Männerlastiges Berliner Landesparlament: Wo bleiben die Frauen?
Ausgerechnet Rot-Rot-Grün in Berlin schafft es bisher nicht, sich auf ein Paritätsgesetz zu einigen. Nun setzt ein neue Studie die SPD unter Druck.
Das geht aus einer Untersuchung hervor, die die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stifung am Mittwoch vorgestellt hat. Die politische Schlussfolgerung der beiden Autorinnen der Studie: Es braucht dringend ein Paritätsgesetz nach Brandenburger oder Thüringer Vorbild. Aber Rot-Rot-Grün hat dafür noch nicht einmal einen gemeinsamen Entwurf vorgelegt. Und die Zeit wird knapp: Im Herbst 2021 wird wieder gewählt.
„Freiwillige Regelungen in den Parteien reichen nicht aus, um gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern im Abgeordnetenhaus zu erreichen und diese auch langfristig zu sichern“, laut das Fazit der Autorinnen Helga Lukoschat und Paula Schweers. Sie haben den Frauenanteil bei den Wahlvorschlägen und in Landes- und Bezirksparlamenten seit 1990 ausgewertet.
Nach den letzten Wahlen 2016 lag dieser Anteil im Abgeordnetenhaus bei 33,1 Prozent, in den Bezirken bei 39,6 Prozent. Verglichen mit anderen Bundesländern steht die Hauptstadt zwar nicht so schlecht da: Platz fünf von 16 belegt Berlin damit. Die beiden anderen Stadtstaaten führen die Liste an, Hamburg hat als Spitzenreiter allerdings einen deutlich höheren Frauenanteil von 43,9 Prozent.
Frauen sind im Politikbetrieb zahlenmäßig weiterhin deutlich unterrepräsentiert: Im Bundestag beträgt ihr Anteil 31,2 Prozent; in den Landtagen im bundesweiten Schnitt 30,5 Prozent, in kommunalen Vertretungen 27 Prozent, und sogar nur 10 Prozent der Bürgermeisterinnen sind Frauen.
Bei den Bundesländern ist die Benachteiligung meist in den Stadtstaaten am geringsten. Hamburg führt mit einem Frauenanteil von 43,9 Prozent die Liste an vor Bremen mit 36,9 Prozent. Es folgen Hessen, das Saarland und Berlin. Schlusslicht ist Sachsen-Anhalt mit 21,8 Prozent.
Thüringen und Brandenburg haben bereits Paritätsgesetze beschlossen. In Brandenburg will das Landesverfassungsgericht noch in diesem Jahr über die Rechtmäßigkeit des Gesetzes, das unter anderem paritätisch besetzte Landeslisten vorsieht, entscheiden. Geklagt hatten NPD, AfD und die Piraten. (taz)
Dazu kommt: Längerfristig betrachtet stagniert in Berlin die Entwicklung – bestenfalls. Denn 1995 lag der Anteil bei 38,4 Prozent, 2006 sogar bei 39,6 Prozent, dem bisherigen Höchststand. Woran liegt das?
Die entscheidende Rolle für den Anteil von Frauen und Männern in den Länderparlamenten spielen die Mehrheitsverhältnisse und dortigen politischen Konstellationen, heißt es in der Studie: „Je mehr Sitze Parteien erzielen, die interne Quotenregelungen haben, wie SPD, Grüne und Die Linke, umso höher ist in der Regel der Frauenanteil.“ Hintergrund ist die unterschiedliche, teils offen, teils diskret frauenfeindliche Kultur meist konservativer Parteien.
Erzielen solche Parteien Wahlerfolge, kann eine hohe Quote von Frauen im Parlament eben auch wieder sinken. 2011 war der Grund dafür, dass die Piraten einmalig ins Abgeordnetenhaus einzogen: 14 ihrer 15 Abgeordneten waren Männer. Das zeigt, ganz nebenbei, dass auch als links gelabelte Parteien nicht unbedingt die Repräsentation von Frauen zum Ziel haben.
2016 wiederum drückte der erstmalige – und hoffentlich ebenfalls einmalige – Einzug der AfD die Quote: Unter den 25 Abgeordneten der AfD befanden sich damals lediglich drei Frauen. Hinzu kam, dass Frauen auch in CDU und FDP einen schweren Stand hatten: Die Union schickte nur vier, die FDP zwei Frauen ins Parlament; auf Bundesebene liegt der Anteil bei beiden Parteien höher.
Viel Nachwuchs in Bezirken
An mangelnden Kandidatinnen liege das nicht, sagen die Autorinnen der Studie, und verweisen auf die höheren Frauenanteile in den Bezirksparlamenten. „Die Berliner Parteien verfügen theoretisch wie praktisch über ein ausreichend großes Potenzial, um ihre Wahlkreise und Listen paritätisch mit Frauen und Männern zu besetzen.“
Mit der Veröffentlichung der Studie erhöht die SPD-nahe Ebert-Stiftung den Druck auf die Berliner Regierungsparteien und insbesondere auf die SPD, noch in dieser Legislaturperiode ein Paritätsgesetz zu verabschieden. Denn erneut sind es bei einem gesellschaftspolitischen Reformprojekt in Berlin die Sozialdemokraten, die bremsen.
Die Linkspartei hingegen hatte bereits Anfang 2019 einen Vorstoß gewagt. „Wir haben unseren Koalitionspartnerinnen einen Entwurf für ein Paritätsgesetz vorgelegt, der sowohl quotierte Listen als auch paritätisch besetzte Wahlkreise vorsieht“, sagte Anne Helm, Vorsitzende der Linksfraktion, der taz. Ein Jahr später zogen die Grünen mit einem Eckpunktepapier nach.
Silke Gebel, Grüne
Dazwischen, im Herbst 2019, hatte der SPD-Parteitag die Forderung nach einem Paritätsgesetz aufgenommen und das Ganze gar zum „Leuchtturmprojekt“ erklärt. Einen gemeinsamen Gesetzentwurf, der im Parlament beraten werden könnte, gibt es bisher dennoch nicht.
Nach der Sommerpause soll zumindest der SPD-Entwurf vorliegen, der dann zunächst intern in der Fraktion besprochen werden kann, kündigte Derya Çağlar, in der SPD-Fraktion für Gleichstellung zuständig, am Mittwoch gegenüber der taz an. Und sie betont: „Mir ist es wichtig, das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verabschieden.“
Die Vorschläge der Linken wie Grünen sehen vor, die Wahllisten der Parteien verbindlich im Verhältnis 1:1 zu quotieren – auf eine Frau folgt ein Mann folgte eine Frau und so weiter. Ob eine Frau oder ein Mann am Anfang der Liste steht, könne man aus rechtlichen Grünen nicht festlegen, erklärt Silke Gebel, grüne Fraktionschefin. Entspricht eine Liste den Vorgaben nicht, ist sie ungültig.
Etwas komplizierter wird es bei den Wahlkreisen, eine der – laut Studie – Hauptursachen für den geringeren Anteil von Frauen im Parlament. Die Ergebnisse der Wahlen 2011 und 2016 zeigten, „dass die Frauen bereits vor dem eigentlichen Wahlentscheid keine gleichberechtigte Teilhabe erfahren, da sie bereits als Kandidatinnen unterrepräsentiert sind. Dies gilt insbesondere für die Wahlkreise.“ So betrug 2016 in den 78 Wahlkreisen die Anzahl der männlichen Kandidaten 321 gegenüber 141 Frauen, das entspricht einem Frauenanteil von 30,5 Prozent. „Auch SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen nominierten mehr Männer als Frauen in den Wahlkreisen.“
Weniger Wahlkreise
Der Reformvorschlag von Grünen und Linken sieht deswegen vor, die Anzahl der Wahlkreise zu halbieren und die Zahl der Stimmen für jede/n Wahlberechtigte/n auf zwei zu verdoppeln. Die Wahlberechtigten hätten dann für die Wahl des Abgeordnetenhauses insgesamt drei Stimmen, von denen eine auf die Wahlliste und zwei Stimmen auf jeweils eine Frau und einen Mann in ihrem Wahlkreis entfallen, wobei Letztere nicht von einer Partei sein müssen. Diese Wahlkreisduos oder -tandems findet auch die SPD gut, betonte Çağlar.
Strittig ist hingegen die Frage, ob die Parteien – in diesem Fall CDU, SPD und FDP – weiterhin Bezirkslisten aufstellen dürfen oder ob es nur noch Landeslisten geben soll. Die Grünen, die wie die Linke auch Landeslisten aufstellen, sehen in den Bezirkslisten einen Grund für den geringeren Frauenanteil und wollen sie abschaffen: „Die Machtstruktur auf Bezirksebene ist sehr patriarchal geprägt“, sagt Fraktionschefin Gebel. „Bezirksfürsten“ würden dort ihre Kandidaten durchdrücken.
Für Çağlar und die SPD hingegen ist eine Aufgabe der Bezirkslisten nicht verhandelbar: „Das geht nicht.“ Sie sieht sich dabei durch die Untersuchung der Ebert-Stifung bestätigt: „Die Benachteiligung hängt nicht von den Listen ab, das zeigt die Studie“, sagt Çağlar. Zumindest für die SPD: „Die Vermutung liegt nahe, dass bei CDU und FDP die Frauen eher auf hinteren, weniger aussichtsreichen Plätzen aufgestellt waren“, heißt es darin. „Bei der SPD wurden dagegen überproportional mehr Frauen gewählt.“
Die Grünen wiederum stehen vor dem Problem, dass eine paritätische Besetzung den starken Anteil der Frauen in ihrer Fraktion von derzeit über 60 Prozent reduzieren würde. Das dürfe aber nicht das Ergebnis jahrelangen Empowerments sein, betont Gebel. Sie fordert deshalb eine „Ergebnisparität“ für das gesamte Parlament, die einzelnen Fraktionen höhere Quoten erlauben würde.
Die Zeit wird knapp
Die Verhandlungen innerhalb der Koalition dürften also hart werden, und die Zeit ist knapp, denn spätestens ab Frühjahr dürfte der aufkommende Wahlkampf komplizierte Kompromisse unmöglich machen. „Wir warten auf die SPD“, betont die grüne Fraktionschefin Gebel. Klar ist aber auch: Selbst wenn in dieser Legislatur noch ein Gesetz verabschiedet würde – es würde erst für die übernächste Abgeordnetenhauswahl 2026 Anwendung finden.
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