#MeToo in Großbritannien: Harrods düstere Schatten
Angestellte des Londoner Elitekaufhauses belasten den Ex-Besitzer Al-Fayed. Er soll sie sexuell missbraucht oder vergewaltigt haben.
Die Übergriffe haben sowohl im Kaufhaus selber und in Al-Fayeds Privatwohnung auf der Londoner Prunkstraße Park Lane, sowie im französischen Saint Tropez und der Villa Windsor im Bois de Boulogne bei Paris sowie in Abu Dhabi stattgefunden. In der TV-Doku kommen zahlreiche Opfer und Zeug:innen zu Wort, auch andere ehemalige Angestellte und ehemaliges Wachpersonal.
Mohamed Al-Fayed war der Vater von Prinzessin Dianas letztem Freund Dodi, der 1997 gemeinsam mit der Prinzessin in Paris bei einem Unfall ums Leben kam. In der Öffentlichkeit zeigte er sich als gepflegter, lustiger, freundlicher und spendabler Mann, der gerne von seinen weiblichen Angestellten als eine Art Vaterfigur gesehen werden wollte.
Jahrelang hatte er versucht, mit Hilfe von Justiz und Medien die Umstände des Todes von Lady Diana und seinem Sohn anzuzweifeln. Doch hinter den Kulisse war er offensichtlich ein Mann, vor dem sich Angestellte fürchten mussten. Zahlreiche Personen sagten aus, Al-Fayed habe unentwegt junge weibliche Angestellte ausgesucht, zu seinen persönlichen Angestellten befördert und bald zu sich nach Hause eingeladen. Häufig unter dem Vorwand, es sei zu spät oder gefährlich, alleine nach Hause zu fahren, und er könne eine Übernachtungsmöglichkeit anbieten.
Ärztliche Untersuchungen und Vergewaltigungen
Oft mussten die Angestellten medizinische Tests über sich ergehen lassen. Das Programm der BBC suggeriert, dass Ärzte mit Al-Fayed zusammenarbeiteten, und ihm die Ergebnisse persönlich und unter Umgehung der ärztlichen Verschwiegenheitspflicht übergaben.
Sobald die Frauen Al-Fayed ausgesetzt waren, versuchte er sie, oft nur im seidenen Morgenmantel bekleidet, auf dem Bett oder dem Sofa sexuell anzugreifen. Mindestens vier Frauen gaben an, dass sie von Al-Fayed vergewaltigt wurden, andere schilderten, wie sie sich mit Tritten wehrten und ihm entkamen. Über 20 von der BBC interviewte Frauen gaben an, dass sie sexuell genötigt worden seien. Al-Fayed habe in einem Fall auch versucht, einem Opfer Betäubungsmittel zu verabreichen, um sie im betäubten Zustand anzugreifen. Ein anderes Opfer sagte, dass Al-Fayed sie gewürgt habe.
Laut der Aussage eines an dem Fall interessierten Produzenten, der mit einem der ehemaligen Opfer verheiratet ist, könnte die tatsächliche Zahl von Al-Fayeds Opfern dreistellig sein. Schon jetzt wird Mohamed Al-Fayed in einem Atemzug mit dem pädophilen Sexualverbrecher Jimmy Savlle genannt. Vor allem, weil der frühere Harrods-Chef ein Mann war, der sich in den höchsten Etagen der britischen Gesellschaft bewegte, und es schaffte, seine Verbrechen zu vertuschen und seine Opfer zum Schweigen zu bringen.
Missbrauch im Unternehmen bekannt
Tom Lemming, ein ehemaliger Manager des prunkvollen Kaufhauses, gab an, dass Sicherheitsleute ständig über Al-Fayed witzelten. Wer behaupte, dass sie keine Kenntnis von seinen Verbrechen gehabt hätten, der lüge, so Lemming.
Al-Fayed habe zum Beispiel im Kaufhaus Gespräche abhören lassen, Einzelpersonen wurden rechtlich verfolgt oder zu mit Hilfe von Geld zum Unterschreiben von Geheimhaltungsvereinbarungen gezwungen. Auch Medien, wie etwas die Zeitschrift Vanity Fair, die zwischen 1995 und 2007 versucht hatte, die Erfahrungen von Opfern öffentlich zu machen, und einem Team der BBC wurde gedroht. Das führte zu Verzögerungen, Rücknahmen oder gleich der Einstellung der Veröffentlichungen.
Ein Opfer, aber auch Vanity Fair erklärten, dass Al-Fayed besonderen Wert auf die Vernichtung von Beweismaterial gelegt habe. Er ließ auch gefälschte Zeugenaussagen über seinen Charakter erstellen. Der Leiter des persönlichen Sicherheitsteams Al-Fayeds, ein ehemaliger Polizeibeamter, ließ Fayeds Opfer bespitzeln und warnte sie persönlich.
Parallelen zu bekannten #metoo-Fällen
„Alice“ – die BBC nennt die Opfer größtenteils nur mit dem Vornamen – war erst 15 Jahre alt, als Al-Fayed sie angriff. Sie hatte zwischen 1986 und 1991 für Harrods gearbeitet. Obwohl sie vor der Polizei aussagte und es zu einem Verfahren kam, wurde es schlussendlich wegen angeblicher Terminverwechslungen und der falschen Aussage einer Mitarbeiterin eingestellt. Vor der Kamera bereute diese ehemalige Mitarbeiterin nun, damals nicht die Wahrheit über Al-Fayed gesagt zu haben.
Ein Team von Anwälten, das derzeit 37 Opfer Al-Fayeds vertritt, will nun Harrods verklagen, weil es die Opfer im Stich gelassen habe. Harrods hätte die Opfer einem für sie nicht sicheren Arbeitsumfeld ausgesetzt. In einer Presseerklärung sagte Anwalt Dean Armstrong am Freitag, dass das Unternehmen die volle Schuld für den Missbrauch trage.
Er bezeichnete Al-Fayed als Monster, dessen Taten durch ein System ermöglicht wurden und dessen Verbrechen Elemente der Fälle von den Sexualverbrechern Jimmy Savile, Jeffrey Epstein und Harvey Weinstein beinhalte: Wie Savile, weil Harrods, die Einrichtung, aus der heraus Al-Fayed operiert habe, von den Taten gewusst habe. Wie Epstein, weil ein System existierte, durch das Al-Fayed Zugang zu den teils sehr jungen Mädchen und Frauen bekommen konnte. Und wie Weinstein, weil Al-Fayed an der Spitze einer Firma gestanden habe, wodurch er er seine Macht habe missbrauchen können.
Armstrong gab an, in seiner gesamten Anwalts-Laufbahn noch nie einen so schrecklichen Fall wie diesen gehabt habe.
Harrods zeigt sich „entsetzt“
Mohamed Al-Fayed hatte Harrods im Jahr 2010 für 1,5 Milliarden Pfund (etwa 1,8 Mrd Euro) verkauft. In einer schriftlichen Presseerklärung gab das Unternehmen an, man sei entsetzt über die Anklagen und den von Mohamed Al-Fayed begangenen Missbrauchs. Es seien die Taten einer Einzelperson gewesen.
Harrods erkenne jedoch an, dass es als ein Unternehmen seine Angestellten im Stich gelassen hätte, und bitte aufrichtig um Entschuldigung. „Harrods ist heute ein Unternehmen, welches das Wohl der Angestellten über alles stellt“, hieß es weiter.
Aus diesem Grund würde man, seitdem 2023 neue Informationen zu dem Fall ans Licht gekommen seien, alles daran setzen, entsprechende Beschwerden schnellstmöglich zu bearbeiten, um betroffenen Frauen lange Verfahren zu ersparen. Dieser Weg stehe allen bisherigen und ehemaligen Angestellten weiterhin offen. Während man das Geschehene nicht aus der Welt schaffen könne, würde man alles dafür tun, dass sich derartiges Verhalten nicht wiederholen könne.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit