Marode Schulen in Berlin: Flicken und hoffen
Das Gymnasium am Europasportpark gleicht einer Ruine, doch vor 2026 wird nicht saniert. Die Schulbauoffensive ist mitunter eine zähe Angelegenheit.
„Ich frage mich jeden Morgen“, sagt Schulleiterin Katrin Schäffer, „ob ich es aus Sicherheitsgründen noch vertreten kann, diese Schule aufzuschließen.“ Elternvertreter Mors berichtet von neuen Kolleg*innen, die von der Straße den Weg zur Eingangstür nicht gefunden haben – weil sie das Gebäude „für eine Abrissbaustelle“ hielten.
Das Gymnasium zwischen Velodrom und Volkspark Friedrichshain ist ein krasser Sanierungsfall. Und wenn es schlecht läuft, könnte das auch auf absehbare Zeit so bleiben. Erst ab 2026 ist eine grundlegende Sanierung mit kompletter Entkernung des DDR-Plattenbaus aus den 70er Jahren geplant. Dann soll der Schulbetrieb in ein temporäres Ersatzgebäude auf der benachbarten Werneuchener Wiese verlegt werden, in das nacheinander verschiedene sanierungsbedürftige Schulen des Bezirks ziehen. Aber weil dem Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Gymnasium kürzlich – salopp gesagt – das Dach wegflog, kommt es im Herbst 2023 zuerst auf die „Drehscheibe“, wie die Ersatzschule heißt. Das Gymnasium am Europasportpark muss warten.
Die Schulruine hinterm Velodrom ist so auch ein Lehrstück darüber, warum man in Berlin trotz einer seit Jahren laufenden „Schulbauoffensive“ immer noch entscheiden muss, ob man zuerst das Gymnasium ohne Dach saniert oder das, dem die Fensterrahmen aus der Fassade hängen.
Planung Der Senat will am Dienstag voraussichtlich die Investitionsplanung 2022–26 beschließen. Sie nennt strategische Ziele und listet „projektscharf" die Ausgaben.
Protest In Charlottenburg-Wilmersdorf hat das Bezirksparlament auf Antrag der Linksfraktion einen Beschluss gefasst: „Keine Kürzungen bei der Schulsanierung!" Der Landeselternausschuss unterstützt eine Petition zu dem Thema. (akl)
Erst 2016 wurde der Standort, zu DDR-Zeiten eine Sport-Eliteschule, als Gymnasium reaktiviert – auch weil der Bezirk dringend Schulplätze brauchte. „Der Plan war zunächst, die Schule bei laufendem Betrieb 2019 zu sanieren“, sagt Schulleiterin Schäffer. Doch die Schule musste schneller als geplant mehr Kinder aufnehmen – das warf die Pläne über den Haufen.
Wie konzentriert der Bezirk danach an einer neuen Bauplanung arbeitete, ist nicht ganz klar. Die zuständige Senatsverwaltung habe anderthalb Jahre gebraucht, die vom Bezirk eingereichte Bedarfsplanung für eine Sanierung ab 2022 zu überprüfen, sagt Pankows Schulstadträtin Dominique Krössin (Linke). Normal seien drei Monate.
Katrin Schäffer, Schulleiterin
Die Schulleitung, heißt es wiederum aus Kreisen der Senatsverwaltung, habe es ausgeschlagen, das Gymnasium in mobile Unterrichtsräume an der Falkenberger Straße in Weißensee auszulagern. Begründung: Das sei zu weit.
Ein Problem bei der Schulbauoffensive: Es gibt zwar viel Geld. Aber Geld ist selten alles. Man muss auch die richtigen Baustellen zur richtigen Zeit vorantreiben. Und vor allem müssen – was oft nicht klappt – Schule, Bezirk und Land an einem Strang ziehen.
Die Senatsfinanzverwaltung sagt, den Bezirken stünden in 2024/25 725 Millionen Euro für den Schulbau zur Verfügung. Viel Geld, aber die Bezirke hätten gerne noch 316 Millionen Euro mehr gehabt. Geht nicht, sagt die Finanzverwaltung, das sprenge den Investitionsrahmen des Landes. Auch sei es sinnvoll, die Mittel an das anzupassen, was die Bezirke realistischerweise verbauen können. Sonst werde die Investitionsplanung nur aufgebläht. In 2021 etwa riefen die Bezirke 160 Millionen Euro für Schulbau ab.
Da sei nichts aufgebläht gewesen – weil man bei vielen Schul-Projekten jetzt erst „ins Bauen“ komme, sagen die Bezirke. Mittes grüne Bildungsstadträtin Stefanie Remlinger wies in der taz schon im Juni darauf hin, dass bei allen Vorhaben, die jetzt aus der Investitionsplanung bis 2026 fallen (am Dienstag will sie der Senat beschließen), erst einmal vier Jahre kompletter Stillstand herrscht. Hunderte dringend benötigter Schulplätze in Mitte würden sich so verzögern, warnte Remlinger.
In Pankow sind es beim Gymnasium am Europasportpark nicht nur Jahre zäher Bauplanung und Prüfvorgänge zwischen Bezirk und Land. Auch wichtige Schlüsselvorhaben, die Sanierungen beschleunigen würden, kommen nicht voran: Eine weitere „Drehscheibe“ an der Storkower Straße stand bereits in der Investitionsplanung bis 2024 – einen Spatenstich gab es bislang nicht. Die Finanzverwaltung müsse immer noch Planungsmittel freigeben, sagt Stadträtin Krössin, dann lege man „umgehend“ los. Die Schule am Europasportpark könnte dann parallel zum Mendelssohn-Bartholdy-Gymnasium saniert werden.
Torsten Kühne (CDU), Krössins Vorgänger im Amt, Pionier des Drehscheiben-Konzepts in Berlin und jetzt Schulstadtrat in Marzahn-Hellersdorf, hat grundsätzliche Kritik an der Methodik, wie es manche Bauprojekte in die Investitionsplanung schaffen und andere nicht. Die Bildungsverwaltung binde die „baufachliche Expertise“ der Bezirke zu wenig ein und schaue allein nach schulfachlichen Kriterien, wenn sie ihre sogenannte Dringlichkeitsliste erstelle und an die Finanzverwaltung weiterreiche. „Aber wenn ich da ein Projekt nach oben schiebe, das nicht fertig wird, nützt das auch keinem“, sagt Kühne.
Wenigstens die Fenster sanieren
Am Europasportpark hat Schulleiterin Schäffer dem Bezirk vorgeschlagen, wenigstens einmal die Fenster grundlegend zu sanieren. Dafür könne man ja die Herbstferien nutzen. Krössin sagt, sie könne das „sehr gut verstehen“. Allerdings sei ein Vergabeverfahren bis zu den Herbstferien nicht zu machen. Und auch wenn man „nur“ die Fenster saniere, sei das bei laufendem Unterrichtsbetrieb unmöglich, „die Schule müsste ausgelagert werden“. Nur wohin?
In dieser Woche will das Bezirksamt laut Krössin noch eine weitere Sicherheitsbegehung am Europasportpark vornehmen. Die Schäden an den Fenstern sollen so dokumentiert werden, „dass alle Beteiligten einen umfassenden Informationsstand haben“. Kleinere, notwendige Reparaturen möge die Schule fortlaufend melden.
Solange Katrin Schäffer sich traut, morgens die Schule aufzuschließen, heißt die Strategie im fünften Jahr der Schulbauoffensive also: Flicken – und hoffen, dass es noch ein bisschen hält.
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