Mark Zuckerberg schafft Faktenchecks ab: Der reichste Bierpong-MC der Welt
Er wolle zu den Wurzeln zurückkehren, begründet der Meta-Chef den scharfen Rechtsdreh auf seinen Plattformen. Warum das nicht einmal gelogen ist.
G oldkettchen und Schlabbershirt, die Haare nicht mehr so kreuzbrav angelegt, ein bisschen Abiturienten-Gangsta-Optik. Die 900.000-Dollar-Armbanduhr war vielleicht etwas dick aufgetragen, als Meta-Chef Mark Zuckerberg verkündete, dass er, dem gesellschaftlichen Trend folgend, die professionelle Moderation der schlimmsten Hassrede auf seinen Plattformen Facebook, Instagram und Threads komplett einzustellen plane.
Menschenwürde und sonstige Unversehrtheit marginalisierter Personen wird damit im Wesentlichen einem Mob-Voting ausgesetzt. Was soll schon schiefgehen? Zuckerberg versteckt sich ein bisschen hinter dem im angloamerikanischen Raum verbreiteten Free-Speech-Fundamentalismus, also der Verteidigung des Rechts auf jegliche freie Rede, völlig gleich, welchen Inhalts sie ist.
Die Kritik an dieser Haltung ist, dass mindestens der Aufruf zu Straftaten, aber auch besonders üble menschenfeindliche Anwürfe aus Jugend- und sonstigen Schutzgründen eingehegt werden sollten, um einen noch irgendwie zivilen Diskurs zu ermöglichen. Was die Kriterien für die Definition roter Linien sind, wäre transparent zu machen. Überzogene Zensur und Willkür müssten mit Rechtsmitteln anfechtbar sein. So weit, so gut und Zuckerberg egal.
Denn genauso kriecherisch, wie er bei Anhörungen im US-Kongress in den vergangenen Jahren mit seinem artigen „Yes, Sir“ und „No, Sir“ auftrat, hängt er sein Fähnchen auch jetzt nach dem politischen Wind. Der weht in den USA nur in Sachen Pornografie zuverlässig immer aus derselben Richtung („VERBOTEN!!!“). Rassismus, Misogynie und Transfeindlichkeit sind jetzt eben „Mainstream“, also erlaubt, wenn nicht gar erwünscht. Das dazu passende Wahlergebnis wurde ja erst in dieser Woche vom Kongress zertifiziert.
Zurück zu den Wurzeln, „back to the roots“, nennt Zuckerberg diesen scharfen Rechtsdreh – und das ist nicht einmal vollständig gelogen. Startete der Facebook-Vorläufer Facemash doch als Uniportal, auf dem die Harvard-Verbindungs-Bros die körperliche Erscheinung ihrer Kommilitoninnen bewerten konnten. Back to the roots? Zuckerberg ist mit gestandenen 40 Jahren einfach nur der reichste Bierpong-MC der Welt geworden. Dass seine Gäste vor aller Augen Homos, Ausländer und Brillenschlangen verprügeln, ist ihm egal, solange der Rubel rollt. Nebenbei: Seine jämmerliche Verkleidung im Kleinkriminellenlook darf nicht darüber hinwegtäuschen, wie unerhört es ist, dass Zuckerberg nicht spätestens seit dem auf seiner Plattform geplanten und geförderten Genozid an den Rohingya in Myanmar per internationalem Haftbefehl gesucht wird.
Ob es zu spät ist, entscheidet nicht Zuckerberg
Ach, Großkapitalismus und Faschismus vertragen sich einfach zu gut: Der eine funkt dem andern nicht dazwischen. Plattformherrscher wie Mark Zuckerberg sind dabei nur die deutlich sichtbare Spitze des Eisbergs. Denn die gesamte Kapitalfraktion, nicht nur ein paar größenwahnsinnige Techmilliardäre, kehrt weltweit zu ihren Wurzeln zurück. Erinnert sich noch jemand an das Drama um die letzten Berufungen an den Supreme Court der USA?
Da ging es selbstverständlich auch um Abtreibungen, Redefreiheit und Minderheitenrechte – aber noch um einiges mehr. Im Gefühl völliger Unantastbarkeit und einer seit Jahrzehnten voranschreitenden Schwächung zivilgesellschaftlichen, gewerkschaftlichen und politischen Widerstands werden nicht nur ohnehin marginalisierte Menschen zu Freiwild erklärt. Nein, gleichzeitig werden auch die Rechte abhängig Beschäftigter beseitigt, Umweltschutzauflagen in die Tonne getreten, Kartellbehörden entmachtet.
Aus derselben großen Koalition der Niedertracht, aus der heraus Frauen das Recht auf körperliche Selbstbestimmung abgesprochen wird, aus der heraus LGBTQI als „mental gestört“ bezeichnet werden, aus der heraus abgeschoben und ermordet wird, wer sich nicht ins autoritäre Normal einfügen kann oder will – aus genau dieser Ecke werden Krankenhäuser privatisiert und geschlossen, wird der Mindestlohn unterlaufen, werden Urwälder abgeholzt, werden unter großen Opfern erkämpfte Errungenschaften wie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zur Disposition gestellt. Abermilliarden werden dort in Rüstung, Überwachungstechnologien und Aufstandsbekämpfung investiert. Man wird schon wissen, warum.
Mark Zuckerberg, dieser autoritäre Charakter, ist in all seiner Peinlichkeit einfach der ideale Vertreter einer Oligarchie, die auch in Deutschland immer unverschämter auftritt. Sie randaliert gegen das bisschen sozialen Ausgleich, den die westliche Welt sich noch leistet – weil sie in einer brutal darwinistisch aufgestellten Gesellschaft noch mehr Profite machen kann. Die Zerstörung des demokratischen Diskurses ist dabei kein Nebenschauplatz, sondern wesentlicher Teil des Programms zur Verhinderung jeglicher Organisation von Widerstand und gelebter solidarischer Übereinkunft. Die sadistische Erniedrigung der Schwächsten ist dabei das Unterhaltungsprogramm für ein zunehmend verrohtes Publikum.
Die Frage, ob es okay ist, die zentralisierten digitalen Plattformen zu benutzen, ist längst beantwortet: Nein. Von viel größerer Bedeutung ist jetzt die Einigung darüber, was stattdessen getan werden kann, um der dort absichtlich verschärften Vereinzelung und Spaltung noch entgegenzutreten. Zuckerbergs 900.000-Dollar-Uhr sagt ihm genau, wie spät es ist. Ob es wirklich zu spät, das aber entscheidet nicht er.
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