. Die Nutzung unseres größten demokratischen Privilegs – der Meinungsfreiheit – setzt auch einen verantwortungsvollen Umgang mit diesem Privileg voraus. Der offene, aggressive Hass ist schnell zu erkennen, aber der feinziselierte Hass, der bewegt sich oft an einer Grenze, wo er juristisch nur schwer zu belangen ist.

Neben der Hassrede ist vor allem die Desinformation im Netz eine weitere große Baustelle.

Der Bereich Hass und Beleidigung ist rechtlich gut definiert. Bei bewusster Desinformation gibt es da noch Schwierigkeiten: Wo liegen mit Blick auf Meinungsfreiheit die Grenzen? Das ist noch nicht zu Ende diskutiert. Es gibt kein Verbot für Desinformation im medialen Bereich. Aber wir brauchen dringend gesetzliche Grundlagen, um dagegen vorzugehen …

Wo liegt die Problematik?

Ein Beispiel: Die Partei x kündigt an, im Fall einer Wahl dafür zu sorgen, dass es keine Verkehrsstaus mehr geben wird. Ist das eine bewusste Desinformation? Ich würde sagen ja. Aber ist diese Aussage demokratiegefährdend? Ich glaube nein. Und wo würde Demokratiegefährdung beginnen? Forderungen nach Verboten sind schnell erhoben. Aber wie sollen sie umgesetzt werden?

Was ist Ihre Empfehlung?

Es wäre sinnvoll, wenn wir uns zunächst um die Dinge kümmern, die objektiv ­erfassbar sind. Das könnte man etwa bei technischen ­Manipulationen machen. Beispiel: Die Aussage „Jeder Flüchtling bekommt in Deutschland einen Führerschein geschenkt“ ist falsch, aber sie alleine gefährdet auch nicht die Demokratie. Aber wenn durch einen technischen Trick der Eindruck erweckt wird, 400.000 Menschen reagieren darauf und stimmen dieser Aussage zu, dann entsteht der Eindruck: Da muss doch etwas dran sein. Die Gefahr entsteht hier durch die scheinbare Resonanz. Das könnte man gesetzlich regeln.

Durch künstliche Intelligenz, etwa mit gefälschten ­Bildern und Videos, ist eine ganz neue Dimension entstanden.

Ja, aber grundsätzlich müssen wir uns darüber verständigen, wogegen wir eigentlich vorgehen sollen und müssen. Diese Frage ist nur schwer zu beantworten, weil dort auch die Frage mitschwingt: Was muss eine Demokratie im Sinne der Meinungsfreiheit ertragen? Das muss die Gesetzgebung definieren – auch, gegen wen man vorgeht. Wenn man die digitalen Plattformen hier mehr in die Pflicht nehmen würde, strafbare Inhalte zu unterbinden, wären viele Fehlentwicklungen im Netz viel leichter einzudämmen. Und man müsste dann auch nicht jahrelang recherchieren, wer den entsprechenden Schwachsinn in die Welt gesetzt hat.

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4 Kommentare

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  • Wartet mal bis sich die AfD jedesmal beleidigt fühlt und Anzeige erstattet.

    • @Wes:

      Und dann *was*?

      Siehe www.bverfg.de/e/rk...19_1bvr255218.html

      Offensichtlich querulantische, rechtsmissbräuchliche, organisierte Kampagnen braucht kein*e Rechtspfleger*in in Deutschland zu bearbeiten.



      Und wenn es trotzdem jemand tun, und sich das häuft - aber nur in Fällen wo die Klagen von rechtsaußen eingereicht werden -, kann so etwas auch mal eine Überprüfung nach sich ziehen, ob hier nicht *systematisch* Rechtsbeugung betrieben wird.



      Ich erinnere da an den Fall eines gewissen Familienrichters, der meinte, das Amtsgericht Weimar sei eine Mischung aus Bundesgerichtshof und ECHR.

      Jeder Mensch kann in Deutschland Anzeige erstatten.



      Aber ob sich ein Gericht damit *auseinandersetzen* wird, liegt *nicht* im Ermessen der Person, die die Anzeige stellt.



      Und beides ist sinnvoll so, wie es ist.

  • Ich habe schon so häufig etwas bei Facebook gemeldet. Entweder werden die Meldungen von einem Algorithmus bearbeitet oder von Leuten ohne Deutschkenntnisse. Fast nichts wird gelöscht.

    Allerdings muss man auch die Betreiber vieler FB-Seiten in die Pflicht nehmen. Die Social Media Redakteure von SPIEGEL, Tagesspiegel und erst recht Berliner Zeitung tun nicht das geringste gegen Trolle. Bei der Berliner Zeitung ist es besonders schlimm. Da kommentieren mittlerweile fast nur noch astreine Nazis, Russlandliebchen und Rassisten. Die Zeitungen haben Leute, die das moderieren könnten, oder wenigstens bestimmte User blocken. Tun sie nicht.

    • @Suryo:

      Ja, das geltende Recht ist im Großen und Ganzen ausreichend, so wie es ist.

      Es müsste nur durchgesetzt werden.