Mediale Inszenierung eines Streits: Die Angela und der Horst
Politik ist ein Boxkampf. Das vermittelt zumindest die Inszenierung des Streits zwischen Merkel und Seehofer – bei der alle Medien dankbar mitspielen.
Hat Horst Seehofer neulich wirklich über Angela Merkel gesagt, er könne „mit der Frau nicht mehr arbeiten“? Dazu haben Journalisten in den vergangenen Tagen unterschiedliche Einschätzungen verbreitet. Dabei sollte die Frage, ob Seehofer seine Befindlichkeit in leicht Dieter-Bohlen-artiger Manier zum Ausdruck gebracht hat, aber eigentlich nur für LeserInnen von Klatschmagazinen relevant sein.
Politikjournalismus hierzulande sei „die Beschreibung der Macht und ihrer Organisation als endlose Telenovela“, hat Kay Sokolowsky Anfang des Jahres in der Zeitschrift konkret geschrieben, und das trifft auch auf die aktuelle Berichterstattung über den Streit zwischen CDU und CSU zu. Sokolowsky skizziert in dem Artikel eine Art ungeschriebenes Standard-Drehbuch: „Alles Politische wird zu einer Sache der Gefühle, Stimmungen, ‚Chemie‘. Irgendeiner lauert im Hintergrund, irgendeine probt den Aufstand, jemand spielt auf Zeit, alle verlieren die Geduld, ‚hinter den Kulissen‘ tobt ein ‚Krach‘.“
Auch der Sportjournalismus hinterlässt Spuren: „Merkels Streit mit Seehofer über Zurückweisungen an der Grenze: Warum diese Runde an die Kanzlerin ging“ – so teaserte Robin Alexander bei Twitter kürzlich eine „Analyse“ für die Welt an. Das Ganze ist also auch ein Boxkampf, irgendwie.
Die Berichterstattung ist in eine Schieflage geraten – zum einen wegen der geradezu kindisch anmutenden Personalisierung politischer Vorgänge, zum anderen, weil der Eindruck erweckt wird, Änderungen des Prozederes an der bayerisch-österreichischen Grenze hätten Einfluss auf die globalen Flüchtlingsbewegungen.
Journalisten als Populisten
Der Zeit-Online-Redakteur Christian Bangel schrieb nach der Bundestagswahl 2017 von einem „Journalistenpopulismus“, der entstanden sei. Diesen konnte man auch in der vergangenen Woche wieder beobachten, direkt am Kiosk. Der Stern titelte: „Der Mordfall Susanna F. und das Ende von Merkels Flüchtlingspolitik“. Die Zeit hob das gleiche Thema auf Seite 1 mit der Zeile: „Ein Mord, der etwas ändern muss“. Der Spiegel schrieb auf dem Cover: „Wie gehen wir mit Migranten um? Die Flüchtlingskrise gefährdet Merkels Kanzlerschaft“.
Die Journalistik-Professorin Friederike Herrmann von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt beschäftigte sich schon 2016 in der Zeitschrift Communicatio Socialis mit dem „narrativen Muster“ der „Langzeiterzählung zur sogenannten Flüchtlingskrise“. Der Text klingt verblüffend aktuell. „Die öffentliche Allgegenwart des Themas über Wochen in allen Medien“ konstruiere „ein ‚Zuviel‘ allein schon durch das Ausmaß der Berichterstattung“. Ein globales Thema werde weitgehend reduziert auf eine „innenpolitische Auseinandersetzung, die weniger an Parteien als an Personen gebunden scheint. Paradigmatisch stehen in dieser Personalisierung des Themas die ‚Wir-schaffen-das-Kanzlerin‘ und der ‚Ich-will-eine-Obergrenze-Seehofer‘ gegeneinander.“
Heute konstatiert Herrmann: „Der Diskurs verroht, es werden humanitäre Werte verraten, Werte, die unsere Gesellschaft erst lebenswert machen.“ Im Gespräch mit der taz betont sie aber, dass sie „kein Journalistenbashing betreiben“ möchte. Vielmehr möchte Herrmann den Blick gerichtet wissen auf die „Mechanismen, die der Berichterstattung eingeschrieben sind“. Das Problem seien die Regeln des Nachrichtenjournalismus: Journalisten berichteten „zu sehr aus der Perspektive der Politik, aus der Institutionenperspektive, und es zeigt sich jetzt, wie fatal das ist.“ Diese Regeln, so Herrmann, müssten neu diskutiert werden. Journalismus brauche mehr Distanz zur Politik.
Friederike Herrmann
Ob und wie das überhaupt möglich ist, ist eine andere Frage. Ebenso, ob die Journalisten angesichts des ökonomischen Drucks, unter dem viele von ihnen stehen, und angesichts des ständigen Blicks auf die Klickraten selbstsicher genug sind, derartige Neuerungen anzugehen.
Möglicherweise sind erst einmal verhältnismäßig kleine Schritte angezeigt. Der stellvertretende Zeit-Chefredakteur Bernd Ulrich twitterte kürzlich: „Für den Pluralismus und den lebendigen Streit in diesem Land ist es enorm wichtig, dass der rechts-rigorose Mainstream in der #Flüchtlingspolitik durch einen links-liberalen Gegenstrom ausgeglichen wird.“
Dafür bräuchte es aber eine Klarstellung, wo die Fronten in der Flüchtlingspolitik überhaupt verlaufen. Die aktuelle Bundesregierung setzt, wie auch die vorige, längst die Politik um, die jene fordern, die sich rechts von Merkel positionieren. Es geht diesen Kritikern nur vorgeblich um die Flüchtlingspolitik. Vielmehr geht es ihnen darum, das gesellschaftliche Klima für einen autoritären Staat und für die Beschneidung der Freiheitsrechte zu schaffen.
Manche dem eher linksliberalen Lager zuzuordnenden Journalisten haben sich in den Seehofer-gegen-Merkel- und den AfD-gegen-Merkel-Erzählungen aber derart verheddert, dass sie nunmehr Partei für Merkel ergriffen haben. Das ist vielleicht der größte Treppenwitz in einer ohnehin irrwitzigen Gemengelage, und vielleicht werden das ja Medienwissenschaftler in zehn Jahren ausführlich analysieren.
Mehr Empathie wagen
Mehr Empathie wagen – auch das ein möglicher Schritt. „Ich gebe zu: Ich schäme mich! Ich schäme mich für diese Flüchtlingspolitik“, proklamierte „Monitor“-Redaktionsleiter Georg Restle im August vergangenen Jahres in einem viel diskutierten „Tagesthemen“-Kommentar. Er schäme sich für „eine Politik, die von der deutschen Bundeskanzlerin wesentlich mitbestimmt wird – und die eine einzige Schande ist – für dieses Land und für diesen Kontinent“, und er schäme sich für die Verlegung der EU-Außengrenze nach Afrika und die Kumpanei mit dortigen „Regimen, die mit europäischen Grundwerten wenig bis gar nichts zu tun haben“.
Derlei Pathos steht Journalisten nicht immer gut, aber es ist allemal wichtiger, die deutsche Flüchtlingspolitik immer wieder auf ihren Kern herunterzubrechen, anstatt aktuellen Statements hinterherzuhecheln.
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