Maren Ade über Töchter und Väter: „Sein Inneres nach außen gekehrt“
In Maren Ades Film „Toni Erdmann“ werden Autoritäten angezweifelt, Generationenkonflikte ausgetragen und Humor wird zur Waffe.
Es war die Sensation beim Filmfestival von Cannes: Mit „Toni Erdmann“ von Maren Ade lief seit 2008 zum ersten Mal wieder ein Film aus Deutschland im Wettbewerb. Und wurde zum Überraschungsfavoriten. Die internationale Kritik überschlug sich mit Lob, handelte ihn als Kandidaten für den besten Film. Am Ende gab es nur den Kritikerpreis der internationalen Filmpresse. Die Geschichte um die junge Unternehmensberaterin Ines Conradi (Sandra Hüller), die in Bukarest Karriere macht, und ihren Vater Winfried (Peter Simonischek), einen altlinken Musiklehrer, hat aber auch ohne Goldene Palme Bestand. Der Film beschreibt eine Annäherung, die durch einen genial simplen Trick gelingt.
taz.am wochenende: Frau Ade, „Toni Erdmann“ erzählt von einer Begegnung zwischen Vater und Tochter, die erst durch eine Verstellung möglich wird: Der Vater kommt zu Besuch bei der Tochter in Bukarest, das Treffen läuft zunächst schief. Dann kostümiert er sich notdürftig mit Perücke und falschen Zähnen und wird zur Titelfigur. Warum ist dieser Toni Erdmann ein Clown?
Maren Ade: Ob er jetzt wirklich ein Clown ist …
Oder sagen wir: eine überzeichnete Figur.
Man merkt schon im ersten Teil des Films, dass Humor die Waffe ist, die Winfried, dem Vater, am nächsten liegt. Doch der Humor, mit dem er am Anfang versucht, seiner Tochter Ines näherzukommen, zündet nicht. Er greift auf vieles zurück, was unter „Repertoire“ läuft – ein Scherzgebiss reinmachen, ironische Kommentare. Das ist aber zu wenig. Er merkt, was ihm eigentlich vorschwebte, erfüllt sich nicht: dass er nämlich mehr von ihrem Leben erfährt – und das hat er nicht durch den Humor herstellen wollen, sondern als Vater. Winfried gerät dann im ersten Teil des Besuchs bei seiner Tochter in so eine Sackgasse, dass es einfach härtere Maßnahmen braucht. Diesen Toni erfindet er aus einer Verzweiflung heraus, er will damit eine andere Version von sich entwerfen. Natürlich ist der überzeichnet, aber er versucht gerade noch im Bereich des Möglichen zu sein. Er macht zum einen den Vater sichtbar hinter dem Toni, auf der anderen Seite hat er Verwandlung genug, so dass Ines sich darauf einlassen kann.
Auf den ersten Blick wirken die Figuren von Ines und Winfried konträr: Sie junge Karrierefrau, er altlinker Musiklehrer. Das Kräfteverhältnis der beiden verschiebt sich aber während des Films. Sind sie sich ähnlicher, als sie scheinen?
Ich wollte als Ausgangspunkt zeigen: Die Beziehung ist eingeschlafen, ist beladen mit versteckten Aggressionen, die sie zueinander haben. Aber im Grunde haben sie keine schlechte Beziehung. Zwischen ihnen hat sich eine Fremdheit entwickelt, die auch damit zu tun hat, dass Ines so stark in ihrer Rolle verhaftet ist, die sie in ihrem Job als Unternehmensberaterin spielen muss. Und die zieht sie manchmal zu sehr ins Private.
Die Regisseurin: Ade, geboren 1976, studierte an der HFF München Regie. Ihr Abschlussfilm „Der Wald vor lauter Bäumen“ (2003) wurde mehrfach ausgezeichnet. Für ihren zweiten Spielfilm „Alle anderen“ erhielt sie auf der Berlinale 2009 den Silbernen Bären.
Der Film: „Toni Erdmann“ lief im Mai bei den Filmfestspielen von Cannes im Wettbewerb.
Inwiefern zeigt die unterschiedliche Mentalität der beiden einen Generationenkonflikt?
Klar gibt es diesen Generationenkonflikt. Es gibt ja viele Varianten eines solchen Konflikts, dass etwa die Eltern spießiger sind als die Kinder. Jetzt hat die Tochter sich – zumindest oberflächlich – mit ihrem Job wegentwickelt von den Werten des Vaters, die er ihr mitgegeben hat. Die haben sich ins Gegenteil verkehrt. Das, wofür er gekämpft hat, dass sie mit einer gewissen Freiheit ausgestattet ist, eine Weltoffenheit hat, das alles kann sie auch als Unternehmensberaterin sehr gut gebrauchen. Das hat mich als Grundthema interessiert.
Ein Paradox bei antiautoritären Eltern ist ja, dass ihre Kinder manchmal umso autoritärer geraten.
„Toni Erdmann“. Regie: Maren Ade. Mit Sandra Hüller, Peter Simonischek u. a., Deutschland 2016, 162 Min., ab 14. Juli im Kino
Man kann das so lesen, dass es eine Reaktion ist auf das, was die Eltern machen. Wobei man am Anfang auch die Familie sieht, wo sie wahrscheinlich mehr aufgewachsen ist – die Mutter ist Zahnärztin, der neue Mann der Mutter ist mit Sicherheit auch ein konservativerer Typ als der Vater. Vielleicht hat Winfried sie also schon früher an konservativere Werte verloren. Für sie ist umgekehrt seine Weltsicht zu naiv und zu einfach geworden. Bei dem Job, den sie macht, verlaufen die Grenzen zwischen gut und böse fließender. Für Winfrieds Generation, die Nachkriegsgeneration, gab es ganz klar die Option, sich von den Eltern abzugrenzen.
Winfried wird dann mit einem Scherzgebiss zu Toni Erdmann. Standen die Zähne von Anfang an im Drehbuch?
Die Zähne standen drin, die Perücke auch. Ich wollte ein Kostüm, das stufenweise zerfallen kann. Und die Perücke hatte die Maskenbildnerin zunächst nur für das Casting besorgt. Ich habe dann gesehen, dass man das machen kann, ihm so einen Fetzen auf den Kopf zu hauen, denn ich hatte Angst – Sie sagten vorhin „Clown“ –, es ist halt ein schmaler Grat, dass es nicht zu quatschig wird, aber trotzdem noch übertrieben ist. Und da waren Kostüme und Maske ganz entscheidend. Was wir da alles überlegt haben: Wie breit sind die Streifen vom Hemd, welche Krawatte?
Albernheit und Klamauk wird im Film einiges an Raum gegeben. Wie schwierig war es zu verhindern, dass der Klamauk die Oberhand gewinnt?
Ich glaube – und das haben wir auch bei der Probenarbeit gemacht –, man muss den Klamauk auf jeden Fall mal ausgelebt haben. Wir haben so gearbeitet, dass man es einkreist. Zum Beispiel diese Szene, in der er auftaucht in der Bar, für die haben wir wahnsinnig viel gedreht, volle drei Tage, weil klar war: Das ist eine Szene, die muss gut sein. Sonst kannst du den Film vergessen. Wenn du das nicht irgendwie glaubst. Denn das ist ja die Geburt vom Toni.
In dem Moment, in dem er sich unerwartet umdreht, ist man tatsächlich überrascht.
Ja, und wie er sich umdreht, wie er herankommt, das war irgendwann auch richtige Millimeterarbeit von Peter Simonischek. Aber er spielt ja in erster Linie Winfried. Das heißt, Toni durfte keine neue Figur werden. Trotzdem musste man den Klamauk einmal gemacht haben, um ihn dann wieder zurücknehmen, dosieren zu können. Das Wichtigste, das wir dabei herausgefunden haben: Der Quatsch, den haben wir ausprobiert, trotzdem lebt die Szene davon, dass Winfried damit Ines meint, dass er beobachtet, wie sie das findet. Manchmal hatte ich auch das Gefühl, wir drehen einen echt traurigen Film. Und der Film hat ja beides. Ich war schon überrascht, dass er so klar als Komödie definiert wurde.
Knapp drei Stunden Spielzeit sind in Deutschland recht lang. Wie schwierig war es durchzusetzen, dass der Film die Zeit benötigt?
Das Gute war, dass sich das Drehbuch flott gelesen hat. Trotzdem hatte es schon 130 ziemlich klein geschriebene Seiten. Und ich hatte gedacht: Ja, der Film wird ein bisschen länger, und man schmeißt eh nachher was raus. Irgendwie konnte man aber nicht so viel rauswerfen. Ich habe wirklich viel Zeit im Schneideraum verwendet, um zu versuchen, den Film zu kürzen. Einfach weil ich mir sicher sein wollte, dass das dann die beste Länge ist, und irgendwie hat er echt eingebüßt.
Wie haben Sie zu Ines' Beruf als Unternehmensberaterin recherchiert?
Ich hatte die Geschichte im Jahr 2011 als Grundkonstruktion und begann damals auch, in Bukarest zu recherchieren. Bei der Recherche habe ich zwei interessante Frauen kennengelernt und bin mit der einen mal durch die Clubs gezogen und habe ein wenig ihr Expat-Leben kennengelernt. Eine arbeitete damals als Unternehmensberaterin und hatte einen ähnlichen Job wie Ines, das war ein Glücksfall.
Die Präsentationen der Unternehmensberatung im Film sind auch recherchiert?
Ja, und Unternehmensberatung hat wirklich am besten gepasst. Ich habe auch Managerinnen getroffen und Frauen, die Firmen haben. Aber ich fand einfach interessant, dass Ines in ihrem Job eine Rolle spielen muss und dass es, ähnlich wie beim Vater, um Performance geht, etwas, das sich auch in dem Toni findet. Und dass Ines diese Rolle schwer loswird.
Wie kam der Kukeri ins Spiel, das Kostüm, mit dem sich der Vater verkleidet?
Das gab es im Buch, dass der Vater ein Kostüm von dort nimmt, in dem er komplett verschwindet. Aber dass es dann so aussieht, habe ich erst übers Recherchieren herausgefunden. Der Kukeri kommt aus Bulgarien, in den Bergdörfern wird das verwendet, um böse Geister zu vertreiben. Ich fand das passend, es ist fast sein Inneres nach außen gekehrt. Es hat so etwas Schweres, Trauriges und trotzdem auch etwas Lustiges, Fröhliches. Für mich war es wie der wahre Winfried: Er ist in dem Kostüm noch mehr er selbst.
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