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Martin Hikels Rückzug in Berlin-NeuköllnBerlins SPD-Chef schädigt die eigene Partei

Uwe Rada

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Uwe Rada

Lieber Bezirkschef oder Landesvorsitzender? Martin Hikel hat sich verzockt und schadet damit dem von ihm geholten Spitzenkandidaten Steffen Krach.

Steffen Krach schaut nach oben, Martin Hikel an die Wand Foto: picture alliance/dpa | Carsten Koall

W as bleibt ihm auch anderes übrig? Er hätte sich gewünscht, dass Martin Hikel mit diesem Ergebnis antrete, kommentierte Steffen Krach den überraschenden Rückzieher des Neuköllner Bezirksbürgermeisters vor einer erneuten Kandidatur. „Martin Hikel hat sich anders entschieden.“

Für Steffen Krach, der am Samstag bei einem Landesparteitag der Berliner SPD zum Spitzenkandidaten für die Wahl zum Abgeordnetenhaus gewählt werden soll, kommt Hikels Rückzug zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt. Selbst wenn sich die Delegierten auf Landesebene, anders als in Neukölln, am Riemen reißen und ihm ein Ergebnis von nahe 90 Prozent bescheren, liegt ein Schatten über dem als Krönungsmesse geplanten Parteitag.

Mag sein, dass ein Bezirksbürgermeister Zweifel daran haben darf, dass ihm seine Partei im Wahlkampf folgt, wenn nur 68,5 Prozent einer Wahlversammlung hinter ihm stehen. Doch Martin Hikel ist nicht nur Bezirksfürst. Er ist, zusammen mit Nicola Böcker-Giannini, auch Landesvorsitzender der Berliner SPD.

Und als solchem müsste ihm das Wohl der Landespartei eigentlich wichtiger sein als eine persönlich nachvollziehbare Reaktion auf ein schlechtes Nominierungsergebnis. War es aber nicht. Sind damit auch Hikels Tage als Landeschef gezählt?

Nominierung war ein Coup

Mit der Nominierung von Steffen Krach zum Spitzenkandidaten der SPD hatten Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini zuletzt einen Coup gelandet. Neben den SPD-Mitgliedern im Senat, allen voran Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey, und der SPD-Fraktion um Raed Saleh, haben die beiden Landeschefs selbstbewusst ein Machtwort gesprochen – und die zerstrittene Partei hinter dem Kandidaten Krach vereinen können. „Es gibt ein großes Vertrauen und auch eine hohe Mobilisierung. Die Partei ist hoch motiviert“, sagte Krach zuletzt im Gespräch mit der taz.

Nach dem Rückzieher muss sich Hikel nicht nur fragen lassen, ob er mit dem Hintern nun auf einen Schlag eingerissen hat, was er und Böcker-Giannini zuvor aufgebaut haben. Es steht auch die Frage im Raum, wie sehr er als Vorsitzender die Partei geschädigt hat, die er nach einem erfolgreichen Mitgliedervotum seit 2024 führt.

Dem Vernehmen nach liegt Steffen Krach sehr daran, dass Hikel und Böcker-Giannini auch über Frühjahr 2026 hinaus Landesvorsitzende bleiben. Hikel selbst aber hält sich zu dem Thema bedeckt. Gut möglich also, dass diejenigen, die Krach geholt haben, bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus am 20. September 2026 gar nicht mehr im Amt sind.

Gut möglich auch, dass die Jüngeren in der Partei, die Jusos und der linke Flügel, nun Morgenluft wittern und ihre Forderungen nachschärfen, etwa zur Deckelung der Mieten in Berlin. Die Bürgermeisterwahl in New York könnte ihnen da Rückenwind geben. Steffen Krach müsste dann, wenn er weiterhin Geschlossenheit demonstrieren will, auf eine erstarkte und verjüngte Parteilinke zugehen.

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Uwe Rada
Redakteur taz.Berlin
Jahrgang 1963, ist Redakteur für Stadtentwicklung der taz. Weitere Schwerpunkte sind Osteuropa und Brandenburg. Zuletzt erschien bei Bebra sein Buch "Morgenland Brandenburg. Zukunft zwischen Spree und Oder". Er koordiniert auch das Onlinedossier "Geschichte im Fluss" der Bundeszentrale für politische Bildung. Uwe Rada lebt in Berlin-Pankow und in Grunow im Schlaubetal.
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