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Marcel Wanders aufgespießt und seziertRaffinierter Kitsch

Ein extravaganter Produktdesigner: Das Stedelijk Museum Amsterdam widmet Marcel Wanders eine große Einzelausstellung.

Marcel Wanders Werke im Amsterdamer Stadelijk Museum. Bild: Stedelijk Museum Amsterdam/courtesy of the artist

Aufgespießt hängt der Mann an der Wand, rechts am Eingang der Ausstellung. Das Bild fasst das Kommende treffend zusammen. Der Mann und sein Werk werden im Rundgang der Ausstellung wahrlich aufgespießt und seziert. Er wird natürlich auch gefeiert und sein Werk durchaus glanzvoll inszeniert. Aber es ist die Kuratorin, die mit diesem Instrumentarium sorgfältiger Museumsarbeit sagt, wo’s und wie es langgeht.

Das ist nicht unbedingt zu erwarten, denn der Mann ist ein Star auf dem ungemein populären Feld des Produktdesigns. Er könnte versucht haben, dem Stedelijk Museum, das ihm jetzt eine große Einzelausstellung ausrichtet, seine eigenen Vorstellungen aufzuoktroyieren.

In „Marcel Wanders. Pinned Up – 25 Years of Design“ beherrschen Leuchten und Lampen, Tapeten, Porzellan, Besteck, atmende Schaufensterpuppen, Stühle und Sofas die Szenerie, also all die Alltagsgegenstände, deren besondere Gestaltung ein Herzensanliegen der fortgeschrittenen Industriegesellschaft ist.

Aber wie das oft so ist mit den Herzensanliegen, es sind nicht unbedingt die, die uns glücklich machen. Ich wusste etwa nicht, dass ich Marcel Wanders’ Arbeiten schon im Hotel On Rivington begegnet bin.

Die Ausstellung

„Marcel Wanders. Pinned Up – 25 Years of Design“. Noch bis 15. Juni 2014, Stedelijk Museum Amsterdam, Katalog 29,90 Euro

Und um ehrlich zu sein, ich fand die New Antiques Möbel und die üppigen Tapetendrucke des Design Hotels in der Lower East Side von Manhattan eher grauslich. Mit ihrer Ausstellung hat mir die Kuratorin Ingeborg de Roode diese Arbeiten nicht wirklich nähergebracht – dafür aber um einiges verständlicher gemacht.

Kristalllüster mit Goldglocke

Das Überschwängliche und Überbordende von Wanders’ Designs, die gedrechselten Stuhlbeine, die floralen Tapetenmuster oder die Kristallschnüre der Lampen – all das, was mir nur kitschig erscheint, ist bei genauerer Betrachtung um einiges raffinierter als gedacht. Bei den Lampen und Leuchten etwa ist eine Entwicklung zu beobachten, vom großartigen Einfall am Anfang seiner Karriere, als er einen einfachen Lampenschirm zur minimalistischen Stehlampe übereinanderstapelt, bis hin zur fragwürdigen Pracht des riesigen Kristalllüsters, den er mit einer Goldglocke überwölbt.

Doch die Anordnung der Exponate macht mir dann ebenfalls deutlich, dass diese Entwicklung nicht nur einen vermeintlichen Verlust an Form markiert, sondern ebenso einen Gewinn aufseiten des Materials und seiner anspruchsvollen Verarbeitung.

Noch nicht einmal hübsch, trotz ihrer organisch-barocken Form, ist eine merkwürdig ausgebeulte weiße Porzellanvase. Wie, denkt man spontan, kommt man nur auf so eine idiotische Form? Man spielt, experimentiert und packt ein halbes Dutzend Eier in ein Kondom. So hat es Marcels Wanders getan und den Abguss des ausgebeulten kleinen Gummischlauchs dann als Vase (re)produziert.

Material und Verarbeitung

Die Beulen fassen sich ausgesprochen angenehm an, stellt man fest, als man die Vase später in die Hand genommen und sie gerne hin und her gedreht und gewendet hat. Das Design von Marcel Wanders lotet dezidiert den Reiz des Taktilen aus. Deshalb kommen dem Material und seiner besonderen Verarbeitung eine ganz wesentliche Rolle in seinen Entwürfen zu, wobei er genauso mit neuesten technischen Entwicklungen arbeitet wie mit alten handwerklichen Verfahren.

Wie sehr letztlich auch der Stil dem Material gehorcht, zeigt der „Carbon Balloon Chair“ (2013), der scheußlich ausschaut, aber ein faszinierendes Design-Experiment ist. Wanders setzt Schläuche aus gewebtem Karbon, die erst aufgeblasen und anschließend gehärtet werden, zu einer tiefschwarzen Abstraktion des klassischen Thonet-Stuhls zusammen, die nur noch 800 Gramm wiegt und damit einer der leichtesten Stühle ist, die je entworfen wurden.

Der Stuhl ist eher eine intellektuelle als eine ästhetische Erfahrung. Man muss schon Vergnügen an seiner experimentellen Technik haben, um diesen Stuhl, der in Handarbeit gebaut werden muss, teuer zu erwerben – oder man ist, koste es, was es wolle, um Extravaganz bemüht.

Ein Tick zu viel

Extravaganz benennt einen wichtigen Aspekt in Marcel Wanders’ Design. Sie hängt mit seinem hemmungslosen, von großer erzählerischer Lust befeuerten Einfallsreichtum zusammen, der den Tick zu viel bei seinen Arbeiten verschuldet. Obwohl alle ästhetischen Zutaten gut begründet sind und niemals nur bloßen Launen zu entspringen scheinen, lassen sie sie extravagant erscheinen.

Diesem Zug wird in dem ganz in Schwarz gebetteten Teil des Ausstellungsparcours nachgegeben, der den Designer feiert, während der strahlend weiß ausgeleuchtete Teil die rationale Auseinandersetzung mit ihm sucht. Wie sehr er mit seinem Hang zur Extravaganz der ideale Designer der Globalisierung ist, macht eine monumentale Marmorskulptur im Zentrum der kleinen schwarzen Messe deutlich.

Ihre zwei riesigen Puppengesichter, ein asiatisches und ein europäisches, werden im nächsten Jahr die Lobby eines Luxusapartmenthauses in Istanbul schmücken. Vielleicht, ging es mir am Ende der Schau durch den Kopf, ist es Zeit, sich mit einer gewissen Exaltiertheit im Design anzufreunden.

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