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#MeToo an Berliner UnisDer lange Weg zur Veränderung

Sieben Jahre nach #MeToo zeigen Berliner Hochschulen Engagement gegen sexualisierte Gewalt. Ein Blick auf ein ebenso tabuisiertes wie drängendes Thema.

Eingang der Hochschule für Technik und Wirtschaft(HTW) in Schöneweide Foto: Maurice Tricatelle/imago

Wir müssen nicht mehr von ganz vorne anfangen und sagen, dass sexualisierte Diskriminierung an Universitäten ein Thema ist“, sagt Wendy Stollberg, zentrale Ansprechperson bei sexualisierter Belästigung, Diskriminierung und Gewalt an der Freien Universität (FU) Berlin. Seit Beginn der #MeToo-Debatte im Jahr 2017 ist das Thema an deutschen Universitäten in den Fokus gerückt. Vor gut zwei Jahren wurde das Kollektiv #metooscience gegründet: Auf dem deutschen Onlineportal und in den Netzwerken des Kollektivs haben sich seither zahlreiche Berichte über abwertende Kommentare, Anmerkungen zum Aussehen und hartnäckige Einladungen von Vorgesetzten im akademischen Bereich angesammelt. Bis heute bietet die Plattform Beratung und Workshops für Betroffene an.

Öffentlich taucht das Thema immer nur auf, wenn ein besonders krasser Fall ans Licht kommt. Etwa der eines übergriffigen Professors der Humboldt Universität (HU), der sich ab Januar vor Gericht verantworten muss. Dabei betrifft es viele: Laut einer europäischen Umfrage von 2022 erlebt mehr als die Hälfte der Studierenden während des Studiums eine Form von geschlechtsspezifischer Gewalt. Ein Drittel von ihnen sowie der Uni-Mitarbeitenden erlebt sexuelle Belästigung an ihrer Einrichtung.

Aber die Studierenden seien heute viel besser über das Thema aufgeklärt, stellt Stollberg in den Stunden der vertraulichen Beratung mit denjenigen fest, die ihre Hilfe suchen. Doch bleibe die Arbeit der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten – eine gesetzlich verankerte Stelle zur Förderung der Chancengleichheit, die meist prekär und nebenberuflich ist und keine besonderen Voraussetzungen oder Schulungen erfordert – an den Universitäten nach wie vor schwierig. Auf den Führungsebenen stoße man immer noch auf Widerstand und Unwissenheit, sowohl in Bezug auf die Machtdynamiken als auch auf die Konsequenzen für Betroffene. „Hochschulen sind Orte, an denen man lernt, aber ich habe den Eindruck, dass es Menschen in Leitungspositionen gibt, die meinen, schon alles zu wissen“, sagt Stollberg.

„Man möchte sexualisierte Gewalt nicht unbedingt als Problem der Universität darstellen“, stellt Lina Knorr fest. Im Sommer veröffentlichte die Konfliktforscherin am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften an der HU zusammen mit Kol­le­g:in­nen die wissenschaftliche Publikation „#MeToo in der Hochschullehre – Sexualisierte Belästigung, Diskriminierung und Gewalt als Thema und Vorfall in Lehrveranstaltungen“. Darin berichten sie, wie ein Präsidiumsmitglied sie gebeten habe, ihr Seminar über sexualisierte Gewalt an Universitäten auf die Migrationsfrage auszurichten. Diese Forderung zeigt für sie, wie schwer es den Universitäten falle, sich in der Lehre mit dem Thema zu beschäftigen.

Im Gespräch mit der taz mochte sich Knorr zu diesem Vorfall nicht weiter äußern. Besonders schwierig sei es für die Hochschulen, verpflichtende Schulungen für ihre Mitarbeitenden anzubieten. „Es gibt wenig Personal, das Lehrveranstaltungen dazu anbieten möchte. Es ist nicht unbedingt förderlich für die eigene Karriere, die Institution zu kritisieren“, erklärt sie. Virale Fälle wie das über Jahre hinweg andauernde übergriffige Verhalten eines HU-Dozenten zeigten vor allem, „dass die meisten Hochschulen keine wirklich institutionalisierten Prozesse haben. Die größte Baustelle ist, dass die Richtlinien nicht weitreichend genug sind und es an deren Umsetzung mangelt“, fasst Knorr zusammen.

Suche nach Lösungen

Eine klare Richtlinie will die Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) mit ihrem „Schutzkonzept“ vorgeben. Im Jahr 2020 begann die Hochschule in Zusammenarbeit mit dem Studierendenreferat, ein Gesamtverfahren zur Bearbeitung von Beschwerden und Meldungen wegen sexualisierter Diskriminierung zu erarbeiten. In dem von der Hochschule veröffentlichten Dokument werden alle Etappen – von der ersten Ansprechpartnerschaft bis hin zu möglichen Maßnahmen – Schritt für Schritt beschrieben.

Dabei gelte das Prinzip der „Betroffenengerechtigkeit“, so Ulrike Richter, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte an der HTW. Im Fall einer unter Verdacht stehenden Lehrkraft kann dies beispielsweise bedeuten, dass dem gesamten Kollegium Schulungen und Coachings zu ihrer Nähe während der Laborpraktika oder zu ihren didaktischen Methoden angeboten werden. Damit will die Hochschule die Identität der betroffenen Studierenden schützen.

Vieles bleibt ungesagt

Damit soll bei jeder Fallintervention auch Prävention betrieben werden. 2021 führte die Hochschule die Möglichkeit ein, Vorfälle anonym online zu melden. Dass das Antidiskriminierungsreferat der Studierenden in seiner Peer-to-peer-Beratung nicht extrem viele Fälle hat, sei zumindest ein Zeichen dafür, dass die Strukturen der Hochschule gut funktionieren, findet Katharina Tomaschko, Antidiskriminierungsreferentin des Studierendenausschusses. Bei Vorfällen außerhalb der Lehrräume arbeite die Hochschule eng mit den Wohnheimen zusammen. Doch auch für die Studierendenvertretung ist klar: „Bei 40.000 Studierenden auf dem Campus kann man nicht bei allen den Überblick behalten.“ Vieles würde weiterhin unter den Studierenden bleiben.

Gerade in den ersten Wochen des Semesters stellen studentische Veranstaltungen für die Hochschulen eine besondere Herausforderung dar. Mitte Oktober durfte Nora Tuchelt zum zweiten Mal ihre Rolle als stellvertretende zentrale Frauenbeauftragte bei den neuen Erstsemestern vorstellen. Am selben Einführungstag war auch das Studierenden-Awareness-Team mit einem Stand vor Ort.

Vor zwei Jahren rief Tuchelt gemeinsam mit zwei Kol­le­g:in­nen die ersten Schulungs-Workshops gegen sexualisierte Gewalt ins Leben, um Sicherheit und Präsenz auf dem Uni-Sommerfest zu gewährleisten. Die Idee der sogenannten Awareness-Teams hatte sie aus ihrer Erfahrung in der Jura-Fachschaft, die sich für ihre Partys die Inspiration aus dem antirassistischen Kampf und der Frauenbewegung der 1970er Jahre holte.

Das Angebot sei von den Studierenden gut angenommen worden und kam sowohl beim Sommerfest als auch bei den Erstsemesterveranstaltungen in diesem Jahr zum Einsatz, berichtet Tuchelt. Pro Schicht standen etwa vier bis fünf Ansprechpersonen für über tausend Studierende zur Verfügung. „Diese Quote finde ich zu gering. Aber die Or­ga­ni­sa­to­r:in­nen mussten das im Rahmen ihrer Finanzierungsmöglichkeiten entscheiden“, sagt Tuchelt.

Ob das Projekt im nächsten Jahr fortgeführt werden kann, ist noch offen, die weitere Finanzierung steht noch nicht fest. Dass es solche Awareness-Teams in allen Fachschaften und für alle Studierendenpartys gibt, nicht nur bei offiziellen Uni-Veranstaltungen, wäre Tuchelts „Forderung“.

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