Machtkampf beim Nachrichtenmagazin: Aufruhr beim „Spiegel“
Die Gerüchteküche brodelt: Es soll ein Machtkampf zwischen Chefredaktion und Geschäftsführung toben. Steht Chef Klusmann vor dem Aus?
Der Spiegel sollte eigentlich Nachrichten melden, nicht selber zum Objekt von Schlagzeilen werden. Doch wie schon so oft in seiner Geschichte liefern interne Machtkämpfe um die Chefredaktion des Hamburger Nachrichtenmagazins Stoff für Berichterstattung. Wie mehrere Medien unabhängig voneinander berichten, soll Chefredakteur Steffen Klusmann an einer Themenkonferenz am Mittwochmorgen eine Rede gehalten haben, die von vielen Teilnehmern der Konferenz als Abschied verstanden wurde.
Sofort landete die Nachricht bei Business Insider und dem Branchendienst DWDL, die reißerisch titelten: „Klusmann steht kurz vor Ablösung“ und „Chefredakteur vor dem Aus“. Doch so klar, wie diese Headlines suggerieren, scheint die Sache nicht zu sein. Auf Nachfrage von Redakteuren bei der Konferenz, ob Klusmann abtrete, gaben Klusmann und die ebenfalls anwesenden anderen Mitglieder der Chefredaktion verneinende Antworten.
Wenn man sich im Haus umhört, sind viele konsterniert über die sich schnell drehende Gerüchtemaschinerie. Bereits Mittwoch meldete der Medienbranchendienst Turi2, dass der Journalist Dirk Kurbjuweit aus dem Hauptstadtbüro des Spiegels als Nachfolger von Klusmann gehandelt werde. Sogar Vertragsverhandlungen zur Übernahme des Chefredakteurspostens liefen bereits, behauptet Turi2. Auf Nachfrage des Dienstes ließ der besagte Kurbjuweit nur wissen, dazu könne er nichts sagen. Kurbjuweit war schon bei früheren Gelegenheiten als potenzieller Chefredakteur gehandelt worden.
Der taz sagte die Pressesprecherin des Spiegels auf die Anfrage, wie es sich mit dem Wahrheitsgehalt der Meldungen verhalte: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir Gerüchte grundsätzlich nicht kommentieren.“
Mehr als 40 Millionen Euro Gewinn
Der Konferenz von Mittwoch war am Dienstag die jährlich stattfindende Sitzung der Mitarbeiter KG vorausgegangen. Bei dieser werden Geschäftszahlen und Höhe der Ausschüttung an die Mitglieder verkündet. Wieder ein Rekordergebnis: Über 40 Millionen Gewinn. Diese Organisationsform ist ein Unikum des Spiegels – und immer mehr Stein des Anstoßes im Haus.
Die Kommanditgesellschaft hält 50,5 Prozent der Anteile an der Spiegel-Gruppe. In ihr sind die Angestellten organisiert – jedoch nicht alle. Wer bei Spiegel Online arbeitet, ist nicht automatisch in der KG. Seit Online und Print 2019 zumindest inhaltlich zusammengelegt wurden, sind alle neue Stellen bei Online angesiedelt. Erst nach einigen Jahren kann man aufgenommen werden, bis dahin gibt es weder Mitsprache noch eine Gewinnbeteiligung.
Am Dienstag soll die Geschäftsleitung der KG scharfe Kritik an Klusmann geäußert haben, in einer Form, die von vielen als für den Spiegel ungewöhnlich gewertet wurde. Die Geschäftsführung der KG wird alle drei Jahre von den Mitgliedern gewählt, doch danach gibt es wenig demokratische Kontrolle. Die scharfe Kritik soll einige Mitglieder der KG nun gegen ihre Geschäftsleitung aufgebracht haben, so Stimmen aus dem Haus.
Inhaltlich soll es um ein von Klusmann verschlepptes Digitalkonzept gehen, dass jedoch nach Informationen verschiedener Medien eigentlich vorliegt. Bereits seit Monaten soll es zwischen Klusmann und dem Geschäftsführer der Spiegel-Gruppe, Stefan Ottlitz, zu Spannungen gekommen sein. Klusmann kämpft also an zwei Fronten.
Unbefriedigend und ausweichend
So ist es auch zu verstehen, dass Klusmann am Mittwoch dann in die Offensive ging. Nach der Konferenz, in der die Belegschaft ihrem Chefredakteur den Rücken gestärkt haben soll, verlangten Mitglieder der KG eine Aussprache mit der Geschäftsleitung. Stefan Ottlitz, Leiter der Produktentwicklung, soll sich geweigert haben teilzunehmen. Zwei Vertreter beantworteten aber Mittwochnachmittag Fragen zum Konflikt und zu den Gerüchten über Klusmanns Abgang – jedoch dem Vernehmen nach für viele unbefriedigend und ausweichend.
Mittwoch setzten dann mehrere Ressortleiter einen offenen Brief auf, in dem sie sich gegen den möglichen Rauswurf Klusmanns wehren. Der Brief zirkulierte bis Donnerstagmorgen zur Unterschrift unter der Belegschaft. Business Insider veröffentliche den Brief bereits Mittwoch. Darin heißt es: „Wir Unterzeichnenden sind erschüttert über die jüngsten Entwicklungen im Haus.“ Und weiter: „Es ist für uns nicht ersichtlich, warum nun womöglich erneut ein Chefredakteur gehen soll.“ Der Ausgang des Machtkampfs ist also noch offen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin