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Markus Braun im Wirecard-ProzessAngeblich keine Ahnung von nix

Ex-Vorstandschef Markus Braun weist im Prozess um die Milliardenpleite von Wirecard alle Vorwürfe zurück. Er will nichts gewusst haben.

Ein Kussmund im Gerichtssaal: Markus Braun, Ex-Wirecard-Chef Foto: Frank Hoermann/Sven Simon/imago

München taz | Im Wirecard-Prozess hat am Montag das Schwergewicht unter den drei Angeklagten ausgesagt: Markus Braun, ehemals Vorstandsvorsitzender und damit oberster Chef des untergegangenen Zahlungsabwicklers, will von all den kriminellen Machenschaften nichts gewusst haben, derentwegen er angeklagt ist. „Ich weise ganz klar alle Anklagepunkte zurück“, sagt er.

Er habe „keine Erkenntnisse über Veruntreuungen besessen“. Auch habe er „keinerlei Bande gebildet“. Die Staatsanwaltschaft hat Braun und den beiden anderen Ex-Wirecard-Leuten Oliver Bellenhaus und Stephan von Erffa vorgeworfen, innerhalb des Unternehmens als „kriminelle Bande“ gewirkt zu haben mit dem Ziel, viele Millionen Euro zu unterschlagen, die Bilanzen zu fälschen und die Märkte zu manipulieren.

Markus Braun – wie immer ist er mit schwarzem Rollkragenpulli und dunkelblauem Jackett bekleidet – spricht erst einmal über den 18. Juni 2020, jenen Tag, als 1,9 Milliarden Euro nicht mehr auffindbar waren und Wirecard bald darauf zusammenbrach. Dies sei ein „Tag des tiefsten Bedauerns, des Schmerzes für die Aktionäre und die Mitarbeiter gewesen“. Er habe ihn als „Schockerlebnis“ in Erinnerung.

Aber Braun sieht sich dafür in keinerlei Verantwortung. Sein Verteidiger Alfred Dierlamm hat ihn vielmehr in einem seiner schon vielen Statements in diesem Mammutprozess als „Opfer einer Bande“ bezeichnet. Nun spricht der 53-Jährige selbst, frei und präzise, über seine eigene Person sagt er: „Ich bin immer sehr exakt.“

Marsalek schon 2002 kennengelernt

Der einstige Vorstandschef schildert die komplexe personelle Wirecard-Aufstellung, wie sie sich ihm dargestellt haben will. Seinen österreichischen Landsmann Jan Marsalek hat er am Firmensitz in Aschheim bei München schon 2002 kennengelernt, als dieser mit nur 22 Jahren und ohne Schulabschluss bei Wirecard angefangen hatte. Marsalek gilt als der Hauptkriminelle in dem Komplex, er ist flüchtig und wird unter Schutz des russischen Geheimdienstes bei Moskau vermutet.

„Er hatte überragende kognitive Fähigkeiten bei Technologie“, lobt Braun Marsalek noch jetzt im Gerichtssaal am Gefängnis München-Stadelheim. Er sei „definitiv herausgestochen“. Über die Zeit, als Marselek 2010 in den Vorstand berufen und dort für das internationale Geschäft verantwortlich wurde, sagt Braun: „Gefühlt war Marsalek damals ein Glücksgriff.“ Er habe eine ungeheure Reisetätigkeit an den Tag gelegt, um Märkte in Asien zu erschließen und „mit unglaublicher Energie“ das Drittpartnergeschäft auszubauen.

Der andere Angeklagte, Oliver Bellenhaus, war einst Bürochef in Dubai. Er ist der Kronzeuge der Staatsanwaltschaft. Laut seiner Aussage im Prozess sollen er selbst, Braun, Marsalek und auch der Chefbuchhalter von Erffa gemeinsame Sache gemacht haben – Millionen an Euro für sich selbst zur Seite geschafft, die Bilanzen gefälscht und nicht existierende Geschäfte in Asien und anderswo erfunden, damit das Unternehmen immer weiter wachsende Zahlen ausweisen konnte und der Aktienkurs stieg.

Der einstige Vorstandschef Braun meint aber, dass er mit Bellenhaus nahezu keinen Kontakt gehabt habe. Denn für diesen sei Marsalek zuständig gewesen, er selbst erinnere sich nur an ein kurzes Treffen mit den beiden. Alles andere, dass er Bellenhaus und andere etwa aufgefordert habe, gute Zahlen zu liefern, sei erlogen.

„Ein absolutistischer CEO“

Den Asien-Mann scheint er eher als kleines Licht zu sehen – mit einem Monatsgehalt von nur 13.000 Euro, während Top-Leute es auf eine Million im Jahr brachten. Und ein „absolutistischer CEO“, wie von Bellenhaus behauptet, sei er gleich gar nicht gewesen: „Es herrschte eine sehr gute Gesprächskultur im Vorstand, ich setzte auf das Konsensprinzip.“

Sehr ruhig, ja freundlich spricht Braun über die Wirecard-Vergangenheit. Von Wut, Verbitterung oder Verzweiflung ist nichts zu spüren, obwohl ihn nach seiner Version Marsalek von vorn bis hinten betrogen und Bellenhaus mit seiner Aussage zu Unrecht ans Messer geliefert hat. Die Staatsanwaltschaft sieht einen durch Wirecard verursachten Schaden von 3,1 Milliarden Euro, weitere 1,9 Milliarden Euro auf Konten auf den Philippinen werden weiterhin vermisst, möglicherweise existierten sie nie. Das Verfahren wird noch mindestens dieses Jahr dauern.

Braun gibt sich sehr kontrolliert, obwohl er schon seit zweieinhalb Jahren in Untersuchungshaft sitzt. Ein Mann glaubte an seine Mission, so scheint es. Nachfragen des vorsitzenden Richters Markus Födisch beantwortet er detailliert. Wie er so von den Wirecard-Abläufen erzählt, möchte man meinen, das Unternehmen existiere noch – und Braun sei weiterhin der Chef.

Als dann im Herbst 2019 wieder ein kritischer Bericht der Financial Times erschien über das dubiose Asiengeschäft, habe er gleich erkannt, „dieser Artikel hatte eine neue Qualität, es war sehr konkret“, sagt Braun. Man setzte eine externe Prüfung durch die Gesellschaft KPMG durch. Marsalek habe mitunter „sehr schlecht ausgesehen“. Schließlich wurde festgestellt, dass die 1,9 Millionen Euro fehlten. „Dann ist die Welt untergangen“, meint Braun. „Es war auch meine Welt.“

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4 Kommentare

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  • Er hatte die Verantwortung und hätte sich um alles kümmern müssen. Hat er offenbar nicht getan. Deshalb SCHULDIG

  • Man muss und darf getrost im Hinterkopf haben, dass ein Beschuldigter im Strafprozess nicht die Wahrheit sagen muss.



    D.h. da ist Lügen erlaubt und Schweigen auch - aber Schweigen wäre natürlich pure Dummheit.

    Und so sollte man den Ausführungen der Angeklagten nicht zu viel Gewicht beimessen.

  • "Ex-Vorstandschef Markus Braun weist im Prozess um die Milliardenpleite von Wirecard alle Vorwürfe zurück. Er will nichts gewusst haben."



    Na, ist doch prima!



    Dann muss er nicht in den Knast, ist aber als Verantwortlicher des Unternehmens in voller Höhe schadenersatzpflichtig, weil er seinen Job nicht gemacht hat. Wie wär's damit?

  • Fünf Stunden Verlesung der Anklage. Mal sehen, was am Ende als Urteil kommt.