Magazin stellt Ukrai­ne­r*in­nen ein: Journalismus fördern von unten

Das Magazin „Katapult“ reagiert solidarisch auf den Ukrainekrieg. Mit dem Erlös neuer Spezialabos stellt es ukrainische Jour­na­lis­t*in­nen ein.

Benjamin Fredrich, Chefredakteur des Katapult-Magazins, blickt in die Sonne und steht vor einem Gebäude einer ehemaligen Schule

„Katapult“-Chefredakteur Benjamin Fredrich vor neuen Redaktionsräumen am Greifswalder Stadtrand Foto: Jens Büttner/dpa/picture alliance

Die EU-Kultur- und Me­di­en­mi­nis­te­r*in­nen wollen ukrainische Medien- und Kulturschaffende unterstützen. Das haben sie bei ihrem Ministerinnenrat Anfang der Woche im französischen Angers beschlossen, Deutschlands Medienstaatsministerin Claudia Roth (B90/Grüne) stellte rund eine Million Euro Soforthilfe in Aussicht, um gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt die Aufnahme von Jour­na­lis­t*in­nen und Künst­le­r*in­nen in Deutschland zu ermöglichen.

In Greifswald sind sie da schon ein ganzes Stück weiter. Bei Katapult, einem der größten Erfolge der jüngsten Zeit am deutschen Zeitschriftenmarkt. Eigentlich ist Katapult so etwas wie eine wissenschaftliche Fachzeitschrift, die mit vielen Grafiken und Karten sozialwissenschaftliche Erkenntnisse auf kreative Weise einer breiten Öffentlichkeit verständlich machen will.

Weil das gut funktioniert (80.000 Abos und kein Ende in Sicht), wollen die Ma­che­r*in­nen nun auch noch den Lokal- und Regionaljournalismus in Mecklenburg-Vorpommern revolutionieren und haben Katapult MV gegründet.

Doch die Zeitschrift ist, will und kann noch mehr. Sie nennt sich selbst „Magazin für Eis, Kartografie und Sozialwissenschaft“, wobei das Eis ironisch gemeint und durchgestrichen ist. Der Rest stimmt. Seit Ende letzter Woche könnte da auch noch gut „Ukraine“ im Untertitel stehen.

2.200 neue Abos nach einer Woche

Anna Hansen empfängt am Fuße der Baustelle, die einmal eine Schule war. Sie wird gerade zum Katapult-Medienhaus umgebaut. Noch hocken viele Katapulte, wie sich die Ma­che­r*in­nen in ihren Newslettern nennen, in einem anderen Büro in der Greifswalder Innenstadt. Etliche sind aber schon hier und arbeiten in der Redaktion im ersten Stock.

Wir schicken unseren neuen Leuten nicht nur Geld, sondern auch Ausrüstung

Eigentlich sollte es bei Katapult MV mit einem Aufruf zur Redaktionsgründung in und damit der Eroberung von Neubrandenburg weitergehen. Doch jetzt, sagt Katapult-Gründer Benjamin Fredrich, gebe es Wichtigeres. Vor knapp zwei Wochen hat die Zeitschrift einen Aufruf für Ukraineabos gestartet, über 2.200 gibt es schon, gerade wurde die 30.000-Euro-Marke pro Monat geknackt, die dadurch generiert werden.

Beim Ausgeben des Geldes geht es um Nachhaltigkeit. Das ist Katapult-Stil, schließlich haben sie auch einen Wald gepflanzt und werben Baumspenden ein, weil sie das Magazin nun mal auf Papier drucken. So verblüfft das Magazin auch hier mit einer ungewöhnlichen wie naheliegenden Idee. Das Geld aus den Abos geht nicht als Spendenstrohfeuer raus.

Vielmehr werden mit dem Erlös aus den Abos ukrainische Jour­na­lis­t*in­nen ganz unkompliziert bei Katapult angestellt, können nach Greifswald kommen und von hier für und über die Ukraine berichten. Fünfzehn stehen schon auf der Payroll, vierzehn Frauen und ein Mann. Fünfundzwanzig können es beim aktuellen Stand der Finanzierung werden.

Schusssichere Westen für Mit­ar­bei­te­r*in­nen

Am Tag des Besuchs ist gerade Bohdana aus Kiew als erste angekommen und hat gleich losgetwittert, drei andere Kol­le­g*in­nen waren da noch unterwegs. Zwei von ihnen sind mittlerweile auch in Greifswald, die vierte ist von Odessa via Wien unterwegs. Die anderen berichten im Moment noch aus der Ukraine.

„Einige fragen uns nach schuss­sicheren Westen, Helmen, Smartphones, Laptops und Kameras. Wir schicken unseren neuen Leuten nun also nicht nur Geld, sondern auch Ausrüstung. Natürlich immer mit der Aufforderung, dass sie sich trotz der besseren Schutzausrüstung nicht in Gefahr begeben sollen!“ heißt es im Katapult-Newsletter: „Die wollen bleiben, wir sagen denen: Bitte kommt, wenn es gefährlich wird“, sagt Fredrich.

Schlafplätze gibt es gleich nebenan, sogar sehr komfortable: Das direkt neben der Schule liegende VCH Hotel Greifswald hatte von der Aktion gehört und spontan angeboten, die Gäste aus der Ukraine kostenlos unterzubringen.

Bohdana studiert noch und arbeitet in Kiew bei der unabhängigen Uni-Zeitung Die Brücke mit. Bis Lwiw ging es mit dem Zug. „Dann sind wir mit dem Auto zur Grenze und danach zu Fuß weiter“, sagt sie. Bekannte in Polen hatte sie keine, aber es gab viel Unterstützung. „Da sind Rettungssanitäter, die machen einen irre wichtigen Job. Wenn sie frei haben, helfen sie den Menschen an der Grenze.“ Über Breslau ging es nach Berlin und von dort direkt nach Greifswald. Ihr Vater und ihr Bruder sind noch in Kiew.

Seit einer knappen Woche gibt es jetzt Katapult Ukraine mit den Beiträgen der neuen Kol­le­g*in­nen auf Twitter in Englisch, Ukrainisch und Russisch. Vieles wird auch auf Deutsch übersetzt. Followerzahl beim Schreiben dieser Zeilen: über 12.000.

Verrückter Ansatz

Die Entscheidung, sich beim Thema Ukrainekrieg zu engagieren, ging schnell, sagt Hansen, die in Stralsund wohnt und eigentlich für Katapult MV arbeitet. „Das ändert hier viel und stellt alles auf den Kopf.“ Seit 22. Februar stemmt die Katapult-Redaktion einen vierundzwanzigstündigen Liveblog, arbeitet erstmals im Schichtbetrieb rund um die Uhr.

Der weitere Ausbau der Zeitschrift liegt erst mal auf Eis. Der Erscheinungstermin der Aprilausgabe wird ein bisschen nach hinten verschoben. „Der Katapult-Ansatz ist damit noch mehr unterstrichen“, so Hansen. Schnell, unkonventionell oder gern auch ein wenig verrückt, aber verdammt wirksam zu sein. „Ich finde es super wichtig, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen verrückten Ideen in die Tat umzusetzen.“

Doch es gibt auch Zoff, und den lächeln sie bei Katapult nicht mal eben weg. Um das Budget für die ukrainischen Kol­le­g*in­nen noch mal zu erhöhen, verzichtet ein großer Teil der Redaktion gerade auf die Hälfte des Einheitsgehalts von 3.300 Euro brutto, um das Projekt zu ermöglichen.

„Wir haben gefragt, wer halbiert sein Gehalt beziehungsweise gesagt, wer es nicht schafft, soll sich melden“, sagt Chefredakteur Fredrich. Es war nicht die allerschlaueste Idee, hat aber geklappt, sagt sein Gesicht. „Es wäre gelogen, wenn ich behaupte, wir sind hier der Super-happy-Verein. Das war intern super kritisch und gab harte Reibungen.“

Alle arbeiten jetzt deutlich mehr und die Belastung steigt weiter. Für die ukrainischen Jour­na­lis­t*in­nen heißt das 1.650 Euro im Monat – nach Katapult-Angaben ist das das sechsfache des ukrainischen Mindestlohns.

Eine Wundertüte

Auf den Aufruf Richtung Ukraine, sich zu bewerben, wurden sie förmlich überschwemmt. „Wir haben mal eben so viele Leute eingestellt. Da ist klar, dass wir bestimmt einige Fehler gemacht haben“, sagt Fredrich. Aber es sollte und musste schnell gehen.

Per Recherche im Netz haben sie versucht, sich ein Bild zu machen: Wer ist das, wo haben sie gearbeitet, was ist das für ein Medium? Wenn die eigenen Sprachkenntnisse nicht mehr ausreichten, half und hilft der Google Translator.

Sie haben jetzt auch einen waschechten Schriftsteller an Bord, der eigentlich ein Buch schreiben will, jetzt aber auch erst mal Artikel zur Lage in der Ukraine liefert. „Ist doch nett, wäre doch sonst langweilig“, heißt es aus der Redaktion: „Das ist eine Riesenwundertüte.“

Über den Inhalt der Ausgabe entscheiden die ukrainischen Jour­na­lis­t*in­nen selbst. „Sie sollen veröffentlichen, was für das Land und die Menschen gut ist“, lautet das Credo. Zumal die Mitarbeitenden in Greifswald ganz andere Herausforderungen mit und für ihre neuen Kol­le­g*in­nen haben:

„Die brauchen ein Bankkonto, eine Krankenversicherung, Fahrräder oder eine Unterkunft, wo sie ihre mitgereiste Mutter unterbringen können. Da mussten wir aus unserer Medienbubble raus“, sagt Max Rieck, der eigentlich in der Aboverwaltung arbeitet, jetzt aber all das koordiniert.

Geflüchtetenunterkunft in Redaktionsräumen

Die Wundertüte Katapult selbst ist noch für weitere Überraschungen gut. Eigentlich sollten im Erdgeschoss der ehemaligen Schule weitere Räume für Redaktion und Verlag entstehen. Hier soll im Herbst auch eine hauseigene Journalistenschule starten. Doch jetzt wird das Erdgeschoss erst mal zu einer Unterkunft für bis zu 100 Geflüchtete aus der Ukraine ausgebaut.

Die Stadt Greifswald stellt Betten und weitere Ausstattung, sanitäre Anlagen sind schon da oder im Bau. Spätestens nächste Woche sollen hier die ersten Menschen einziehen können, was beim aktuellen Zustand des Gebäudes verdammt sportlich ist. „Aber nach dem Krach, der hier herrscht, klappt das“, meint Max Rieck.

Die Bauarbeiter legen sich mächtig ins Zeug und sagen auch, wir schaffen das. Viele von ihnen sind aus der Ukraine. Die meisten von ihnen haben ihre Familien zuletzt an Weihnachten gesehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.