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Israel will Al Jazeera verbietenBlinde Flecken

Felix Wellisch
Kommentar von Felix Wellisch

Israels Regierung will Al Jazeera als „Sprachrohr der Hamas“ verbieten. Das ist ein Fehler, auch wenn der katarische TV-Sender nicht objektiv berichtet.

Al-Jazeera Büro in Jerusalem 2017 Foto: Mahmoud Ibrahem/picture alliance

E in Fernseher, auf dem Al Jazeera läuft, gehört zum festen Inventar vieler Cafés und Restaurants im arabischen Teil der Altstadt von Jerusalem. Beim Friseur in der Nähe des Damaskustors flackern am Donnerstag in schneller Folge Bilder des von Israel bombardierten Konvois der Hilfsorganisation World Central Kitchen über den Bildschirm, gefolgt von Aufnahmen von bis auf die Knochen abgemagerten Kindern und in blutige Decken eingewickelte Leichen, Opfer eines israelischen Luftangriffs.

Damit soll nach dem Willen der israelischen Regierung bald Schluss sein. Ein Gesetz zur Einschränkung internationaler Medien, welche die „nationale Sicherheit“ bedrohen, hat vergangene Woche das israelische Parlament passiert. Erklärtes Ziel der Maßnahme: Al Jazeera. „Für Sprachrohre der Hamas wird es in Israel keine Meinungsfreiheit geben“, sagte Kommunikationsminister Shlomo Karhi im Anschluss an die Abstimmung.

Der katarische Sender gehört nach eigenen Angaben mit rund 430 Millionen Zuschauern zu den reichweitenstärksten in der arabischen Welt. Im Gegensatz zu den meisten internationalen Medien verfügt er im Gazastreifen über ein dichtes Netz an Korrespondenten. Die Reporter berichten ungefiltert über den Schrecken des Krieges und werden dabei auch immer wieder selbst zum Ziel. Unter den rund einhundert seit Kriegsbeginn getöteten Journalisten ist auch der Sohn des Al-Jazeera-Büroleiters im Gazastreifen, Hamza al-Dahdouh, der im Januar bei einem Luftangriff ums Leben kam.

Dass sich Al Jazeera nicht um Neutralität bemüht, ist deutlich: „Al-Aksa-Flut“ ist auf der arabischen Webseite der Bereich zum Gaza-Krieg überschrieben, benannt nach dem Namen der Hamas für ihren blutigen Angriff auf Südisrael am 7. Oktober 2023, bei dem die Angreifer rund 1.200 Menschen töteten und etwa 250 entführten.

„Gefährlicher Präzedenzfall“

Ein Verbot des Senders ist dennoch der falsche Weg. Zum einen dürfte es kaum umzusetzen sein, schätzt Tehilla ­Shwartz-Altshuler vom Israelischen Institut für Demokratie IDI: „Das Gesetz ist Symbolpolitik, die sich vor allem an die Wählerschaft von Ministerpräsident Netanjahu richtet.“

Wer Al-Jazeera-Inhalte sehen wolle, der könne jedes Verbot voraussichtlich leicht umgehen. Schaden könnte es hingegen der Pressefreiheit. Der Verband der Auslandspresse in Israel warnt vor einem „gefährlichen Präzedenzfall“, der in der Folge auch weitere Sender treffen könnte.

Zum anderen ignoriert der Fokus auf Al Jazeera, dass auch die israelische Presse in der Berichterstattung über den Krieg blinde Flecken hat. Es dominiert die Perspektive der Soldaten, die gegen Hamas-Kämpfer vorgehen, der Geiselfamilien oder der Angehörigen gefallener israelischer Soldaten.

„Die Israelis sehen nicht die Bilder aus dem Gazastreifen, die der Großteil der Welt sieht“, sagte Raviv Drucker, einer von Israels bekanntesten Investigativjournalisten und Moderator beim privaten Sender Kanal 13, im Interview dem britischen Guardian. Fehlverhalten israelischer Soldaten in Gaza oder im besetzten Westjordanland „wollen die Menschen nicht sehen“. Drucker setzt sich dafür ein, mehr über die palästinensische Zivilbevölkerung zu berichten.

Nie ein Video der Gräueltaten gesehen

Damit ließe sich vielleicht etwas ändern an schockierenden Umfragen wie etwa der des IDI von Februar. Zwei Drittel der befragten jüdischen Israelis waren damals gegen humanitäre Hilfe für Gaza, als internationale Organisationen längst vor einer drohenden Hungersnot warnten. Zwar gibt es unabhängige israelische Presse, allen voran die Tageszeitung Haaretz, die scharf die eigene Regierung oder das Vorgehen der Armee kritisiert. Doch sie erreichen nur einen Bruchteil der Gesellschaft.

Auf Seiten der Palästinenser sieht es nicht besser aus: Laut einer Befragung des palästinensischen Umfrageinstituts PSR in Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung stehen 70 Prozent im Westjordanland und dem Gazastreifen hinter dem Angriff der Hamas am 7. Oktober. Dieselbe Umfrage kommt aber auch zu dem Ergebnis, dass vier von fünf Palästinensern nie ein Video der Gräueltaten und Massaker an israelischen Zivilisten gesehen haben. Bei Al Jazeera wurden diese kaum ausgestrahlt.

Was die Sicherheit Israels gefährdet, ist nicht die freie Presse, auch wenn sie derart parteiisch berichtet wie Al Jazeera. Gefährlich sind die Informationsblasen, in denen sich viele Palästinenser und Israelis eingerichtet haben. Und gefährlich ist das Unverständnis vieler Israelis für die wachsende Kritik weltweit am Vorgehen der Armee in Gaza.

„Weil sie selbst nicht das ganze Bild vor Augen haben, verstehen viele nicht, warum die Welt palästinensisches Leid sieht und das israelische scheinbar vergessen hat“, sagt Shwartz-Alt­shuler. Ein Verbot von Al Jazeera kann daran nichts ändern. Gute Berichterstattung, die alle Beteiligten hört, hingegen schon.

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Felix Wellisch
Korrespondent
berichtet für die taz aus Israel und den palästinensischen Gebieten. Geboren 1989. Er hat Politik- und Sozialwissenschaften in Jena, Dresden und Kairo studiert und die Deutsche Journalistenschule in München absolviert. Ernst Cramer & Teddy Kollek-Fellow.
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6 Kommentare

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  • Erst ist es Al Jazeera dann als nächstes Medien die kritisch gegenüber der Regierung sind wie die Haaretz oder +972 Magazine? Ich halte nichts von Verboten, sondern mehr von Aufklärung.



    Und ganz ehrlich: auch viele westliche Medien hatten über Monate blinde Flecken und haben sehr einseitig berichtet. Die BBC musste sich erst neulich rechtfertigen für ihre einseitige Berichterstattung des IGH- Prozesses Südafrika vs Israel. Es wurden auch bereits in America und England Untersuchungen über den Sprachgebrauch in der Berichterstattung sowohl in Bezug auf Palästinenser als auch Israelis gemacht. (z.B. The Intercept: Coverage of Gaza War in the New York Times and Other Major Newspapers Heavily Favored Israel, Analysis Shows). Auch westliche Medien sind oft einseitig und nicht unparteiisch. Und wenn es sein muss werden dann auch Mal Beiträge weggelassen, oder nur kurz in einem Newsflash erwähnt. Es gibt nur noch wenige unabhängige Medien.



    Denke ich das Al Jazeera unabhängig ist? Auf keinen Fall. Denke ich das es trotzdem wichtig ist, sich auch das anzuschauen? Ja, weil man sonst nämlich auch nur in einer Blase lebt und nur Sachen schaut, die den eigenen Narrativ bestätigen. Zudem reden eine Menge Leute über Araber/ Muslime haben aber oft eigentlich keine Ahnung- da kann es schon mal helfen seinen eigenen Horizont zu erweitern und Nachrichten aus anderen Ländern zu schauen und sich mal damit auseinander zu setzen was diese Leute so bewegt, was deren Perspektive ist und warum. Wir sehen ja schließlich auch nur alles mit unserem westeuropäischen Hintergrund. Und ein zu eigenem Denken fähiger Mensch, der kritisch hinterfragt und diese Sender schaut mit dem Wissen, wer das finanziert, sollte kein Problem damit haben Al Jazeera zu schauen und selbst zu entscheiden was stimmt und was nicht. Ich empfehle sowieso mehrere Quellen zu nutzen und sich dann ein Bild zu machen.

  • Bald ist wieder 3.Mai und die Frage ist dabei:



    Wo ist Presse wirklich frei?



    Dieses hier ein Hinweis sei:



    /



    "Krisen, Kriege und die anhaltende Ausbreitung des Autoritarismus haben dazu geführt, dass die Lage der Pressefreiheit im vergangenen Jahr so instabil war wie seit langem nicht. Dies lässt sich aus der neuen Rangliste der Pressefreiheit ablesen, die Reporter ohne Grenzen (RSF) am 3. Mai 2023, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, veröffentlicht."



    /



    www.mvfp.de/nachri...rstattung-nimmt-zu

  • Al Jazeera ist der Staatssender aus dem Land in dem die Führung der Terrortruppe von der Hamas sitzt und sich des Schutzes und des Wohlwollens der dortigen Regierung erfreut.

    Ich bin nicht der Meinung, dass im Namen der Meinungsfreiheit alles hinzunehmen ist; im Gegenteil muss diese auch geschützt werden.

  • al jazeera ist für die taz eine freie presse? wird ja immer absurder, diese berichterstattung.



    al jazeera ist katarisches staatsfernsehen und trägt laut wikipedia "wesentlich zur islamistischen Radikalisierung des arabischen Raumes bei" und versteht sich selbst als "Propagandainstrument der Muslimbrüderschaft mit Yusuf al-Qaradawi als spiritueller Führungsfigur, die regelmäßig zum Heiligen Krieg aufruft."

  • 8G
    81283 (Profil gelöscht)

    vielleicht lassen wir das mal israelis entscheiden? und, ohne das ausmaß politischer propaganda durch al jazeera zu kennen, gibt es gute gründe, angeblich „freie“ presse wie RT Deutsch einzugrenzen. liegt im auge der involvierten. das sind in dem fall nicht wir.

    • @81283 (Profil gelöscht):

      #peanuts



      die taz sagt in der Headline, daß aJ nicht objektiv berichtet.



      Es wäre allerdings das Kennzeichen einer freien Presse.



      Ergo: die taz sagt, aJ ist KEINE freie Presse



      Wo sagt die taz, daß aJ freie Presse ist?