Manager Ruhnert über den 1. FC Union: „Ich habe null Abstiegsangst“

Der Manager des 1. FC Union ist auch Linkspolitiker im Sauerland. Bei den einen geht's rauf, bei den anderen runter. Wie schafft Oliver Ruhnert den Spagat?

Oliver Ruhnert und Urs Fischer stehen sich auf dem Trainingsplatz dicht gegenüber

Gutes Gespann: Oliver Ruhnert und Trainer Urs Fischer arbeiten seit vier Jahren gut zusammen Foto: Matthias Koch/imago

taz: Herr Ruhnert, Aufstieg, Klassenerhalt, Conference League, Europa League. Vor dem Champions-League-Finale am Sonntag drängt sich da die Frage auf: Geht da noch mehr für Union Berlin?

Oliver Ruhnert: Die Frage habe ich fast befürchtet. Denn das Bespiel Eintracht Frankfurt zeigt gerade, dass man Erfolge feiern kann, die man für kaum denkbar gehalten hat. Dass der Elfte der Fußball-Bundesliga Europa-League-Sieger wird, das halte ich beinahe schon für einmalig. Man mag das als Phrase empfinden, aber ein Verein wie unserer muss immer von Spiel zu Spiel denken. Und dann kann man aus einer guten Phase in der Saison möglicherweise neue Ziele ableiten.

In der abgelaufenen Saison war Union eine Art Zaungast in Europa. Ist der Klub jetzt schon einen Schritt weiter?

Eintracht Frankfurt hat jetzt nicht das erste Mal in der Europa League spielen dürfen. Sie hatten da schon verschiedene Highlights auch in diesem Wettbewerb. Für uns hat es sich in der Conference League komplett neu angefühlt und so ist es jetzt mit der Europa League wieder.

Bei all den immer neuen Erfolgen fragen wir uns, wo eigentlich der angestammte Platz von Union ist. Ist der noch zwischen erster und zweiter Liga?

Wir sind sicherlich in der ersten Liga angekommen. Wir gehen jetzt ins vierte Jahr, und zweimal sind wir auf einem internationalen Rang gelandet. Es fühlt sich zwar alles neu an, immer, jedes Jahr, jetzt wieder. Aber jetzt wissen wir schon: Ja, wir sind da drin. Du schaust mehr auf die erste Liga, nicht mehr so viel auf die zweite. Du betrachtest auch die internationalen Gegner anders. Wir sind jetzt Part of the Game.

50, war im Profibereich zuerst beim FC Schalke 04 als Scout und Nachwuchsleiter tätig. Seit 2018 arbeitet er beim 1. FC Union Berlin als Geschäftsführer. Ruhnert hat die Trainer-B-Lizenz, pfeift Amateurspiele und sitzt für Die Linke in Iserlohn im Stadtrat.

Ein normaler Erstligist?

Wir sind im nächsten Jahr der Erstligist, bei dem mit Abstand am wenigsten Zuschauer ins Stadion passen. Wir sind der Verein, der die wenigsten Bundesligajahre auf dem Buckel hat. Auch wenn das keiner mehr hören will, bleiben wir immer noch ein bisschen der Gegenentwurf zu vielen anderen Klubs. Wir wissen, dass wir vielleicht auch mal wieder um den Klassenerhalt spielen.

Also das Ziel für nächste Saison sind dann wieder die üblichen 40 Punkte, und die Verträge werden so aufgesetzt, dass sie auch für die zweite Liga gültig sind?

Alle Verträge müssen auch eine Gültigkeit für die zweite Liga haben. Da lacht man immer so ein bisschen drüber. Aber man sieht doch die Beispiele, bei denen es von ganz oben ganz schnell nach unten geht. Schauen Sie sich mal Traditionsvereine an wie 1860 München, wie Preußen Münster, Alemannia Aachen, wie sie alle heißen. Da ist es doch sehr sinnig, den Fokus in einer wieder veränderten ersten Liga auf den Klassenerhalt zu legen. Und diese 40 Punkte sind nicht leicht zu erreichen. 40 Punkte heißt mindestens 13 Siege in dieser Liga zu holen, in der Gegner sind, von denen du sagst, dass du sie eigentlich gar nicht bezwingen kannst.

Zudem ist Ihr Kader ständig in großer Bewegung. 15 neue Spieler vor der Saison zu verpflichten ist ja beinahe schon normal für Union. Wünschen Sie sich da manchmal mehr Stabilität?

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Grundsätzlich ist Kontinuität gut. Du hast Leute, die die Abläufe kennen. Aber wir haben jedes Jahr neue Schritte gemacht. Letztes Jahr erstmals drei Wettbewerbe, davor erstmals Bundesliga, davor das Ziel, aufzusteigen. Und da musst du fragen, ob du dafür auch gerüstet bist. Manchmal haben wir keinen Einfluss auf die Fluktuation, weil ein Spieler gehen möchte, weil Verträge auslaufen. Dann haben wir Bereiche, wo wir keine große Fluktuation haben. Wir haben einen Trainer, der jetzt in die fünfte Saison geht.

Und dann geht es ja auch um die sportliche Weiterentwicklung.

Die Mischung aus Spielern, die im zweiten, im dritten Jahr hier sind, mit den Neuzugängen hilft uns dabei, jedes Jahr auch die Spielweise zu verändern. Vielleicht mal das Spiel aktiver zu gestalten oder andere Erfordernisse im Spielsystem zu bedienen. Das sind Dinge, die Manager und Trainer besprechen. Und meine Aufgabe ist es, den Scouts zu sagen, was für Spielertypen wir versuchen zu finden.

Hat Ihnen der Trainer eine Wunschliste übermittelt?

Er findet Lewandowski und Kimmich interessant. Ich muss ihm halt zwischendurch sagen: Das wird eher schwierig. Urs Fischer, der in der Champions League gearbeitet hat, mit Basel erfolgreich war, weiß, dass er anderswo vielleicht Spieler auf einem noch höheren Level trainieren könnte. Und er wünscht sich das manchmal sicher.

Wirklich? Er macht einen so bescheidenen Eindruck.

Urs Fischer ist Profi. Das heißt auch, dass er sich als Trainer mit dem Spiel seiner Mannschaft weiterentwickeln möchte. Es ist ihm immer gelungen, ein System und eine gewisse Spielweise auf die Mannschaft so zuübertragen, dass es gepasst hat. Und das ist für mich die größte Kunst. Er findet einen Weg, mit den Jungs, die er zur Verfügung hat, erfolgreich zu sein.

Bei der Verpfichtung der Spieler mischt er sich also nicht ein?

Wir haben hier eine Scouting­abteilung und einen Manager. Es ist unsere Aufgabe, dem Trainer Spieler zu präsentieren. Und das tun wir auch. Natürlich sind wir im Austausch. Aber wenn er sagen würde, ich will den und den Spieler, das würde zu Problemen führen. Ich mische mich auch nicht in seine Aufstellung ein.

Ist es leichter geworden, Spieler für Union zu interessieren?

Du musst nicht mehr so viel erklären. Die Spieler kennen Oliver Ruhnert und Urs Fischer. Die Spieler kennen Union Berlin. Und selbstverständlich haben die Auftritte in der Conference League dazu geführt, dass man in Europa weiß, dass es hier in Berlin mittlerweile noch einen Klub gibt.

Der andere Club in Berlin steht für den Investorenfußball, Union ist eher was für Fußballromantiker. Sehen Sie sich in einem Wettbewerb um den Fußballcharakter?

Nein, aber, ich freue mich, wenn Union positiv besetzt ist. Es ist sicher was Besonderes, wenn man in einem Stadion spielt, wo auf drei Seiten Stehplätze sind und sich die Leute die Tickets leisten können. Und es ist etwas Besonderes, wenn man einen solchen Standort hat, wo man sonst nur noch Arenen gewohnt ist. Egal wo ich in Deutschland hinkomme, gibt es diese Freude über Union. Das Feedback, das man bekommt, ist ausgesprochen positiv. Und das ist für alle handelnden Personen im Klub einfach toll.

In dieser Saison lebt die Fantasie eines Fußballs auf, der nicht von außen zu Tode finanziert wird. Eintracht Frankfurt wurde Europa-League-Sieger. Freiburg und Union waren erfolgreich. Kann der Kampf gegen den Kommerzfußball gewonnen werden?

Diese Saison war etwas richtig Besonderes. Das gefällt auch mir persönlich sehr gut, weil es widerspiegelt, was sich Vereine mit ihren Fans erarbeiten konnten. Aber ich kann nicht beurteilen, ob das ein Trend sein kann. Dass es dem Fußball gutgetan hat, ist unstrittig.

Die Schere zwischen armen und reichen Klubs geht weiter auseinander. Eigentlich verläuft die Saison quer gegen den Trend.

Dass eine solche Saison noch möglich ist, ist für die finanzstärkeren Mannschaften fast nicht darstellbar. Dafür müssen wir sehr viel richtig machen und die anderen sehr viel falsch. Deswegen können wir nur jeden Tag dreimal Danke sagen, dass wir da vorne gelandet sind.

Wie sieht es mit Ihrer persönlichen Arbeit aus? Wie viel Power stecken Sie hier rein?

Ein Kollege hat mir mal gesagt, ich dürfe das nicht so nah an mich heranlassen. Aber ich kann das nicht immer. Das, was ich mache, mache ich mit größtmöglicher Überzeugung. Letztlich bist du nicht nur Manager, sondern eben auch Fan des Klubs.

Eine der bewegendsten Geschichten dieser Saison war der plötzliche Rücktritt Ihres Kollegen Max Eberl in Gladbach. Er bekannte, keine Kraft mehr für den Job zu haben. Haben Sie Angst, dass es Ihnen ähnlich ergeht?

Das versuche ich zu vermeiden. Deshalb würde ich jetzt nicht meinen Vertrag um vier Jahre verlängern. Aber solange mir die Arbeit Spaß macht, ist eine sehr wichtige Bedingung erfüllt, diese Position ausfüllen zu können.

Trotz dieser so intensiven Tätigkeit sind Sie noch kommununalpolitisch und im Amateurfußball als Schiedsrichter aktiv. Warum?

Ich liebe mein Sauerland. So habe ich auch einen Bezug zu Leuten, die nicht im Bereich Profifußball unterwegs sind. Und wenn ich als Schiedsrichter pfeife, habe ich 90 Minuten, in denen ich nicht an Union denke. Wenn ich alleine laufen gehe, habe ich trotzdem Union im Kopf.

Sie sind für die Linke im Rat in Iserlohn. Geht das zusammen – Profifußball und linke Politik?

Wissen Sie, ich bin aus einfachen Verhältnissen. Für mich war es nie ein Thema, nur weil ich mal in exponierte Stellung gekommen bin, zu sagen, ich verändere jetzt meine Denkweise, dass es für möglichst viele Menschen eine solidarische Gesellschaft geben muss. Viele der Werte, die mir politisch wichtig sind, sind es auch im Fußball. Dass ein Miteinander wichtig ist, dass man den Schwächeren unterstützen muss, dass man gleichzeitig in einer Gemeinschaft erfolgreich sein kann und Probleme gemeinsam gelöst kriegt.

Haben Sie Abstiegsangst, wenn Sie nach den letzten Wahlen an die Linken denken?

Ich habe null Abstiegsangst. Wir haben bei uns in Iserlohn immer das beste Ergebnis im Westen eingefahren. Wer sich selbst Probleme macht, muss sich nicht wundern, wenn dann bestimmte Ergebnisse auch so ausfallen. Nichtsdestotrotz ist die Idee gut, die Leute, die sich dafür einsetzen, weniger.

Wie managen Sie Ihre Pendelei zwischen dem Sauerland und Berlin?

Ich versuche, ein, zwei Tage die Woche im Sauerland zu sein. Ich besuche jährlich sechs bis sieben Ratssitzungen. Darüber hinaus bin ich noch Vorsitzender in einem Ausschuss, alle zwei Wochen gibt es montags eine Fraktionssitzung. Diese Termine nehme ich wahr, das ist so mit Union besprochen.

Wissen die Spieler über Ihr politisches Amt Bescheid?

Natürlich, sie wissen auch, dass ich Schiedsrichter bin. Die machen sich manchmal auch einen Spaß daraus.

Aus Ihrem Dasein als Linkspolitiker oder Ihrer Schiedsrichterei?

Letzteres. Das politische Engagement finden viele, glaube ich, eher gut. Unter unseren Spielern gibt es ein hohes Maß an sozialem Engagement.

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