Massenentlassungen bei Gorillas: Klage wird mitgeliefert
Nach den Massenentlassungen beim Lieferdienst Gorillas wollen ehemalige Mitarbeiter*innen vor Gericht ziehen. Sie erheben schwere Vorwürfe.
Um Kosten zu sparen, hat das erst vor zwei Jahren in Berlin gegründete Start-up Gorillas daher Ende Mai 300 Mitarbeiter*innen und damit die Hälfte seiner Beschäftigten in der Zentrale entlassen. Gorillas, das immer wieder wegen seiner schlechten Arbeitsbedingungen in der Kritik steht, gab bekannt, sein Geschäft künftig auf die fünf Kernmärkte Deutschland, Frankreich, die Niederlande, Großbritannien und die USA zu konzentrieren. Bisher hat Gorillas nach eigenen Angaben 230 sogenannte Warehouses in 60 Städten. „Wir haben unseren Fokus von Hyperwachstum auf einen klaren Weg zur Profitabilität verlagert“, schreibt eine Unternehmenssprecherin auf taz-Anfrage zur Begründung.
Betroffen von der aktuellen Kündigungswelle sind vor allem Verwaltungsangestellte, davon viele in Berlin, wo laut Gorillas Stellen in allen Bereichen des Unternehmens abgebaut werden. Das musste auch Emily Miller erfahren, die aus Angst vor negativen Konsequenzen ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. „Es gab morgens ein Meeting, bei dem die Mitarbeiter*innen über die Kündigungen informiert wurden“, berichtet die junge Frau der taz. „Keiner wusste irgendwas, alle waren verängstigt.“
Eine Woche später ist Miller freigestellt, ihr Vertrag wurde zu Ende Juni gekündigt. „Aus dringenden betrieblichen Gründen“, wie es in dem Abwicklungsvertrag heißt, den die taz einsehen konnte. Ein Jahr hatte Miller bei Gorillas gearbeitet, zunächst als Freelancerin, dann fest angestellt als Projektleiterin. 938 Euro bietet ihr Gorillas als Abfindung – zu wenig findet sie: „Das ist nicht mal die Hälfte meines Gehalts.“ Zumal sie als Gegenleistung nicht über betriebsinterne Angelegenheiten sprechen darf.
Ehemalige Gorillas-Manager packen aus
Doch Miller will nicht schweigen, weder über die Unternehmenskultur, die sie als mackerhaft und dilettantisch beschreibt, noch über die in ihren Augen toxische Arbeitsatmosphäre. Viele ihrer Kolleg*innen hätten das nicht ertragen können, weshalb Führungskräfte das Unternehmen oftmals nach nur wenigen Monaten wieder verlassen hätten. Auch Miller ist froh, dort weg zu sein. „Ich will mit dieser Firma nichts mehr zu tun haben“, sagt sie. Gefallen lassen will sie sich ihre plötzliche Entlassung trotzdem nicht, weshalb sie, wie viele andere auch, Kündigungsschutzklage gegen Gorillas einreichen will.
Martin Bechert ist Rechtsanwalt und vertritt derzeit rund 20 Gorillas-Angestellte, die gegen ihre Entlassung klagen wollen. „Ich gehe davon aus, dass die Kündigungen nicht rechtens sind“, sagt Bechert der taz. Denn die Hürden für betriebsbedingte Kündigungen in Deutschland sind hoch: Es braucht dringende Gründe – allein die Senkung der Lohnkosten reicht nicht aus – und ein unternehmerisches Konzept, das darlegt, warum die Arbeitsplätze nicht mehr benötigt werden.
Außerdem muss der Arbeitgeber eine Sozialauswahl durchführen, bei der Faktoren wie Betriebszugehörigkeit, Alter oder Unterhaltspflichten der Angestellten berücksichtigt werden. Und nicht zuletzt müssen Unternehmen Massenentlassungen bei der Agentur für Arbeit anzeigen und den Betriebsrat vorab darüber informieren. Tun sie dies nicht, sind die Kündigungen unwirksam.
Bechert geht davon aus, dass Gorillas all dies nicht getan hat. „Ich habe den Eindruck, dass das mit den Entlassungen eher ad hoc passiert ist“, so der Anwalt. Gorillas habe bei den Kündigungen statt auf soziale Faktoren eher auf die Performance der Arbeiter*innen geachtet. „Sie haben die Leute entlassen, auf die sie keinen Bock mehr haben“, glaubt er. Bechert rechnet sich daher vor Gericht gute Chancen aus. Seine einzige Sorge ist die Zeitfrage. „Gerichtsverfahren dauern eine ganze Weile. Ich befürchte, dass Gorillas gar nicht so lange überlebt.“
Ein weiteres Problem ist, dass viele gar nicht auf ihren alten Arbeitsplatz zurück wollen. So geht es auch Dirk Hartmann, der seinen echten Namen ebenfalls nicht veröffentlicht sehen will. Hartmann hat als Warehouse Manager für Gorillas gearbeitet, bis ihm zum 1. Juni gekündigt wurde. Gründe seien ihm nicht genannt worden. Hartmann glaubt jedoch zu wissen, warum er gehen musste: Weil er sich für bessere Arbeitsbedingungen für seine Rider und Picker, wie die meist migrantischen Fahrer*innen beziehungsweise die Einpacker*innen genannt werden, eingesetzt habe. „Ich habe das getan, was ich für richtig halte. Und in dem Moment, wo du den Mund aufmachst, bist du draußen“, sagt er der taz.
Als Hartmann Anfang des Jahres bei Gorillas anfing, sei er noch guter Dinge gewesen. Das währte jedoch nicht lange. „Ich dachte, Gorillas will seine Probleme lösen. Es gibt aber kein Interesse daran, die Probleme zu lösen. Sie wollen sie unter den Tisch kehren“, sagt er über seinen ehemaligen Arbeitgeber.
Gorillas will Berichterstattung verhindern
Als die taz Gorillas mit verschiedenen Vorwürfen ihrer ehemaligen Mitarbeiter*innen konfrontiert, erreicht sie eine Woche später ein anwaltliches Schreiben, mit dem unsere Berichterstattung unterbunden werden soll. Gorillas lege großen Wert auf Feedback ihrer Mitarbeiter*innen, Mitbestimmung sei ebenso wenig ein Kündigungsgrund wie krankheitsbedingte Ausfälle, heißt es darin. Sollten Vorgesetzte ihre Teams dazu anhalten, trotz Krankschreibung zu arbeiten, würde Gorillas umgehend arbeitsrechtliche Konsequenzen für die Vorgesetzten einleiten. Lediglich Fehler bei der Gehaltsabrechnung räumt das Start-up ein: „In 1 bis 4 Prozent der Abrechnungen kann es aktuell zu Fehlermeldungen kommen, die im Zweifelsfall zeitnah korrigiert werden.“
Ex-Manager Dirk Hartmann wird nach seinen Erfahrungen nicht mehr bei Lebensmittellieferdiensten bestellen: „Die Kunden müssen sich darüber klar werden, dass ihre Lieferung mit einem hohen Preis kommt: einer modernen Art der Sklaverei.“ Er findet: Es sei doch gar nicht so schwer, seine Lebensmittel selbst einzukaufen und damit dieser Form der Ausbeutung ein Ende zu setzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich