Manipulationen bei der Organverteilung: Staatsanwälte im Herzzentrum

Noch ermitteln die Staatsanwälte. Doch schon jetzt ist sicher, dass die Kriterien für die Dringlichkeit einer Herztransplantation geändert werden.

In einem Styropor-Behälter wird ein Spenderorgan angeliefert.

Die Wartelisten für ein Organ werden neu sortiert. Foto: dpa

BERLIN taz | Die schwelende Krise der Transplantationsmedizin in Deutschland ist in ein akutes Stadium getreten: Nach den Leberkliniken geraten nun auch Zentren, an denen Herzen transplantiert werden, ins Visier der Bundesärztekammer (BÄK) wie der Strafverfolgungsbehörden: Wegen möglicher Manipulationen bei der Aufnahme von Patienten auf die Warteliste für ein Spenderherz ermitteln derzeit die Staatsanwaltschaften von Berlin, München und Heidelberg.

Ob und bei wie vielen weiteren der insgesamt 22 Herztransplantationszentren in Deutschland den Prüfern von Kammer, Kassen und Krankenhausgesellschaft Unregelmäßigkeiten oder Verstöße auffielen, die sie sodann den Justizbehörden meldeten, will die Bundesärztekammer „Ende November“ bei ihrer Bilanzpressekonferenz bekannt geben. Das teilte Claus-Dieter Middel, Leiter der Geschäftsstelle Transplantationsmedizin bei der BÄK, der taz mit.

Im Kern geht es um die Frage, ob Mitarbeiter und Exmitarbeiter des Deutschen Herzzentrums Berlin (DHZB), des Klinikums der Universität München (LMU) und des Universitätsklinikums Heidelberg sich wegen versuchten Totschlags (Berlin) beziehungsweise wegen gefährlicher Körperverletzung (München, Heidelberg) strafbar gemacht haben.

Sie sollen ihren Patienten – die Rede ist von Zahlen im niedrigen bis mittleren zweistelligen Bereich pro Klinikum – in den Jahren zwischen 2010 und 2012 verschiedene Herz-Kreislauf-unterstützende Medikamente in einer, vereinfacht gesagt, anderen Dosierung gegeben haben, als sie gegenüber der Organvergabestelle Eurotransplant mitteilten.

Es gab keine Möglichkeit, akute Verschlechterungen zu berücksichtigen

Teilweise sollen die Präparate verabreicht worden sein, ohne dass dies medizinisch nötig war. In anderen Fällen ist strittig, ob die Notfallmedikamente während eines bestimmten Zeitraums kontinuierlich in einer bestimmten Höchstdosis hätten gegeben werden müssen, oder ob es richtlinienkonform war, die Höchstdosis in dem besagten Zeitraum nur punktuell zu erreichen.

Um die Bedeutung dieser Unterschiede zu verstehen, muss man wissen: Die Gabe von Herz-Kreislauf-unterstützenden Medikamenten (etwa Katecholamin, Dobutamin, Phosphodiesterase-Inhibitoren) entscheidet – neben anderen Faktoren – über die Einstufung eines Patienten auf der Dringlichkeitsskala.

Ein Herz nur bei Dringlichkeit

Weil Spenderherzen ein äußerst knappes Gut sind und nach den derzeitigen Vergaberichtlinien der Bundesärztekammer fast ausschließlich nach dem Kriterium der Dringlichkeit vergeben werden, haben in Deutschland in der Praxis nur Schwerstkranke Aussicht auf eine Herztransplantation. 2014 erreichte die Zahl der Herztransplantationen mit 294 transplantierten Herzen den Tiefststand der letzten beiden Jahrzehnte. Etwa 800 Patienten warten nach Angaben von Eurotransplant in Deutschland auf ein Spenderherz.

Durch die möglicherweise manipulierten Dosierungsangaben könnte es nun sein, dass manche Patienten kränker wirkten, als sie waren – und folglich bei der Vergabe bevorzugt wurden, während andere, tatsächlich viel dringlicher Wartende, deswegen starben.

Diesen Zusammenhang eindeutig nachzuweisen, gilt freilich als nahezu unmöglich. Dazu kommt: Die Richtlinie der Bundesärztekammer zur Vergabe von Spenderherzen legt selbst gar keine Grenzwerte fest, ab welcher Notfallmedikamente-Dosierung der Status eines Patienten als hochdringlich gelten soll. Sie macht auch keine Angaben über etwaige Notwendigkeiten der Kontinuität bei der Medikamentengabe.

Hierzu äußert sich lediglich ein sogenanntes Manual der Organvergabestelle Eurotransplant, das „keinerlei normativen Charakter“ besitzt, kritisierte der Strafrechtler und Transplantationsexperte Ulrich Schroth im Gespräch mit der taz.

Vergabekriterien werden überarbeitet

Wie immer der Streit ausgehen wird: Bizarrerweise wird ausgerechnet die aktuell sehr konfliktbeladene Dosierung der Notfallmedikamente in Zukunft kaum noch relevant sein für die Listung für ein Spenderherz. Der Grund: Die Ständige Kommission Organtransplantation (StäKO) der Bundesärztekammer, ein Expertengremium, das die Richtlinien entwickelt, bevor sie das Bundesgesundheitsministerium genehmigt, strebt eine tiefgreifende Reform der Kriterien für die Wartelisten an.

Der noch unveröffentlichte „Entwurf zur Änderung der Richtlinie zur Herz- und Herz-Lungen-Transplantation“ liegt der taz vor. Er ist ein Bruch mit den bisherigen Regeln. Künftig soll bei Herzen nicht mehr bloß die Dringlichkeit ausschlaggebend sein für eine Listung, sondern auch die Erfolgsaussicht.

Ein neues Punktwertsystem namens Cardiac Allocation Score (CAS) soll helfen, so der Entwurf, „ein differenziertes objektivierbares und dynamisches Patientenprofil“ zu erstellen, „das den aktuellen Gesundheitszustand des Patienten mit Hinblick auf die Transplantation abbildet“.

Neues Vergabesystem für Lungen

Für die Lungenvergabe wurde ein entsprechendes, ursprünglich in den Vereinigten Staaten entwickeltes Punktwertsystem namens Lung Allocation Score (LAS) in Deutschland bereits 2011 eingeführt – mit Erfolg: „Es hat sich gezeigt, dass nach der Einführung des LAS weniger Patienten auf der Warteliste verstorben sind und auch die Patienten kürzer auf die Transplantation gewartet haben, ohne dass sich die Ergebnisse nach der Transplantation verschlechtert hätten.“

Nötig sei die Reform aus mehreren Gründen: „Die steigende Sterblichkeit auf der Warteliste und die Verschlechterung der Ergebnisse nach Transplantation zeigten, dass die Kriterien der Zuteilung verändert werden müssen.“ Zuletzt hätten bald 80 Prozent der transplantierten Patienten einen Hochdringlichkeitsstatus gehabt. Die Wartezeit auf ein Spenderherz habe mehr als sechs Monate betragen. Innerhalb der Gruppe hochdringlicher Patienten wiederum habe es „keine Möglichkeit“ gegeben, „akute Verschlechterungen zu berücksichtigen“.

Das neue CAS schaffe hier Abhilfe. Seine Parameter, heißt es in dem Entwurf, seien zudem wissenschaftlich „validiert“, also rechtsgültig. Sie entsprächen dem Stand der Wissenschaft.

Streit um Dosierung

Im Gegensatz übrigens zu anderen, „derzeit nicht validierten“ Parametern, kritisieren die Autoren der Richtlinienreform. Konkret gehe es bei diesen „nicht validierten“ Parametern um die Gabe „positiv inotroper Medikamente“ – ironischerweise sind dies genau jene den Herz-Kreislauf-unterstützenden Notfallmedikamente, um deren zulässige Dosierung aktuell so gestritten wird.

Ob der Einsatz von Notfallmedikamenten sich überhaupt als Parameter eigne, um über eine Organvergabe zu entscheiden, sei „derzeit nicht validiert“, könne aber „nach heutigem medizinischen Verständnis gegebenenfalls prognostisch sinnvoll sein“.

Weshalb die Notfallmedikamente dann überhaupt Grundlage für Vergabeentscheidungen wurden, das mögen weder die Prüfungskommission noch die StäKO noch der Leiter der Geschäftsstelle Transplantationsmedizin der BÄK mit Rücksicht auf die laufenden Beratungen beantworten: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt“, schreibt Claus Dieter Middel der taz, „können wir keine Aussagen zu Einzelaspekten des Entwurfs treffen.“

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