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„Mal sehen, was noch kommt ...“

Uli Gaulkes Soap-Doku Havanna, mi amor erzählt von Liebe und Eifersucht, alten Sowjet-Fernsehern und kubanischen Telenovelas  ■ Von Tim Gallwitz

Da wird einer, der vorurteilsbeladen ist und alles, was aus dem spanisch-portugiesisch geprägten Amerika herüberschwappt (la ola de moda, olé), in Bausch und Bogen als Latino-Quatsch abtut, vom scheidenden Redakteur ausgerechnet in Havanna, mi amor geschickt. Nun, prima Gelegenheit, denkt er sich, endlich mal nach Herzenslust auf dem ganzen Buena Vista Social Club-Krempel herumzudreschen. Aber es kommt gern anders und vor allem als einer denkt. Sicher, Regisseur Uli Gaulke ist ein Kuba-Aficionado. Klar, der Titel sagt es ja ganz offen, ist Havanna, mi amor eine Liebeserklärung an die Stadt. Und doch sucht eine jeden enervierend-folkloristischen Überschwang vergebens. Statt dessen wechseln sich Talking Heads in Interviews mit Havanna-Impressionen und Ausschnitten aus Telenovelas ab, begleitet von einer universalen Schlagermusik, die – abgesehen vom spanischen Text – ebensogut aus Slowenien stammen könnte.

Nach etlichen Jahren still stehender Produktion brachte das kubanische Fernsehen unlängst wieder eine Telenovela auf die Schirme der Karibikinsel. Telenovela bezeichnet all jene Herzschmerz-Emocore-Endlos-Serien, die auch unter die Rubrik „tägliche Seife“ gebucht werden und auf deutschen Mattscheiben solch klangvolle Namen wie GZSZ, Verbotene Liebe o.ä. tragen. Können diese Höhepunkte der Bildschirmkultur schon in Deutschland auf eine große Schar treu ergebener Zuseher zählen, sind die Verhältnisse auf Kuba noch drastischer. Wie zuverlässige Quellen berichten, stieg nach Bekanntgabe des Starttermins der neuen Telenovela das Aufkommen von Rollwagen merklich an, mit denen die alten Fernseher sowjetischer Bauart zu den Reparaturbetrieben transportiert wurden. Zur allabendlichen Ausstrahlungszeit wiederum herrschte auf den Straßen der kubanischen Hauptstadt gespenstische Leere, während zugleich der Platz und die Luft vor den TV-Geräten immer dünner wurden.

Gaulke seinerseits nahm Platz vor den Fernsehwerkstätten und wartete als Casting-Scout darauf, dass ihm die Mitwirkenden seines Films zuliefen. Und zugelaufen sind ihm einige ziemlich spannende Frauen. Frauen, die sich nehmen, was sie wollen. Die ihre Typen rausschmeißen, wenn sie Ärger machen. Wie den Fernsehmechaniker, dem zwar die Kunden hinterherrennen, die Frau aber weggelaufen ist. Zwischen Telenovela und Rum, zwischen Friseursalon und Fernsehreparatur erzählen Gaulkes Damen und Herren von vergangenen und gegenwärtigen Lieben, von Alltäglichem und Träumen, von Sex als bester Entspannungsmethode in hektischer Zeit und von Komplimenten, die geholfen haben. Das ist mit sehr viel Empathie und Sympathie aufgezeichnet, bisweilen instruktiv, mitunter lustig und eine gute Dreiviertelstunde lang auch kurzweilig. Doch die episodisch-fragmentarische Erzählweise und der Verzicht auf eine übergreifende Narration lässt dann die Spannung merklich absinken. So als ob man zufällig in eine Folge Marienhof geraten ist und nach zehn Minuten entnervt aufgibt, weil man einfach die letzten zehn Jahre verpasst hat und der Unterhaltungswert einer Folge allein dem der deutschen Nationalkicker gleichkommt.

Und es pirscht sich die Frage heran: Warum dafür eine Kinokarte lösen? Havanna, mi amor scheint im sonntäglichen TV-Vorabendprogramm besser aufgehoben als auf der großen Leinwand. Zumal Gaulke nicht über das formale Inventar des Fernsehfeatures hinauskommt und die Möglichkeiten des Big Screens nicht mal ansatzweise ausschöpft. Immer so ein bisschen interessiert sieht man zu, bis der Schlusssatz von Silai, der Friseursalon-Chefin, einem die eigene Haltung retrospektiv bestätigt: „Mal sehen, was noch kommt...“

ab 29. Juni im Zeise und 3001

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