Manfred Weber und der Stammtisch: Lokalrunde für den Diskurs
Gespaltene Gesellschaft und toxische Debattenkultur – was kann uns noch retten? Der CSU-Europapolitiker Manfred Weber hat da eine sehr seltsame Idee.
T rinken können sie ja bei der CSU, zumindest will es die Folklore so. Blau-weiße Gemeinschaft, hergestellt überm Bier in der Kneipe am Tisch mit Wimpel. Platzgehirschte Dominanzkultur. Der Stamm sitzt da. Deutsche Eiche, braun gebeizt – das Möbel wie der Gäste Knochen.
Genau dort liegt nach Ansicht des CSU-Politikers und früheren konservativen Spitzenkandidaten für die Europawahl, Manfred Weber, die Lösung der Polarisierung des gesellschaftlichen Diskurses. „Wir bräuchten eine Renaissance des Stammtisches, wo Menschen verschiedener Ansichten miteinander reden – und nicht übereinander“, erklärte Weber an Weihnachten dem Münchner Merkur. Eine Renaissance jener Kneipenzierde also, die dem Deutschen ob ihres welt- und diskursoffenen Rufs so schöne metaphorische Komposita beschert hat, mit „Parole“ und „Niveau“ zum Beispiel.
Der Stammtisch war schon immer das Ende jeder zugewandten Diskussion. Nur einen Humpen Helles vom Faustschlag gegen das Andere, das Fremde entfernt, kann hier das stumpfe Eigene gefeiert werden. Unbehelligt bleiben die Gäste von neuen Ideen und Erfahrungen. Es ist ihr Tisch, es gelten ihre Regeln. Durst und Vorurteil sind da zu finden, und sonst nichts.
Der Stammtisch ist kein Gesprächsangebot, sondern sein Gegenteil. Ewige Repetition des immer Gleichen im tiefen Glauben, das Nötige zu wissen und das Richtige zu glauben. Lernen lässt sich da am Ende nur, dass der Tod bei so manchen Zeitgenossen nicht erst mit dem letzten Atemzuge eintritt. Schon Hermann Hesse bemüht in seiner Erzählung „Unterm Rad“ das Bild unmittelbar vor dem tragischen Ende seines Helden Hans Giebenrath, der partout nicht in die vorgeformte Welt passen will: „Dies Behagen und diese Sachlichkeit sind alte ehrwürdige Erbstücke jedes Stammtischphilisteriums und werden von den jungen Leuten nachgeahmt so gut wie Trinken, Politisieren, Rauchen, Heiraten und Sterben.“
Diese Sehnsucht nach Konservierung des Altbekannten ist dabei nicht einfach nur die etwas kauzige Wortfindungsstörung Webers. Der Stammtisch ist absichtlich gewähltes Symbol eines Gestern, in dem noch Ruhe auf den billigen Plätzen herrschte. Die ideelle Spaltung der Gesellschaft kann vielleicht bedauert werden. Den rauen Ton im öffentlichen Diskurs zu zivilisieren ist allemal eine vornehme Aufgabe. Der Stammtisch aber wäre nur geeignet, jene zum Schweigen zu bringen, die ohnehin nie an ihm Platz nehmen durften.
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