#MeToo in der katholischen Kirche: Ciao, Kulturwandel!
Die katholische Kirche steckt in der Krise und duckt sich weg. Rücktritte wird es nicht geben. Dabei wären sie ein wichtiges Signal.
Die katholische Kirche hat nun ihren eigenen #MeToo-Fall. Keine Überraschung in dieser Institution. Menschen, die sich im Kirchenumfeld bewegen, preisen sexualisierte Annäherungen, Übergriffe im Machtgefälle quasi ein. Im konkreten Fall, der durch die Berichterstattung der Zeit-Beilage „Christ und Welt“ ans Licht kam, geht es um zwei Frauen, die von einem Priester im Bistum Limburg belästigt wurden. Beide Fälle liegen einige Jahre zurück.
Es geht um Berührungen und Ansprache mit Kosenamen. Einer Mitarbeiterin des Bistums soll der Priester unter das T-Shirt an die Brust gefasst haben. Die Veröffentlichung kam pünktlich zum Katholikentag, der bis Sonntag in Stuttgart stattfindet. Ein echter Coup, denn nicht nur Kirchenanhänger:innen, sondern auch die Öffentlichkeit verfolgt dieses Event aufmerksam.
Der Limburger Bischof Georg Bätzing, der auch Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz ist, meldete sich prompt via Pressemitteilung zu den Vorwürfen. Er würde sich „entschieden“ dafür einsetzen, dass es einen „Kulturwandel in der Kirche“ gibt, „Betroffene gehört, Missbrauch verhindert sowie Täter und Taten klar benannt werden“. Bätzing habe erst einige Jahre nach seinem Wechsel ins Bistum Limburg von den Vorwürfen erfahren. Es gab eine Missbilligung, eine schriftliche Ermahnung – und dann nach erneuter Prüfung eine Beförderung zum Bezirksdekan für den Beschuldigten.
Bätzing weist alle Mitschuld von sich, gibt sich verständnisvoll für die Empörung der Betroffenen über die Beförderung des Beschuldigten, bietet Gespräche an für Betroffene. In den konkreten Fällen geht es um erwachsene Menschen, nicht um Schutzbefohlene oder Minderjährige. Es geht auch nicht um systematische und weit verbreitete sexualisierte Gewalt in kirchlichen Einrichtungen, die jahrelang vertuscht wurden. Dennoch muss es wie ein Hohn für die beiden betroffenen Frauen sowie alle anderen Kirchenbeschäftigten klingen, wenn die Taten überhaupt keine Auswirkungen innerhalb der Institution haben und sie stattdessen mit der Information über reumütige Gespräche abgespeist werden.
Die Strukturen geben es her
Wie lange können Amtsinhaber bedauern, sich erschüttert zeigen, um Entschuldigung bitten? Wie viele Papiere müssen geschrieben, debattiert und in den Kirchengremien verabschiedet werden, damit sich der viel beschworene „Kulturwandel“ vollzieht? Die Irritation ist enorm, auch in den eigenen Reihen. Zum Auftakt des Katholikentags äußerte sich der Bischof des Bistums Rottenburg-Stuttgart zum #MeToo-Fall ungewöhnlich scharf. Er sei perplex und überrascht, sagte Gebhard Fürst. Er würde in seiner Diözese so etwas niemals tun.
Auch Irme Stetter-Karp, Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, hat Fragen. Bätzing müsse zu einem Fehler in der Vergangenheit auch Stellung nehmen. Selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fordert Kirchenreformen und setzt auf die Arbeit des Synodalen Wegs. Seit 2019 läuft der Reformprozess in der katholischen Kirche in Deutschland. Es geht um die katholische Sexualmoral, den Umgang mit Macht, um Frauen in der Kirche und die priesterliche Pflicht zum Zölibat.
Die Worte verpuffen, prallen an hohen Würdenträgern ab. Seit Jahren. Das katholische #MeToo ist nur ein weiterer Fall in einem hierarchischen System, das veränderungsunwillig, träge ist und den „Schuss“ – wie Kirchenkritiker:innen es via Twitter formulierten – nicht gehört hat. Die Folgen: Schweigen, Ratlosigkeit, Kapitulation. Die, die auf Reformen hoffen, verzweifeln oder gehen. So wie Andreas Sturm, der erst vor Kurzem sein Amt als Generalvikar des Bistums Speyer niederlegte und aus der katholischen Kirche austrat. Er hatte keine Hoffnung auf Veränderung mehr. Ein Reformer geht, viele kritische Geister haben es bereits getan. Etlichen Jugendorganisationen, die sich an den verkrusteten Strukturen abarbeiten, geht zunehmend die Energie aus.
Diese Institution hat mehr als 20 Millionen Mitglieder. Tendenz rasant sinkend. Oben-und-unten-Hierarchien spielen eine zentrale Rolle, Demut, Ertragen von Leid, Schweigen gegenüber Ranghöheren. Die Reaktion Bätzings zeigt, dass sich an dieser Imagepflege möglichst nichts ändern soll. Die Strukturen geben es her, rechtfertigen Methoden und Entscheidungen. Also halten auch die Amtsträger daran fest. Ein echter Kulturwandel ist mit diesen Personalien nicht drin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Twitter-Ersatz Bluesky
Toxic Positivity