Max Roach vor 100 Jahren geboren: Drummer, Prophet – und zurück
US-Jazzdrummer Max Roach (1924–2007) wäre am 10. Januar 100 Jahre alt geworden. Daher ist es Zeit für eine Huldigung.
Max Roach ist ein Jazzkünstler, der nachwirkt. Ersichtlich an dem Dokumentarfilm „Summer of Soul“ (2021) in der Regie von Roots-Schlagzeuger Questlove. Er handelt vom „Harlem Cultural Festival“, das im Sommer 1969 stattfand, es wird auch als „Black Woodstock“ bezeichnet. Der Film zeigt die aufgeladene Stimmung in den USA, ein Jahr nach der Ermordung Martin Luther Kings.
Neben Stars wie Nina Simone und Stevie Wonder tritt der Schlagzeuger Max Roach in Erscheinung. Und das aus gutem Grund: Sein 1960 veröffentlichtes Album „We Insist! Max Roachs Freedom Now Suite“ gilt als eines der ersten musikalischen Statements zur US-Bürgerrechtsbewegung.
1961 gab Roach dem Magazin Downbeat zu Protokoll, er werde nur noch Musik spielen, die gesellschaftliche Bedeutung hat. Afroamerikanische Jazzmusiker hätten zweifellos bewiesen, dass sie ihre Instrumente beherrschen. „Jetzt müssen wir das Können einsetzen, um die dramatische Geschichte unserer Leute zu erzählen.“
Stilprägender Bebop-Schlagzeuger
Roach wurde am 10. Januar 1924 in North Carolina als Sohn einer Gospelsängerin geboren und ist in einem afroamerikanisch geprägten Viertel in Brooklyn aufgewachsen. Dorthin war die Familie im Zuge der Wirtschaftskrise aus dem US-Süden migriert. Bereits als Zehnjähriger spielte er Schlagzeug in den Gospelbands seiner Mutter. In den 1940er Jahren gehörte er zu den stilprägenden Bebop-Schlagzeugern, die den schnellen, kontrapunktischen Drumstil entwickelten.
Roach war dabei, als sich Jazz weg von Tanz- und Unterhaltungsmusik hin zu einem als virtuose Kunst empfundenen Sound entwickelte. Er trommelte an der Seite von Thelonious Monk, Dizzy Gillespie und Charlie Parker. Er wirkte bei den legendären Savoy Sessions von Charlie Parker mit (1945). Dann spielte er 1949 und 1950 auch Schlagzeug bei den „Birth of the Cool“-Sessions mit Miles Davis.
Roach studierte Komposition an der Manhattan School of Music. 1952 gründete er gemeinsam mit Charles Mingus das Label „Debut Records“ eine der ersten von Musikern betriebene Plattenfirma und stellte 1954 mit dem Trompeter Clifford Brown sein erstes eigenes Quintett zusammen.
Suite über die schwarze Geschichte seit der Sklaverei
Der Unfalltod von Brown 1956 stürzte Roach in Trauer und Depression. Erst Ende der 1950er Jahre stellte er ein neues Quartett zusammen und arbeitete mit dem Texter Oscar Brown Jr. an einer musikalischen Suite über die schwarze Geschichte seit der Sklaverei, einer Auftragskomposition der Schwarzen Bürgerrechtsorganisation National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), anlässlich des 100. Jahrestages der Emanzipationserklärung von Abraham Lincoln 1963.
In den Späten 1950ern setzten Sitzstreiks der Bürgerrechtsbewegung ein, erst wurde im US-Bundesstaat Alabama gegen die Diskriminierung in den Nahverkehrsbussen protestiert. Dann auch in Restaurants, die Zutritt nur für Weiße garantierten. Den Anfang machte eine Aktion in einem Restaurant in Greensboro am 1. Februar 1960. Deshalb zog Roach die Veröffentlichung des Albums vor.
Das als Suite konzipierte Album mit insgesamt fünf Stücken beginnt mit dem Porträt eines „Driva Man“, eines Sklavenaufsehers, den Roach im Stil eines Worksongs komponiert hat, der traditionell von Sklaven während der Arbeit auf den Baumwollfeldern im US-Süden gesungen wurde. Roach spielt hier einen sich permanent wiederholenden 5/4-Takt.
Beim Signatursong des Albums „Tryptich: Prayer/Protest/Peace“ singt Abbey Lincoln, die Partnerin und spätere Ehefrau von Roach, erst ein wortloses Gebet in „Prayer“, gefolgt von einem mehrminütigen Schrei in „Protest“ bis zum erschöpften Ausatmen in „Peace“.
Das Finale, „Tears for Johannesburg“, ist wiederum eine Antiapartheid-Komposition von Roach und ein Requiem für die Opfer des Sharpeville-Massakers in Südafrika im selben Jahr, was zur Zensur des Albums in Südafrika führte. Das Stück wurde am 15. Januar 1961 im Rahmen eines Benefiz-Konzerts für die Bürgerrechtsorganisation CORE im New Yorker Jazzclub „Village Gate“ uraufgeführt.
Weitere Aufführungen fanden im April 1961 in der Jazz Gallery in New York statt und beim 25. Jahrestreffen der NAACP in Philadelphia. 1964 gingen Max Roach und Abbey Lincoln mit der Suite auch auf Europa-Tournee und dabei entstanden weitere Aufnahmen, unter anderem auch in Baden-Baden.
Lehrtätigkeit an der Universität von Massachusetts
2022 wurde das Album von der Library of Congress in das „Nationale Aufnameregister“ der Vereinigten Staaten aufgenommen. 1961 nahm Roach zusammen mit Abbey Lincoln für Impulse! Records das Album „Percussion Bitter Sweet“ auf und 1962 „It’s Time“, ein Album mit Chor, ebenfalls für Impulse!.
Ab 1972 unterrichtete Roach an der Universität von Massachusetts in Amherst. 1979 veröffentlichte er unter dem Titel „M’Boom“ ein Album nur für Schlagzeug- und Perkussion mit neun Musikern, darunter Coverversionen von Thelonious Monks „Epistrophy“ und „Caravanserei“ von Joe Chambers.
Kurz danach begann Roach Anfang der 1980er Jahre auch damit, Drum-Solokonzerte zu spielen. 1984 war er Komponist und musikalischer Leiter eines Festivals von Theaterstücken von Sam Shepard, genannt „ShepardSets“, im La MaMa Experimental Theatre Club, in New York mit „Back Bog Beast Bait“, „Angel City“ und „Suicide in B Flat.“
Rastloser Musiker
Im selben Jahr erschien das Album „Historic Concerts“, ein Live-Mitschnitt aus der New Yorker Columbia-Universität vom Dezember 1979 mit Soloaufnahmen sowie einem 78-minütigen, frei improvisierten Duett von Roach mit dem Pianisten Cecil Taylor – die beiden Künstler hatten zuvor noch nie zusammen gespielt.
Über das Konzert berichtete Taylor später: „Es war ein Phänomen, mit Herrn Roach vor all diesen Leuten zu spielen. Es kam mir vor, als ob zwei wütende Propheten es endlich geschafft hätten, eine Menge zu versammeln und wir haben uns vielleicht einen Moment lang gefragt, ob es nicht beredter wäre zu schweigen!“
1985 arbeitete Roach mit dem Regisseur George Ferencz und der Videokünstlerin Kit Fitzgerald, die zur Musik des Drummers mit Live-Video improvisierte. Roach blieb rastlos, gründete das So What Brass Quintet, eine Gruppe mit fünf Blechbläsern und Schlagzeug, ohne Klavier und Bass. 1985 spielte er mit dieser Formation sein Stück „Ghost Dance“ ein und nahm mit dem The New Orchestra of Boston auf.
Mit dem Streichquartett seiner Tochter, der Bratschistin Maxine Roach, entstand 1986 die Doppelquartett-Aufnahme „Bright Moments“, und 1988 war Max Roach der erste US-Jazzmusiker, der mit einem Genius-Stipendium der McArthur-Stiftung ausgezeichnet wurde. Er komponierte für den Walter-White-Gospelchor und die John Motley Singers und trat mit Tanzgruppen auf, darunter dem Alvin Ailey American Dance Theater, und spielte auf einem HipHop-Jam mit Fab Five Freddy und den New York Break Dancers.
Schlagzeug wurde vom Begleit- zum Soloinstrument
Roach gilt als Architekt des modernen Jazz. Das Schlagzeug wurde durch ihn vom Begleit- zum Soloinstrument und seine Gruppen spielten vorwiegend ohne Klavier, nur mit Blasinstrumenten und Bass, um dem Schlagzeugspiel von Roach mehr Gestaltungsspielraum zu ermöglichen.
Bis zu seinem Tod am 16. August 2007 prägte Max Roach zahlreiche Schlagzeuger*innen im Umgang mit Themen und rhythmischen Texturen, vor allem durch seine Reduktion und die Verwendung von Stille, die vor allem bei seinen zahlreichen Solokonzerten zu hören ist, wie bei seinem 1997 aufgenommenen „Duett“ als Interaktion mit der Rede „I Have a Dream“ von Martin Luther King.
Quer über die gesamten USA wird es nun an verschiedenen Orten eine Hundertjahrfeier für Max Roach geben. Darunter im Lincoln Center ein Konzert des Jazz Orchestra mit Wynton Marsalis, die Roach mit zwei Auftaktkonzerten am 19. und 20. Januar in New York würdigen und im Anschluss mit einer USA-Tournee. Ebenfalls am 10. Januar wird der Schlagzeuger und Komponist Tyshawn Sorey auf dem New Yorker Winter-Jazzfest Max Roach mit einer Neuinterpretation von dessen 1968 erschienenem Album „Members Don’t Get Weary“ würdigen.
Sein Geburtsort Pasquotank County in North Carolina gab jetzt bekannt, dass ab sofort der 10. Januar zum offiziellen „Max-Roach-Tag“ erklärt wird. Roach sagte in einem Interview mit der New York Times 1990 über sich selbst: „Man kann das gleiche Buch nicht zweimal schreiben. Ich war zwar in historischen musikalischen Situationen, aber ich kann nicht zurückgehen und sie wiederholen. Und obwohl ich bereits in künstlerische Krisen geraten bin, halten sie mein Leben interessant.“
2007 ist Maxwell Lemuel Roach in New York hochgeehrt gestorben. In Vergessenheit wird er nicht geraten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren