Mails von mutmaßlichen Rechtsextremen: Bestürzung nach Morddrohungen
Cem Özdemir und Claudia Roth haben Hassmails mit konkreten Drohungen erhalten. Der Vorfall reiht sich ein in eine lange Liste von Einschüchterungen.
Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Die hässlichen Drohungen mutmaßlicher Rechtsextremisten gegen Herrn Özdemir und Frau Roth sind unsäglich und ein Angriff auf die freiheitliche Demokratie insgesamt.“
Grünen-Chefin Annalena Baerbock erklärte, an die nahezu täglichen Drohungen dürfe sich die Gesellschaft nicht gewöhnen. „Wir müssen gemeinsam für Rechtsstaat und Demokratie einstehen. Mit aller Kraft gegen den Hass vor allem für die, die keinen Schutz haben“, schrieb sie auf Twitter. Linken-Chefin Katja Kipping schrieb: „Solidarische Grüße über alle Parteigrenzen hinweg an Cem Özdemir, Claudia Roth und all jene, die im Alltag bedroht werden.“
Die Zeitungen der Funke-Mediengruppe hatten am 2. Oktober berichtet, dass Özdemir als erster Name auf einer Todesliste stehe. Das habe Ende Oktober eine Gruppe namens „Atomwaffen Division Deutschland“ in einer E-Mail an das Büro des türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten geschrieben. Mittlerweile liegt die Mail auch der taz vor. Darin heißt es unter anderem „Zurzeit sind wir am Planen wie und wann wir Sie hinrichten werden, bei der nächsten öffentlichen Kundgebung? Oder werden sie von uns vor ihrem Wohnort abfangen.“ Der Bundestagsvizepräsidentin Roth drohten die Verfasser, sie sei auf Platz zwei der Todesliste.
Wer ist die Atomwaffen-Division?
Eine rechtsextremistische Gruppe mit dem Namen „Atomwaffen Division“ (AWD) ist in den USA aktiv, ihr werden dort fünf Morde zugerechnet. Es gibt Hinweise, dass die Gruppe auch in Deutschland existiert oder zumindest versucht, deutsche Nazis anzusprechen und so zu expandieren.
Das Bundeskriminalamt verwies am Samstag allgemein auf eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linke-Fraktion vom Juli 2018. Darin hieß es, nach vorliegenden Erkenntnissen ergäben sich keine Anhaltspunkte, dass es sich bei der „Atomwaffen Division“ um eine terroristische Vereinigung handle. Weiter hieß es: „Die Gefährdung durch extrem rechte und rechtsterroristische Gewalttaten in der Bundesrepublik Deutschland bleibt, auch nach der Ankündigung der Existenz eines deutschen Ablegers der AWD, unverändert auf einem abstrakt hohen Niveau.“
Roth sagte den Funke-Blättern: „Die Drohung mag diesmal gegen Cem und mich gerichtet sein, doch sie reiht sich ein in eine lange Liste versuchter Einschüchterungen – gegen Kommunalpolitikerinnen und die Zivilgesellschaft, gegen Jüdinnen und Muslime, gegen Künstlerinnen und Menschen mit Migrationshintergrund.“ Und weiter: „Wer glaubt, uns mit seinem dumpfen Hass und seiner geschichtsblinden Hetze vom Einsatz für eine vielfältige und weltoffene Gesellschaft abbringen zu können, den muss ich bitter enttäuschen.“
Der 53-jährige Ex-Grünen-Chef Özdemir gab die Droh-Mail an die Bundestagspolizei und das Bundeskriminalamt (BKA) weiter. Er wurde in der Vergangenheit bereits wegen seiner scharfen Kritik am türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan von türkischen NationalistInnen massiv bedroht. Eine Sprecherin von Özdemir sagt der taz am Montag, die neue Drohmail steche dennoch in ihrer Drastik deutlich aus den „üblichen“ Beleidigungen hervor. Özdemir erhält bereits seit längerem Personenschutz vom BKA.
Prall gefüllte Mappen mit Strafanzeigen
Özdemir sagte den Zeitungen der Funke-Gruppe: „Ich kann mich auf den Begleitschutz durch das BKA verlassen. Doch was ist mit all den Kommunalpolitikerinnen und den ehrenamtlich Engagierten, die angefeindet werden und keinen Personenschutz haben?“
Auf Twitter veröffentlichte Özdemir ein Foto von sich beim Unterschreiben von Strafanzeigen. „Dafür gehe ich sogar am Samstag gerne ins Büro: Prall gefüllte Unterschriftenmappen mit Strafanzeigen gegen deutsche und türkische Fanatiker für Bedrohungen, Verleumdungen bzw. Beleidigungen“, schrieb er dazu.
Die Bundesregierung hatte erst vor kurzem angekündigt, mit schärferen Strafen, erweiterten Kompetenzen der Behörden und einer Meldepflicht für strafbare Inhalte im Internet auf die rechte Gewalt der vergangenen Monate reagieren zu wollen. Der Plan sieht auch einen besseren Schutz für Kommunalpolitiker vor. Im Juni war der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) ermordet worden. Stephan E., der den Behörden vor Jahren als Rechtsextremist aufgefallen war, sitzt in diesem Fall als Hauptverdächtiger in Untersuchungshaft.
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