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MarokkoDer König lässt wählen

Am Freitag sind Parlamentswahlen in Marokko. Es wird mit einem Sieg der gemäßigten Islamisten gerechnet. Doch egal wie das Votum ausfällt - die Regierung bestimmt König Mohammed VI.

Einflußreich und doch machtlos - PJD-Mitglieder beim Straßenwahlkampf. Bild: dpa

RABAT taz Gegen die Korruption! Für die PJD!", skandiert der ganze Saal. Fäuste schnellen in die Höhe. Menschen schwenken Fähnchen mit einer aufgedruckten Öllampe, dem Symbol der marokkanischen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD). Abdelilah Benkirane, die Nummer 2 der islamistischen Partei, betritt das Szenario. Es ist ein Heimspiel für den Mann mit dem gepflegten weißgrauen Vollbart. Er spricht im Saal Cherradi in Salé. Benkirane ist Spitzenkandidat der PJD in der Nachbarstadt Rabats für die Wahlen am heutigen Freitag. Alle hier wissen, ihr Benkirane wird wieder in die Volksvertretung einziehen. Erstmals tritt ihre Partei in allen 95 Wahlkreisen an. Ein Sieg der Islamisten gilt als wahrscheinlich.

Königs Allmacht

Es sind die dritten Parlamentswahlen, seit Hassan II., der verstorbene Vater von König Mohammed VI., 1998 eine zaghafte Öffnung Marokkos einleitete. Seither regieren die einstigen Oppositionsparteien, die sozialdemokratische USFP und die Historische Unabhängigkeitspartei Istiqlal in Koalition mit mehreren kleineren Gruppierungen. Dennoch hat der König alle Fäden in der Hand. Denn die marokkanische Verfassung gibt ihm trotz Parlament eine fast totalitäre Macht.

Der Monarch bestimmt nicht nur den Regierungschef unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen im Parlament, er besetzt auch die wichtigsten Ministerien - Innenpolitik, Außenpolitik, Religion und Justiz. Sie unterstehen ausschließlich seiner Kontrolle. Viele Marokkkaner beschweren sich, das Parlament sei nur ein "Schalter zur Registrierung der königlichen Initiativen". Die Hoffnungen, der junge Mohammed VI. werde Marokko nach und nach in eine konstitutionelle Monarchie nach europäischem Vorbild verwandeln, wurden bisher nicht erfüllt. Wie schon sein Vater steht Mohammed VI. dem Staat vor und regiert zugleich. RW

Benkirane verspricht gerne viel: Er werde mit der sozialen Ungerechtigkeit Schluss machen, den Klientelismus bekämpfen, die Arbeitslosigkeit beseitigen und das Land entwickeln. Die Botschaft kommt an. In Rahma, dem Stadtteil, in dem das Meeting stattfindet, gibt es all diese Probleme. Wer einen Job hat, fürchtet meist um ihn. Denn der wichtigste Sektor, die Textil- und Lederindustrie, ist in der Krise, seit China mit Billigprodukten die marokkanischen Firmen unterbietet, und das, obwohl die Arbeiter in Salé gerade einmal 1.700 Dirham (170 Euro) im Monat verdienen.

Während in Rabat, dem herausgeputzten Schaufenster des Landes von König Mohammed VI., die in den letzten Jahren gewachsene Mittelschicht Cafés und Restaurants füllt, ist am anderen Ufer des Flusses Bou-Regreg in Salé vom zaghaften Aufschwung nichts zu merken. Nur die wichtigen Straßen sind asphaltiert. Überall liegt Müll herum. Die monotonen Wohnblocks sind völlig überbevölkert. Eine Million Menschen drängen sich hier. Spielplätze, Parks, Sportanlagen oder soziale Einrichtungen gibt es kaum.

Die PJD ist nur ein Teil der islamistischen Bewegung, die auf diesem urbanen Nährboden wächst. Am anderen Ende Salés lebt Nadja Yassine. Sie ist die Stimme der von ihrem Vater Abdessalam Yassine ins Leben gerufenen al-Adl wal-Ishan (Gerechtigkeit und Wohltätigkeit). "Die soziale Schere geht in den letzten Jahren immer weiter auf", erklärt die sprachgewandte Endvierzigerin. Während überall im Lande Autobahnen gebaut werden, im Norden ein neuer Hafen entsteht und in den Tourismus investiert wird, ist die soziale Lage vieler Marokkaner nach wie vor unerträglich. Die Arbeitslosigkeit liegt laut IWF in den Städten bei mehr als 20 Prozent. Jeder Zweite ist Analphabet, und auf dem Lande lebt immer noch jeder Dritte ohne Wasser und Strom. "Wenn von Entwicklung die Rede ist, dann verweist die Regierung immer auf die Makroökonomie, doch unten kommt davon wenig an", beschwert sich Yassine. Von Islamisten geführte Vereine kümmern sich dort um die sozialen Belange, wo der Staat nicht hinkommt. Das schafft Sympathie.

Die wenigen genehmigten Großdemonstrationen der vergangenen Jahre, wie die gegen den Irakkrieg oder ein neues Frauengesetz mit mehr als einer halben Million TeilnehmerInnen, zeugen von der Kraft dieser wohl einflussreichsten, islamistischen Bewegung Marokkos. Al-Adl wal-Ishan ist - obwohl weitgehend geduldet - illegal.

Von den Wahlen möchte Yassine nichts wissen. Sie sind für sie ein "Nicht-Ereignis". Marokko sei weit davon entfernt, eine wirkliche Demokratie zu sein. "Der König trifft alle Entscheidungen", erklärt Yassine, die sich offen für eine republikanische Verfassung ausspricht und dafür ein Gerichtsverfahren am Hals hat. Yassine wirft der PJD vor, für "die Religion der Einbindung" zu stehen. Al-Adl wal-Ishan hingegen vertrete "eine Religion der Befreiung". Viele der Anhänger von al-Adl wal-Ishan dürften trotz der klaren Absage ihrer Führung an das marokkanische System am Freitag zu den Urnen gehen und der PJD ihre Stimme geben.

Angesichts der immer stärker werdenden islamistischen Bewegung und angesichts des aufkeimenden radikalen Terrorismus auch in Marokko scheint König Mohammed VI. auf die PJD zu setzen, um die Unzufriedenen einzubinden, ohne dabei das moderne Marokko oder gar das westliche Ausland zu erschrecken. Wenn Benkirane westliche Journalisten in Rabat empfängt, pflegt er einen gemäßigten Ton. "Wir wollen nicht allen Marokkanerinnen den Schleier aufzwingen. Die Menschen lieben ihre Freiheit. Wir wollen überzeugen" ist eines der Lieblingsstatements des islamistischen Politikers, dem nachgesagt wird, der direkte Draht seiner Partei zum Königshaus zu sein.

Die PJD, die auf die Türkei als Vorbild verweist, versteht sich darauf, Geduld zu üben. Bei den vergangenen Wahlen legte sie sich eine "Selbstbeschränkung" auf. Sie kandidierte nur in 60 Prozent der Wahlbezirke und wurde dennoch mit 42 Parlamentssitzen dritte Kraft nach den beiden großen Regierungsparteien, der Sozialistischen Union der Volkskräfte (USFP) - 50 Sitze - und der nationalkonservativen Historischen Unabhängigkeitspartei Istiqlal mit 48 Abgeordneten. Jetzt, wo die PJD erstmals im gesamten Land zur Wahl steht, deutet alles auf ihren Wahlsieg hin.

"Wir werden darüber nachdenken, ob wir uns an der Regierung beteiligen", erklärt Benkirane vorsichtig. Ob es so weit kommt, hängt einzig und allein von König Mohammed VI. ab. Denn nicht das Parlament bestimmt den Regierungschef. Er wird direkt vom Monarchen ernannt. In dessen Auftrag schmiedet er dann die Regierungskoalition in einem zersplitterten Parlament, für das 33 Parteien kandidieren. Die stärkste Kraft, die USFP, stellte in der vergangenen Legislaturperiode weniger als ein Sechstel der insgesamt 325 Abgeordneten. Eine siegreiche PJD dürfte kaum wesentlich mehr erreichen.

Noch weigern sich die Sozialdemokraten der USFP, die Zeichen der Zeit zu erkennen. "Warum sollen die Islamisten in die Regierung einziehen? Weil westliche Beobachter und Journalisten das prophezeien?", fragt Driss Lachgar, der Fraktionsvorsitzende der USFP und Spitzenkandidat in Rabat, leicht verärgert. Die PJD sei zu traditionell, um am Projekt der Modernisierung Marokkos mitzuarbeiten. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich die Sozialdemokraten dem königlichen Willen beugen. So musste die siegreiche USFP 2002 mit ansehen, wie Mohammed VI. den parteilosen ehemaligen Innenminister Driss Jettou mit der Regierungsbildung beauftragte.

Während sich Benkirane auch die letzten Tage des Wahlkampfes feiern lässt und sich Lachgar mit Vertretern wichtiger Organisationen und Berufsverbände trifft, ist die Straße vor dem Parlamentsgebäude in Rabat täglich Schauplatz von Demonstrationen. Arbeitslosigkeit, soziale Not, Menschenrechte und die Wahlen selbst sind das Thema. "Nein zur Scheindemokratie" lautete am vergangenen Wochenende das Motto einer Kundgebung des Restes der einst starken Linken jenseits der USFP. Einer, der dort zum Wahlboykott aufrief, ist Mustapha Brahma, Mitglied im Vorstand der CDT, der größten marokkanischen Gewerkschaft. "Warum soll ich wählen gehen, wenn danach der König über die Mehrheiten entscheidet, egal wie die Wahl ausgeht?", fragt Brahma. Er ist damit nicht alleine. Knapp die Hälfte der Marokkaner enthalten sich normalerweise. Dieses Mal dürfte es kaum anders sein. Nur ein Drittel der Erstwähler hat sich überhaupt ins Wählerverzeichnis eintragen lassen.

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