Madrids Kunstszene in der Krise: Das Carabanchel-Syndrom
Die Kunstszene von Madrid ist von der Finanzkrise besonders betroffen. Anspruchsvolle Arbeiten bleiben bei der Kunstmesse Arco liegen.
Begoña Diaz-Rugorri steht vor dem Überbleibsel ihres Traums. Die spanische Architektin hat einen Sozialwohnungsbau in Madrid zu verantworten, der das Lebensgefühl eines spanischen Dorfes mit arabischen Einschlägen heraufbeschwören sollte: weiße Wohnwürfel mit schmalen Gassen und innen liegenden Höfen. Doch als Diaz-Rugorri diese Woche im Viertel Carabanchel zur Visite kommt, erwarten sie wütende Bewohner. Die Wohnungen sind voller Mängel, die Bewohner fühlen sich als Einkommensschwache in der Falle: Viele haben die Wohnungen auf Anreiz der öffentlichen Hand und der Banken gekauft, jetzt drücken sie die Hypotheken und die unerwarteten zusätzlichen Kosten in dem hoch gelobten Pfuschbau.
Wer sich in diesen Tagen auch sonst ein wenig in der spanischen Hauptstadt umsieht, der bekommt es immer wieder mit dem Carabanchel-Syndrom zu tun. Die Not ist spürbar, seit die Wirtschaftskrise hier noch viel härter eingeschlagen hat als in Deutschland. Die Kunst- und Kulturszene ist ein treuer Spiegel dieser jüngsten Entwicklungen.
Zum Beispiel Madrids Messe für Gegenwartskunst Arco. "Wir arbeiten das Doppelte, um die Hälfte zu erreichen", gestand die Messechefin Lourdes Fernandez zur Eröffnung am Dienstag. Trotz ihrer Bemühungen fehlten rund 20 Kunsthändler, denen das Geschäftsrisiko zu groß geworden ist. Unter den 238 anwesenden befanden sich schwarze Schafe wie die Galerie Haunch of Venison, die auf der Londoner Frieze Art und der Art Basel wegen ihrer Verbindung mit dem Auktionshaus Christies keinen Zutritt erhält.
Wer gekommen war, setzte oft auf leichte Kost, sowohl ästhetisch als auch preislich. Anspruchsvollere Arbeiten blieben in den ersten beiden Tagen (wenn normalerweise die Sammler zuschlagen) unverkauft, darunter ein Gemälde aus der "Remix"-Serie von Georg Baselitz bei Thaddaeus Ropac, ein Liebespaar auf bunt gepunktetem Hintergrund für 425.000 Euro. Ebenso ein prachtvoller Bacon in der Marlborough Gallery, die den Nachlass des Künstlers verwaltet, für 15,7 Millionen Euro. In der Sondersektion für junge Kunst aus Indien, die zuletzt China den Rang abzulaufen schien und Arco zu einer Extraeinladung an Galeristen des Subkontinents animierte, war die Stimmung nicht besser. Die größte unter ihnen, Bodhi Art, gab die Schließung ihrer erst vor einem Jahr eröffneten Berliner Filiale bekannt.
Nicht einmal der Besuch des spanischen Kronprinzenpaars (Laetitia im violetten Carla-Bruni-Look) riss das müde Treiben in den Messehallen am Donnerstag heraus. Die nähere Zukunft der Kunst- und Kulturszene gehört wohl nicht mehr dem Markt, sondern unabhängigen Institutionen und künstlerischer Selbstorganisation.
Zum Beispiel dem Kulturzentrum Matadero in Madrids alten Schlachthöfen nahe dem Prado-Park. Die lang gestreckten Backsteinhallen werden mit überwiegend öffentlichen Geldern schrittweise saniert, schon jetzt stehen rund 18.000 Quadratmeter für Ateliers (bildende Kunst, Design, Mode, Architektur), Theater, Lesecafés und Konzerträume zur Verfügung. Diese Woche aber herrschte im Matadero eher die Atmosphäre eines Digitalkunstfestivals. Zur Verleihung des Preises "Vida11.0" blinkten und zuckten in allen Winkeln der Halle die ausgeklügelten Konstruktionen dieser Kunstform. Die Hauptgewinner, die Kanadier Philip Beesley und Rob Gobert, hatten einen raumfüllenden Zauberwald geschaffen, dessen federleichte Strukturen sich wie Ranken, Farne oder Gliederfüßler vor dem Betrachter aufrollten und ihre verborgenen Dornen zeigten.
Finanziert werden diese teuren Kunstprojekte von der Fundación Telefónica, der Stiftung von Spaniens Telefonriesen. Sie gehört zu den Glücklichen, deren Budget jetzt nicht aufgrund von Fehlspekulationen und Zinsverfall leidet. Nach den Worten ihres Leiters Francisco Serrano stehen für 2009 weiterhin 55 Millionen Euro zur Verfügung, davon 85 Prozent für Bildungsprojekte und 15 Prozent für die Kunstförderung. Neben der Auslobung und Förderung von "Vida" seit elf Jahren hat man seit 1983 in aller Stille eine beachtliche Gemäldesammlung mit Schwerpunkt Kubismus, speziell auf Juan Gris, geschaffen; dazu eine Fotosammlung mit Arbeiten von Jeff Wall, Cindy Sherman, Thomas Struth, John Baldessari und anderen.
Den Bewohnern des Carabanchel-Projekts aber könnte eine Arbeit von Ilya und Emilia Kabakov am besten gefallen, die die belgische Deweer Art Gallery für Arco ausgesucht hat. Es handelt sich um einen Teppich, den das russische Künstlerpaar für die frühere Webmanufaktur des Galeristen entworfen hat und der vom Fliegen handelt. In melancholischem Sepiabaun sieht man Menschen, die an Flugzeugen hängen und sich über die Dächer weit in den Himmel davontragen lassen.
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