Majestätsbeleidigung in Thailand: Im Hungerstreik gestorben
Die Gefangene Netiporn Sanesangkhom ist während ihres zweiten Hungerstreiks gestorben. Sie hatte die Regierung mit Meinungsumfragen verärgert.
Ihr Vater ist in Thailand Richter, ihre Schwester eine Rechtsanwältin, schreibt das Bangkoker Nachrichtenportal Khaosod über die 28-jährige Studentin Netiporn Sanesangkhom. „Bung Taluwang“, wie sie genannt wird, hat ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden und entwickelte sich schon in ihrer Jugend zu einer Aktivistin im südostasiatischen Königreich. So kämpfte sie für das Recht thailändischer Schülerinnen und Schüler, selbst über ihre Frisuren zu entscheiden, wie auch für die Rechte der LGBTQ-Community.
Die Studentin der Finanzwissenschaft, die als Englisch-Tutorin jobbte, forderte Bildungsreformen und nahm sich dann auch noch einer 15-Jährigen an, die als jüngste Person in Thailand wegen Verstoßes gegen das drakonische Gesetz zur Majestätsbeleidigung angeklagt wurde. Dieser Paragraf 112 des thailändischen Strafgesetzbuches gilt als das härteste Majestätsbeleidigungsgesetz der Welt. Es wird immer wieder von Angehörigen der Elite zur Einschüchterung und Verfolgung von demokratischen Aktivisten missbraucht. Das Gesetz sieht Strafen von 3 bis zu 15 Jahren pro Verstoß vor, wozu schon ein Posting in einem sozialen Netzwerk zählen kann. Nach Angaben der Gruppe Thai Lawyers for Human Rights sind seit 2020 mindestens 270 Personen wegen Majestätsbeleidigung angeklagt und alle verurteilt worden.
So auch Netiporn. Sie hatte sich der monarchiekritischen Reformgruppe Talu Wang angeschlossen und protestierte im Jahr 2022 mit „Meinungsumfragen“ gegen das Privileg königlicher Wagenkolonnen. Diese bewegen sich in Thailands staugeplagter Hauptstadt Bangkok nur auf dann eigens komplett für sie abgesperrten Straßen. Netiporn demonstrierte mit einem Plakat, auf dem Passanten per Klebepunkt abstimmen können, ob sie sich von den royalen Konvois gestört fühlen oder nicht. Was für royalistische Hardliner eine Provokation darstellt, ist für Bürger moderner Gesellschaften eine legitime wie übliche Kritik antiquierter Privilegien.
Bald hatte Netiporn sieben Verfahren wegen Majestätsbeleidigung am Hals. 2022 erreichte sie mit ihrem ersten Hungerstreik, der 64 Tage dauerte, dass sie auf Kaution freikam. Doch diese Entscheidung kassierte ein Gericht in Bangkok im Januar dieses Jahres, weil sie im Gerichtssaal einer anderen Angeklagten etwas zugerufen hatte und dies als Missachtung des Gerichts gewertet wurde. Netiporn kam am 26. Januar wieder in Haft und begann am Folgetag ihren zweiten Hungerstreik mit der Forderung nach einer umfassenden Justizreform sowie Meinungsfreiheit. Zweimal wurde sie in den folgenden Wochen ins Krankenhaus eingeliefert, verweigerte aber weiterhin Vitamine und Elektrolyte und wurde anschließend wieder ins Gefängnis gebracht.
In Bangkoks Innenstadt trauerten Hunderte
Am 14. Mai wird Netiporn Sanesangkhom bewusstlos in ihrer Zelle aufgefunden, im Krankenhaus wird kurz vor Mittag ihr Tod festgestellt. Ihr Schicksal steht in starkem Kontrast zum Fall des früheren Premiers Thaksin Shinawatra. Dessen Partei war mit dem Versprechen der Reform des Majestätsbeleidigungsparagrafen zur Wahl angetreten, hatte sich im Tausch für die Regierungsübernahme und Thaksins Rückkehr aus dem Exil aber aus der Koalition mit der noch stärker reformorientierten Move-Forward-Partei gelöst. Thaksins achtjährige Haftstrafe wegen Korruption wurde dann auf ein Jahr reduziert, wovon er ein halbes in einem Krankenhaus verbrachte und dann schließlich freikam. Das Majestätsbeleidigungsgesetz blieb unverändert.
Der heutige Premierminister Srettha Thavisin ordnete am Mittwoch nach eigenen Angaben eine Untersuchung über den Tod von Netiporn an. Hunderte Aktivisten und Trauende gedachten am Abend in Bangkoks Innenstadt mit Kerzen der Toten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich