Massentourismus in Tibet: Heiligtümer fallen Konsum zum Opfer
Chinesische Behörden wollen einen der wichtigsten Pilgerwege in der Innenstadt von Lhasa zu einer Shopping-Meile umgestalten.
PEKING taz | Der Barkhor ist ein rund 800 Meter langer Pilgerweg, der, gesäumt von traditionellen Häusern, um Lhasas Jokhang-Kloster herum führt, eines der wichtigsten Heiligtümer der tibetischen Buddhisten. Jeder Gläubige – sofern möglich – sollte einmal im Leben zum Jokhang-Kloster pilgern. Es wird erzählt, dass sogar Exiltibeter im benachbarten Indien den beschwerlichen Weg nach Lhasa auf sich nehmen, um den Barkhor hochzulaufen. Nun wollen chinesische Behörden diesen Pilgerweg zu einer Einkaufsmeile umgestalten.
„Lhasa steht vor einer beispiellosen Zerstörung für den Kommerz“, schreibt Tsering Woeser. Die 47-jährige Tibeterin betreibt von Chinas Hauptstadt Peking aus den Blog „Invisible Tibet“. Sie hat unter anderem die Hintergründe und Schicksale der inzwischen über 120 selbstverbrannten Tibeterinnen und Tibeter der vergangenen drei Jahre zusammengetragen und veröffentlicht.
Obwohl die chinesischen Zensurbehörden ihre Einträge auf dem chinesischen Kurznachrichtendienst Sina-Weibo regelmäßig löschen, haben Unterstützer landesweit ihren aktuellen Eintrag zigfach weiterverbreitet. „Lhasa ist nicht nur ein Touristenort“, schreibt Woeser. „In der Stadt leben echte Menschen und für viele ist die Stadt heilig“. Sie bittet jetzt um „Hilfe für Lhasa“.
Die chinesischen Behörden bestätigen den Bau einer gigantischen Einkaufsstraße entlang des Barkhor inmitten von Lhasas historischer Altstadt. 150.000 Quadratmeter Ladenfläche seien geplant, zudem ein unterirdisches Parkhaus, das Platz für mehr als 1.000 Autos bietet. Zu weiteren Details wollen sich die Behördenvertreter auf Anfrage nicht äußern. Sie seien nicht befugt, mit der ausländischen Presse zu reden, heißt es.
Bestürzung über den Umbau
Tibet-Organisationen weltweit zeigen sich bestürzt über den geplanten Umbau. „Unter dem Deckmantel der Modernisierung wird mit dem Bau des Einkaufszentrums der Kern der tibetischen Kultur zerstört“, kritisiert Wolfgang Grader, Vorsitzender der Tibet-Initiative Deutschland. Damit zeige die chinesische Regierung, dass sie weder Respekt vor der tibetischen Kultur noch vor der Entscheidung der Unesco habe.
Das Jokhang-Kloster hatte die chinesische Führung 1981 selbst unter nationalen Denkmalschutz gestellt. Seit 1994 zählt das Kloster als Gesamtensemble mit dem nahe gelegenen Potala-Palast, dem einstigen Regierungssitz des Dalai Lama, zum Weltkulturerbe.
Anders als etwa in der Kulturrevolution zwischen 1966 und 1976, als Rotgardisten bewusst im ganzen Land alte Kulturgüter zerstörten, haben es Chinas Behörden heutzutage nicht auf eine gezielte Vernichtung tibetischer Heiligtümer abgesehen. In den Umwidmungen der alten Gebäude sehen sie vielmehr die Möglichkeit, Tibetern und chinesischen Zugewanderten neue Einnahmequellen zu verschaffen und den Tourismus anzukurbeln.
Auch im chinesischen Kernland lassen die Behörden historische Innenstädte abreißen und wieder neu aufbauen – mit dem Unterschied, dass statt der alteingesessenen Geschäfte und Lokale hinterher Starbucks- und McDonald’s-Filialen oder andere Ableger von Großketten einziehen.
Für die Tibeter in Lhasa sind ihre historischen Stätten aber keine touristische Attraktionen, sondern sie nutzen sie seit den frühen 1980er Jahren wieder für religiöse Zwecke. Vor allem der in den letzten Jahren massiv zunehmende chinesische Massentourismus macht den tibetischen Heiligtümern erheblich zu schaffen. Allein der Potala-Palast zählte 2012 mehr als eine Million Besucher. Dabei war der Einlass des fast 400 Jahre alten Bauwerks zu seinem Schutz einst auf unter 1.000 Besucher pro Tag beschränkt.
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