Mafia-Serie bei Disney +: Flucht ohne Happy End
Die Serie „The Good Mothers“ revolutioniert die Darstellung der Mafia in Italien mit brutalem Realismus und fantastischen Schauspielerinnen.
Wenn von drei Menschen, die in für sie aussichtsloser Lage den Staat um Schutz ersuchen, eine ermordet wird, die zweite Suizid begeht und die dritte später sagt, so schlimm sei das alles ja gar nicht gewesen: Was sagt das dann aus über diese Personen, über den Staat, über die Lage?
Die gar nicht genug zu preisende Mafia-Serie „The Good Mothers“ (bei Disney+) gibt Antworten auf all diese Fragen: Die Frauen, die sich und ihre Kinder aus dem faschistoiden Clansystem der kalabrischen Organisierten Kriminalität mit Namen ’Ndrangheta zu retten versuchen, sind Individuen – mal bewundernswert stark und lebensklug, mal so schwach, wankelmütig und dumm, dass in den Bildschirm zu greifen und sie fest zu rütteln eine große Versuchung wäre, wenn die Verkörperung einen nicht so bannen würde, dass schon weiter hinzuschauen, welches Drama sich hier abspielt, in vielen Szenen zu einer echten Herausforderung wird.
Noch nie sind meiner Kenntnis nach die Tristesse eines zentralen Ortes der ’Ndrangheta wie dem in der Ebene von Gioia Tauro gelegenen Rosarno, die Geducktheit der Menschen und die Brutalität, der Hass auf die Frauen und der Rassismus des mafiösen Milieus so eindrücklich und realistisch dargestellt worden.
Dass der italienische Staat mit seiner Justiz und Polizei diesem System immer nur Nadelstiche versetzt, weil er nicht nachhaltig und auf Augenhöhe das gesellschaftliche Problem „Mafia“ bekämpft, sondern einer Notfalllogik folgend von oben, als bürokratische, von Karriere- und Hierarchielogik bestimmte Organisation agiert – das führt mit zu dem anfangs angeführten Ergebnis: Der Mut der drei Frauen schafft in den Annalen des Apparates zu verzeichnende Erfolge, aber zwei von ihnen er- und überleben diese Erfolge nicht.
Großes Kunstwek
Die dritte, Giuseppina Pesce, ließ gerade anlässlich des Ausstrahlungsstarts der Serie über ihre Anwältin erklären, ihr Vater, der ’Ndrangehta-Boss Salvatore Pesce, sei mitnichten der dargestellte Unhold, sondern ganz im Gegenteil „immer liebevoll zu seiner Tochter“ gewesen. Wie groß muss der Druck auf Giuseppina Pesce sein, obwohl sie vom Staat als Zeugin geschützt wird, und wie zerreißend die Widersprüche ihrer Existenz, dass sie einen 2021 in letzter Instanz zu 20 Jahren Haft verurteilten Kriminellen immer noch verteidigen zu müssen glaubt?
„The Good Mothers“ ist ein großes Kunstwerk. Was die Schauspielerinnen Valentina Bellè als Giuseppina Pesce, Micaela Ramazzotti als Lea Garofalo, Gaia Girace als ihre Tochter Denise und Simona Distefano als Concetta Cacciola leisten, ist ein Geschenk, das mit dem sonst im – nicht nur – Streaming-Business Abgelieferten überhaupt nicht zu vergleichen ist, die drei spielen in einer anderen Liga der Intensität, der soziologischen Recherche der Körpersprache.
Sie alle sind gute Mütter, was sie aber eben auch genau zerreißt. Sie sind sich nicht immer sicher, was für ihre Kinder das Beste ist – das aber wollen sie unbedingt. Lea Garofalo wurde 2009 von ihrem Ex-Mann, einem Mafioso, ermordet. Sie traf sich mit ihm, weil sie der Tochter den Vater nicht vorenthalten wollte.
Kämpfe und Widersprüche
Auch bei den authentischen Fällen von Giuseppina Pesce und Concetta Cacciola üben die kriminellen Familien – und weiß Gott nicht nur die Männer – jeden erdenklichen Druck auf die Mütter und die Kinder aus, unter Beschwörung heiliger Werte, mit dem einzigen Ziel, die Zusammenarbeit der Frauen mit den Justizbehörden zu unterbinden.
Für Barbara Chichiarelli in ihrer Rolle als toughe Staatsanwältin Anna Colace ist es unmöglich, die gleiche emotionale Bandbreite zu entwickeln wie ihre Kolleginnen mit ihren zwischen Liebe, Terror und Loyalitätswahn zerrissenen Biografien. Wenn sie sich zum dritten Mal die müden Augen reibt, ist klar, dass sie viel, oft zu viel auf sich geladen hat. Und doch zeigt die Serie zumindest ansatzweise die internen Kämpfe und Widersprüche eines Justizapparats, der sich mitten in Europa mit einer schwerbewaffneten, skrupellosen und über unbegrenzte Finanzmittel verfügenden Bande von Soziopathen auseinandersetzen muss.
Sich diesem in Teilen durchaus abstoßenden Apparat in einer Serie zu widmen wäre ebenso verdienstvoll, wie der Geschichte des zivilgesellschaftlichen Anti-Mafia-Widerstands nachzugehen; aber natürlich nur dann, wenn es in der gleichen grandiosen Weise gelänge, wie das bei „The Good Mothers“ der Fall ist.
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